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Suche nach Fachkräften Chemiebranche kämpft ums Image

Bitterfeld war dreckigste Stadt Europas und stand für die Chemie im Osten. Bis 1990. Doch Imageprobleme gibt es bis heute - in ganz Sachsen-Anhalt.

Von Petra Buch 16.08.2014, 01:14

Bitterfeld-Wolfen (dpa) l Segelboote liegen im Hafen, spanische Musik erklingt auf der Terrasse eines schicken Restaurants, Bikini-Schönheiten sonnen sich am Strand. Was eher wie Sylt klingt, ist dort, wo vor 25 Jahren niemand hin und viele nur noch weg wollten: Bitterfeld. Die damals dreckigste Stadt Europas hat heute anstelle eines gigantischen Braunkohletagebaus den Goitzsche-See. Statt des berüchtigten maroden Chemiekombinats Bitterfeld (CKB) prägen moderne Mittelständler im heutigen Chemiepark das Bild.

Der Strukturwandel nach 1990 hat tausende Arbeitsplätze gekostet. Bitterfeld galt als Vorreiter für die Chemieparks in Deutschland. Inzwischen sucht die Branche im Osten händeringend nach Mitarbeitern. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) ist heute überzeugt: "Die Chemieindustrie in Ostdeutschland ist produktiver als die Chemie in Westdeutschland. Sie ist nach der Wende neu entstanden und moderner." Dennoch haben Regionen wie Bitterfeld mit Vorurteilen und Problemen zu kämpfen, auch wenn die Luft spürbar und Städte sichtbar sauber geworden sind.

Und: Fachkräfte werden zunehmend rar, jetzige Chemiearbeiter gehen in absehbarer Zeit in Rente. Junge Leute fehlen. Aus Bitterfeld-Wolfen zog es nach dem Mauerfall Generationen wegen der Arbeit und Ausbildung gen Westen, oft für immer. "Der demografische Wandel ist eine zentrale Herausforderung für unseren Arbeitsmarkt", bringt der Chef der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit, Kay Senius, die Probleme auf den Punkt.

Hatte Sachsen-Anhalt im September 2003 101 316 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte unter 25 Jahren, waren es zehn Jahre später nur noch 66 540 (September 2013). "Hier gibt es Arbeit genug, aber man kann nicht jeden Arbeitslosen zum Chemiefacharbeiter umschulen", sagt Patrice Heine, Geschäftsführer der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH. Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld hat eine Arbeitslosigkeit von 10,6 Prozent, Sachsen-Anhalt 10,3 Prozent (beides Juli 2014). "Schon in drei, vier Jahren werden wir ganz intensiv nach Leuten suchen", sagt Heine, der zuvor im Ruhrgebiet den Wandel einer Industrieregion erlebt hat.

Die Gewerkschaft IG BCE appelliert indes an Arbeitgeber, "ihre Hausaufgaben" und damit langfristige Personalplanungen zu machen. "Die Zeiten, wo Unternehmen wäschekörbeweise Bewerbungen bekamen und sich daraus die Olympioniken rausfischen konnten, die sind vorbei. Da muss man heute schon tiefer im Wäschekorb wühlen", sagt Erhard Koppitz. Der Gewerkschafter hat den radikalen Strukturwandel der Ost-Chemie begleitet.

"Wir brauchen attraktive Arbeitsbedingungen, gute Arbeit, die auch gut bezahlt wird und wo Auszubildende nicht nur befristet übernommen werden. Sonst gehen sie dorthin, wo das nicht so ist", sagt Koppitz. Sachsen-Anhalt ist zudem laut Bevölkerungsprognose wie kaum ein anderes Land in Deutschland vom demografischen Wandel betroffen. Die Nachfrage nach einer Ausbildung in der Chemie sei nicht gerade üppig. Seit Beginn des Ausbildungsjahres 2014 meldeten sich laut Arbeitsagentur 259 Bewerber für eine Lehrstelle in der Chemie im Landkreis Anhalt-Bitterfeld, 4,4 Prozent weniger als im Vorjahr. Arbeitgeber der Branche boten 192 Lehrstellen an, 4,9 Prozent mehr als 2013.

Die Infrastrukturgesellschaft des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen gehört zur Gelsenwasser AG (Gelsenkirchen/Nordrhein-Westfalen) und tritt als einer der größten Arbeitgeber in der Ost-Chemie auf. Die Vorteile von Bitterfeld-Wolfen sieht der studierte Umweltingenieur Heine als "Speckgürtel" auch mit Erholungsmöglichkeiten für Metropolregionen wie Leipzig/Halle und Berlin. Per Zug, Autobahn und Flughäfen käme man schnell hin - Pendler allerdings auch schnell wieder weg. Sie zum Bleiben zu bewegen, dürfte auch ein hartes Stück Arbeit sein.