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Am kommenden Sonntag wird in Neumünster ein neuer Bundesvorstand gewählt Piraten nehmen Anlauf für nächste Wahlen

23.04.2012, 03:27

Viele sehen die Piraten schon im nächsten Bundestag. Vorher aber müssen sie noch ein paar Hausaufgaben machen. Die wichtigste steht am letzten April-Wochenende an, wenn auf einem Parteitag in Neumünster bei Hamburg ein neuer Bundesvorstand gewählt wird. Schon vor der Wahl steht fest: Wichtiger als die Personen an der Spitze ist den Piraten der neue Stil, den sie in die Politik bringen wollen.

Jede andere Partei würde ihren Vorsitzenden nach solchen Erfolgen feiern: 8,9 Prozent in Berlin, 7,4 Prozent im Saarland, zweistellige Werte bei bundesweiten Umfragen. Piratenchef Sebastian Nerz aber erwartet keine Ovationen und kann noch nicht einmal sicher sein, wiedergewählt zu werden: "Die Partei ist im letzten halben Jahr sehr stark gewachsen. Von daher ist es schwer, meine persönlichen Chancen einzuschätzen."

"Ein Bundesvorstand, der sich auf die Verwaltung der Partei beschränkt, ist Teil des basisdemokratischen Anspruchs, den wir beibehalten wollen", sagt Nerz, der vor knapp einem Jahr gewählt wurde und nun als einer von bislang elf Kandidaten wieder antritt. Mehrfach ist der 28-jährige Informatiker in den eigenen Reihen angeeckt, weil er sich öffentlich zu Fragen geäußert hat, die in der Partei noch strittig sind.

"Ein schwacher, verwaltungsorientierter Vorstand passt gut zu der Idee, sich Hierarchien und Elitenbildung zu verweigern", erklärt der Politikwissenschaftler Christoph Bieber. Allerdings sei den Piraten jetzt klar geworden, dass ihr Führungspersonal zunehmend mit der Erwartung konfrontiert werde, sich in der Öffentlichkeit auch politisch zu äußern.

Mit den Erfolgen bei den Landtagswahlen in Berlin und im Saarland habe sich die Situation der Partei drastisch verändert, sagt der Professor der Universität Duisburg-Essen. "Wir haben jetzt nicht mehr eine ganz flache, dezentrale Struktur, sondern es gibt erste Machtanballungen." Für Forscher sei es spannend zu beobachten, ob es den Piraten gelingt, das eherne Gesetz der Oligarchie (Herrschaft der Wenigen) innerparteilich außer Kraft zu setzen und ihre basisdemokratischen Strukturen dauerhaft zu verankern, so Bieber.

Zur Basisdemokratie gehört der öffentlich ausgetragene Streit, etwa über den Umgang mit Rechtsextremisten in der Partei. Der zu den Mitgliedern der frühen Jahre gehörende Bodo Thiesen hatte 2008 von einer deutschen Legitimation für den Angriff auf Polen gesprochen, mit dem 1939 der Zweite Weltkrieg begann. Ein Antrag auf Parteiausschluss wurde aus formalen Gründen abgewiesen, die hitzige Diskussion darüber dauert aber weiter an.

Die öffentlich ausgetragenen Kontroversen in der Partei wurzeln in regionalen Unterschieden, aber auch darin, dass mit den Landtagsfraktionen neue Energiezentren entstanden sind, die mit dem Bundesvorstand nicht immer auf einer Wellenlänge sind.

Aus dem tendenziell eher linksliberal ausgerichteten Landesverband Berlin kandidiert die 26-jährige Politikwissenschaftlerin Julia Schramm. "Wir haben zwei aussichtsreiche Bewerber, Sebastian (Nerz) und Bernd (Schlömer), die ihre eigenen Schwerpunkte haben, ihre eigene Art, Politik zu machen", sagt sie. "Ich will eine Alternative bieten." Der 40-jährige Schlömer, bislang stellvertretender Vorsitzender, wirkt mit seiner sachlichen Art integrierend - eine Eigenschaft, die der Partei in ihrem schnellen Wachstum nur helfen kann. (dpa)