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Forderung nach härteren Auflagen für den computergesteuerten Handel Nach Kurs-Chaos rufen selbst Börsianer nach "Vater Staat"

10.05.2010, 05:22

New York/Frankfurt (dpa). Jetzt haben selbst Börsianer die Nase voll. Nach dem nie gesehenen Kursexzess an der Wall Street am Donnerstagabend rufen selbst hartgesottene Aktienhändler nach der sonst so oft verschmähten ordnenden Hand des Staates. "Dieser Irrsinn schreit nach Regulierung", sagt Klaus Stabel von der Wertpapierhandelsbank ICF.

Experten wie der Bankenprofessor Hans Peter Burghof fordern schon länger härtere Auflagen für den computergesteuerten Handel und sehen sich jetzt in ihrer Einschätzung bestätigt. US-Politiker stießen in das gleiche Horn und forderten umgehende engere Schranken für den zuletzt immer größer und schneller automatisierten Börsenhandel durch Computer. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC und die Regierung wollen sich die unfassbaren Kursbewegungen genau anschauen.

Am Donnerstagabend brach der amerikanische Aktienmarkt innerhalb weniger Minuten ohne ersichtlichen Grund um fast neun Prozent ein.

Besonders deutlich wird der "Börsen-Wahnsinn" anhand der Entwicklung des Schwergewichts Procter & Gamble (P&G). Der Marktwert des zu den wertvollsten Unternehmen der Welt zählenden Konzerns rauschte innerhalb weniger Minuten um mehr als ein Drittel oder mehr als 60 Milliarden Dollar (rund 47 Mrd. Euro) ohne fundamentalen Grund nach unten. Das ist in etwa so viel wie der deutsche Energieriese E.ON an der Börse überhaupt kostet.

Schuld war offenbar eine fatale Kettenreaktion von computergesteuerten Handelssystemen, die nach bestimmten Regeln selbst handeln. Alle von den Börsenbetreibern eingebauten Schutzdämme wurden binnen Sekunden fortgespült. Heiko Veit, Experte von Metzler Investment, sieht den Ruf des gesamten Börsenbetriebs in Gefahr. "Die Vorgänge an der Wall Street könnten die Diskussion um den Aktienmarkt als Spielcasino wieder aufleben lassen."

In Deutschland wurde sofort an den Oktober 2008 erinnert. Damals schoss die VW-Aktie wegen hochspekulativer Finanzwetten des Großaktionärs Porsche um fast 500 Euro auf mehr als 1000 Euro hoch. Der Autohersteller wurde so zumindest für ein paar Stunden zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Schon damals konnten selbst Profis dies nicht mehr nachvollziehen und riefen nach der ordnenden Hand des Staates. Passiert ist wenig bis gar nichts.

Doch während bei dem VW-Kurssprung Porsche als Übeltäter galt, der mit komplizierten Finanzinstrumenten die Mehrheit am größten europäischen Autohersteller erobern wollte, gab es für den jüngsten Kursrutsch von Standardwerten wie P&G keinen fundamentalen Grund – schuld war vielmehr der zuletzt immer intensiver gewordene Handel durch Computer.

Das Marktversagen vom Donnerstag könnte das Fass bei den Regulierern zum Überlaufen gebracht haben. "Es kann nicht sein, dass ein angeblich intelligentes Handels-System – wo auch immer es zum Einsatz kommt – einen so klar erkennbaren fehlerhaften Handel zulässt", sagt Stabel. "Offenbar ist hier systembedingt jegliche Plausibilitätsprüfung unterblieben." Das System ist nach Einschätzung der Experten kaum mehr zu kontrollieren, zumal zahlreiche Investmentbanken ihren Handel immer mehr über außerbörsliche Plattformen abwickeln.

Die systematischen Fehler wurden offensichtlich dadurch verstärkt, dass die Nervosität am Markt wegen der sich ausweitenden Schuldenkrise in der Eurozone besonders hoch ist. Die Krise ist nach Einschätzung längst über den Atlantik geschwappt und könnte bald die Erholung der gesamten Weltwirtschaft in Gefahr bringen.

Um die ohnehin angeschlagenen Märkte nicht noch stärker zu schwächen und die gesamte Weltwirtschaft an den Rand des Absturzes zu bringen, sind jetzt alle Beteiligten gefordert. Banken-Professor Burghof sieht die Börsenbetreiber genauso in der Pflicht wie die Banken und Aufsicht. Ein generelles Verbot hält er allerdings weder für sinnvoll noch für durchsetzbar.