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20 Jahre Abzug der Russen Christel Kitschke: "Wir haben lange Zeit mit den Russen gelebt, das hat geprägt"

Auch die zweite Veranstaltung zum Thema "Abzug der Russen vor 20 Jahren"
stieß auf ein großes Interesse. Der Saal des Kulturhauses Drewitz war
bis auf den letzten Platz gefüllt.

Von Bettina Schütze 24.03.2014, 02:31

Drewitz l Eine Menge aus ihrem persönlichen Erfahrungsschatz und Erlebnissen konnte die ehemalige Dörnitzer Bürgermeisterin Christel Kitschke erzählen. Sie selbst hatte durch einen Ausweis Zugang zum Truppenübungsplatz. "Mit den Freunden war doch das ein oder andere zu besprechen. Zum Beispiel ging es da um kaputte Straßen oder Brände", erinnerte sich Christel Kitschke. Man habe damals die Russen nicht als Besatzer gesehen. "Wir hatten immer einen guten Kontakt und haben die Probleme gemeinsam gelöst." Der Truppenübungsplatz war mit seinen rund 40.000 Leuten ja wie eine Großstadt. Zu Feierlichkeiten luden die Russen immer viele Leute ein, auch aus der Region. "Wo die Russen auftraten, gab es immer Feuer und Temperament", so die Dörnitzerin.

Diesmal moderierte MDR-Moderator Jochen Müller einen Diskussionsabend in Form einer Talkrunde mit Funktionsträgern, die aktiv am Abzug der sowjetischen Truppen aus dem Jerichower Land beteiligt waren. Dazu gehörten der ehemalige Landrat Wolfgang März, Oberstleunant a. D. Gernot von Stark, die damalige Bürgermeisterin von Dörnitz, Christel Kitschke, Günter Krieger und Dirk Hillmann.

Der sogenannte Russenmarkt sei von vielen Leuten, auch aus der Umgebung sehr gut angenommen worden. Das Problem seien die Mafiosi gewesen. So wurden bei Kontrollen auch Waffen gefunden. Die Marktgebühren, so Christel Kitschke, flossen in die Gemeindekasse.

"Mit Arroganz über Russen urteilen"

Moderator Jochen Müller wollte von der Ex-Bürgermeisterin wissen, was sie gedacht habe, als sie vom Abzug der Russen gehört hat. "Die Zeit war einfach reif. Es gab keinen Klassenfeind mehr. Wir wollten niemanden aus anderen Nationen mehr haben. Die Russen gingen teilweise aber auch mit einem traurigen Gefühl. Sie wurden in eine Gegend geschickt, wo nichts war. Da taten sie mir leid", erinnerte sich Christel Kitschke und fügte hinzu: "Wir haben diese lange Zeit mit den Russen gelebt. Das hat auch geprägt. Das sollte man alles aufschreiben. Das ist Geschichte."

Etwas zwiespältig wurde der Auftritt von Gernot von Stark, ehemaliger Bundeswehrsoldat, begleitet. Ein Besucher verließ sogar empört den Saal. "Diese Arroganz, mit der sie hier über die Russen urteilen, muss ich mir nicht länger anhören." Zuvor hatte der Oberstleutnant a. D. unter anderem gesagt: "Ich bin froh, dass sie (die Russen) weg sind." Aus dem Publikum kam die Antwort: "Ich nicht."

Gernot von Stark bereitete damals den Abzug der Russen mit vor und war dann für die Absicherung des Truppenübungsplatzes Altengrabow zuständig. "Die Russen sollten in Würde abziehen. Das war Bestandteil des Abkommens." Aber die Unsicherheit unter den Soldaten sei mit Blick auf ihre Zukunft groß gewesen. "Das war zum Greifen nah. Mir taten sie schon leid", erklärte der ehemalige Berufssoldat. Die Kontaktaufnahme mit den Russen sei nicht einfach gewesen. Gernot von Stark: "Ein sowjetischer General sprach eigentlich nicht mit einem Oberstleutnant, schon gar nicht mit einem deutschen."

Erschütternde Zustände in russischen Kasernen

Auf die Frage von Moderator Jochen Müller, ob er denn mit den Russen auch mal gefeiert habe, antwortete er: "Ich habe heute noch Kopfschmerzen davon." Als Fazit für diese Zeit zog er: "Es war eine unendlich wichtige, spannende und auch schöne Zeit."

Aufmerksam folgten die Besucher auch den Ausführungen von Günter Krieger, der am Aufbau eines Bundesvermögensamtes in Magdeburg mitwirkte. Zuvor saß er als Beamter bei der Oberfinanzdirektion in Hannover und hatte selbst zwölf Jahre bei der Bundeswehr gedient.

Als erste russische Liegenschaft suchte er damals die alte Kaserne in Zerbst auf. Von den dortigen Zuständen, zum Beispiel bei sanitären Einrichtungen, war er mehr als erschüttert. Insgesamt hat Günter Krieger 360 russische Liegenschaften gesehen und abgewickelt.

Nicht alle Russen sind freiwillig gegangen

Altengrabow war damals ein großes Problem, so Günter Krieger. So gab es beispielsweise riesige Schrottberge, Altöle und Munition. In dem Nebenraum eines Schweinestalles, in dem 200 bis 500 Sack Milchpulver gestapelt waren, tummelten sich die Ratten scharenweise. Er habe dann eine Firma beauftragt, die Rattengiftköder auslegten. Man war bemüht, alles zu beräumen, was zu beräumen war. Die Kosten lagen bei rund 800.000 DM. "Der Abschied der Truppen war ein trauriger Tag für mich. Die Russen waren immer freundlich", blickte Günter Krieger zurück.

<6>Der damalige Landrat Wolfgang März hatte ein ungutes Gefühl: "Ziehen sie nun ab oder nicht? Es sind auch nicht alle freiwillig gegangen." Er erinnerte sich, dass ihm eine Gänsehaut den Rücken hoch- und runtergelaufen war, denn die "Russen standen vor einer schwierigen Zukunft. Aber wir waren zufrieden, dass es positiv zu Ende ging".

"Es gab damals viele ergreifende Ereignisse", so Wolfgang März. So demonstrierten die Frauen der Offiziere in Burg. "Sie wussten nicht, wohin sie kommen. Sie hatten kein Geld, weil es ihnen ihre Männer für den Kauf von Autos abgenommen hatten." Zu einem ehemaligen General hatte er noch lange Kontakt. Aber vor zehn Jahren habe er das letzte Mal mit ihm telefoniert.

<7>Umweltprobleme interessierten Russen kaum

Dirk Heilmann, Abfall und Bodenschutz im Landkreis, schließlich berichtete darüber, wie beispielsweise das Grundwasser gereinigt wurde und wird. Er ist seit 1991 mit dieser Ausgabe beschäftigt.

Mit Umweltfragen brauchte man damals den Russen nicht kommen. "Wir haben andere Probleme" bekam Dirk Hillmann da zur Antwort. Mit aufgebaut hat er damals die Müllentsorgung im Objekt. Mittlerweile, so schätzt er ein, ist einmal das Wasser des Bodensees durch die Leitungen gelaufen. Für die Grundwasserreinigung benötige man aber noch rund zehn Jahre. Erfolgt ist die Deponieberäumung Rosenkrug. Dirk Hillmann: "Oberflächenmäßig ist alles beräumt."

<8>Die dritte und letzte Veranstaltung findet am Mittwoch, 26. März, um 19 Uhr wieder im Kulturhaus Drewitz und nicht wie auf der Internetseite-Seite der Stadt Möckern zu lesen ist, in Dörnitz, statt. Dann stehen "Persönliche Erfahrungen und Erlebnisse mit den Mitbürgern aus der ehemaligen Sowjetunion" im Mittelpunkt. Moderator ist Eckard Camin aus Gommern.<9><10><11>