Volkswagen Scherbengericht in Hannover

Wie wird die Stimmung sein bei der VW-Hauptversammlung nach gut drei Wochen Machtkampf? Die Aktionäre dürften Antworten erwarten. Die Führungskrise hat die gesamte Machtarchitektur bei VW verändert. Schnelle Entscheidungen wird es aber wohl nicht geben.

Von Andreas Hoenig und Heiko Lossie 05.05.2015, 01:23

Wolfsburg (dpa) l Zeitenwende, Ende einer Ära, historische Zäsur: Nach dem dreiwöchigen Machtkampf ist bei Volkswagen nichts mehr so, wie es vorher war. Richtig sichtbar wird dies zum ersten Mal am heutigen Dienstag, bei der VW-Hauptversammlung - denn der "Alte" wird aller Voraussicht nach fehlen: Ferdinand Piëch, der Verlierer der Schlacht um die Führungsspitze, langjähriger Vorstands- und Aufsichtsratschef bei Europas größtem Autobauer, ein Patriarch a.D., eine Führungs- und Vaterfigur, die dem Konzern abhandengekommen ist.

Und so dürfte es ein ungewohntes Bild sein, das sich den VW-Aktionären bietet. Nicht Piëch, sondern ein Gewerkschafter leitet die Hauptversammlung in der riesigen Halle 2 auf dem Messegelände in Hannover: Berthold Huber. Seit dem Rücktritt des 78-jährigen Piëchs ist der 65-jährige frühere Chef der IG Metall kommissarischer Vorsitzender des VW-Aufsichtsrats.

Volkswagen will Scania übernehmen

Bis vor kurzem noch schien dies kaum vorstellbar: VW ohne Piëch. Jahrzehntelang hatte der Großaktionär als Audi-Chef, später dann Konzernchef und schließlich Aufsichtsratsvorsitzender Volkswagen gelenkt, er war das Machtzentrum bei dem Autobauer, sein Wort war Gesetz - nicht nur, weil er gleichzeitig auch VW-Großaktionär ist.

Rückblick, VW-Hauptversammlung 2014: Strahlend und Seite an Seite kommt das Traumduo an der VW-Spitze zum Aktionärstreffen. Aufsichtsratsboss Piëch und sein Vorstandschef Martin Winterkorn wirken gelöst, der Konzern steht glänzend da. Pünktlich zum Aktionärstreffen kommt noch die Nachricht, dass VW den schwedischen LKW-Bauer Scania komplett übernehmen kann. Winterkorn sagt der Konkurrenz den Kampf an: VW wolle im Nutzfahrzeuggeschäft an die Spitze der Branche, vorbei am Konkurrenten Daimler.

Und heute, ein Jahr später? Der Machtkampf hat die VW-Welt durcheinandergewirbelt. Es dürfte dauern, bis die Wunden verheilt sind. Zwar ist Winterkorn trotz der Demontage Piëchs weiter an der VW-Spitze - dank einer breiten Unterstützer-Allianz aus Betriebsrat sowie der VW-Großaktionäre Niedersachsen und Familie Porsche.

Volkswagen-Aktionäre erwarten Antworten

Doch nach dem Machtkampf sind viele Fragen offen. Wer wird Piëchs Nachfolger an der Aufsichtsratsspitze? Wie bekommt Winterkorn die massiven Probleme im US-Geschäft in den Griff und bei der gewinnschwachen Kernmarke VW rund um die Modelle Golf und Passat? Wie ist der Autobauer für die großen Zukunftsthemen aufgestellt, die digitale Vernetzung des Autos und die alternativen Antriebe?

Die VW-Aktionäre dürften Antworten erwarten auf diese Fragen. Und vor allem auf die Kernfrage: Warum kam es zum Machtkampf? Wird die Hauptversammlung gar zum Scherbengericht?

Ex-Aufsichtsratschef Piëch, den sie in Wolfsburg auch den "Alten" nennen, ist bisherigen Informationen zufolge nicht mit dabei in Hannover. Dennoch dürfte sich das Aktionärstreffen vor allem um seine Person drehen - welche Rolle spielt er künftig?

Aufsichtsrat lässt Piëch abblitzen

Denn Piëch ist zwar als Aufsichtsratschef zurückgetreten. Doch im Hintergrund wirkt er immer noch. Kurz vor der Hauptversammlung kam noch einmal Störfeuer aus der Salzburger Heimat Piëchs: Er protestierte gegen die Berufung seiner Nichten in den Aufsichtsrat als Ersatz für ihn und seine ebenfalls zurückgetretene Ehefrau Ursula Piëch. Seine Nichten Louise Kiesling (57) und Julia Kuhn-Piëch (34) hätten nur wenig Erfahrung in der Automobilindustrie. Stattdessen sprach sich Piëch für den früheren BMW- und Linde-Manager Wolfgang Reitzle sowie die Ex-Siemens-Vorstandsfrau Brigitte Ederer aus.

Piëch aber blitzte mit diesem Vorschlag ab - abermals auch an der neuen VW-Allianz aus Land Niedersachsen, Betriebsrat und der Familie Porsche. Dessen Sprecher Wolfgang Porsche hat bisher nur gesagt, er bedauere die Entwicklungen der vergangenen Tage und danke Piëch "für die Jahrzehnte seines außergewöhnlichen und höchst erfolgreichen Einsatzes für den Volkswagen-Konzern".

Porsche kündigte zudem an: "Wir werden weiterhin mit großer Loyalität unsere Verantwortung als Großaktionär für den Volkswagen-Konzern und seine 600.000 Mitarbeiter wahrnehmen." Ob ein solcher Allgemeinplatz die Aktionäre am Dienstag zufriedenstellt, muss sich zeigen.