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Jugendwerkhof Burg Der Ort, über den keiner spricht

Im Jugendwerkhof Burg haben viele Jugendliche teils schlimme Zeiten erlebt. Bei einem Ehemaligentreffen sind an den Ort der Repression zurückgekehrt.

24.09.2014, 08:39

Burg l Als Olaf Pietsch vor dem Eingang des Cornelius-Werkes Burg steht, bekommt er einen Schock. Das triste Eingangsportal, in dem heute die Verwaltung untergebracht ist, das Haupthaus mit dem Glockenturm, das weiträumige Gelände, auf dem sich alte, teilweise verödete Häusergruppen reihen, versetzen ihn sofort 29 Jahre zurück. "Oh Gott, das sieht ja noch so aus sie damals", sagt er.
Was heute eine pädagogische Sozialeinrichtung der Diakonie ist, war einst der Jugendwerkhof "August Bebel", der größte Jugendwerkhof der DDR. Hierher kam, wer aus schwierigen Familienverhältnissen kam, sich gegen das System auflehnte oder aufgrund krimineller Handlungen und aufmüpfigen Verhaltens als schwer erziehbar galt, wie Olaf Pietsch aus Blankenburg. "Ich habe sehr stark gegen das System rebelliert und die Schule geschwänzt. Das war für die Jugendhilfe ein Grund, mich aus der Familie zu reißen und mich in diese Hölle zu bringen", erzählt der 45-Jährige.
Erinnerungen an Gutes und Schlechtes
Der Brutalität anderer Jugendlicher war er schutzlos ausgeliefert. Hilfe von Erziehern gab es nicht. "Selbsterziehung nannten sie das", erinnert sich Pietsch. "Vor allem nachts waren wir uns selbst überlassen. Da gingen die Jugendlichen aufeinander los und niemand hat eingegriffen". Die Folgen seines anderthalbjährigen Aufenthalts hat er bis heute nicht verwunden. Mit seiner Mutter Renate hat er am Sonnabend zum ersten Mal seit seiner Entlassung 1986 die ehemalige Heimeinrichtung wieder besucht.
Mit ihm haben sich noch knapp 30 andere Ehemalige auf dem Gelände, das Einheimischen auch als Gut Lüben bekannt sein dürfte, eingefunden. Seit vielen Jahren treffen sie sich einmal im Jahr hier, um Erinnerungen auszutauschen, aufleben zu lassen oder auch, um sie zu verarbeiten. Der Rundgang über das Gelände, lässt viele Erinnerungen hochkommen. Einige erkennen ihre Wohngebäude wieder, die meisten sind erstaunt, wie originalgetreu alles noch ist, so, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Frank Garnich, der heute pädagogischer Leiter im Cornelius-Werk ist, führt die Gruppe über das Gelände. Seit über zehn Jahren unterstützt er die Ehemaligen-Treffs. "Ich finde es wichtig, dass es eine Plattform gibt, auf der sich die Betroffenen austauschen können", sagt er. "Einige kommen mit Fragen, wie die Einrichtung heute funktioniert und ob wir Kontakt zu ehemaligen Erziehern herstellen können. Viele haben noch ein gutes Verhältnis zueinander. Aber ich weiß, dass es auch viele Konflikte gab."
Torsten Ehms, der von 1987 bis 1990 im Jugendwerkhof untergebracht war und in diesem Jahr das Treffen organisiert hat, ist zum ersten Mal seit seiner Entlassung auf Gut Lüben. Wie er mit seinen Gefühlen umgehen soll, weiß er noch nicht. "Eigentlich habe ich keine guten Erinnerungen an Burg", sagt er. "Das war schon eine Disziplinierungsanstalt. Wenn man nicht funktioniert hat, wie die es wollten, wurde man sehr hart bestraft."
Nichtstun in der Arrestzelle
Drei Tage Arrest gab es für Zuwiderhandlungen, sei es aufmüpfiges Verhalten der Jugendlichen oder auch Flucht aus dem Jugendwerkhof. Wer in einer der Arrestzellen einsaß, war sich selbst überlassen. "Es gab ein Klappbett, das tagsüber hochgeklappt sein musste, ansonsten waren noch Tisch und Stuhl drin", erinnert sich Peter Müller, der von 1978 bis 1979 hier war. "Aber hinsetzen war verboten. Erzählen auch. Man hat eigentlich nichts gemacht da drin, nur auf das Essen gewartet, das dreimal am Tag kam. Das war die einzige Abwechslung."
Doch auch an schöne Zeiten können sich Peter Müller und Torsten Ehms erinnern. "Man konnte viel Sport machen oder sich musikalisch betätigen", sagt Ehms. "Das hat viel Spaß gemacht und man kam mal raus. Ich fand es nicht so schlimm hier", sagt Müller. "Aber ich habe mich angepasst. Ich kann mich auch an viele tolle Erzieher erinnern, mit einigen habe ich heute noch Kontakt. Aber es gab auch die anderen, die ihren Frust an den Jugendlichen ausgelassen haben."
Für viele Ehemalige war der Austausch mit anderen Betroffenen ein wichtiges Erlebnis, das auch im nächsten Jahr wieder stattfinden soll. Und auch Olaf Pietsch kann nach seinem anfänglichen Schock wieder mit seinen Erinnerungen umgehen. "Es hat gut getan, mit anderen zu reden. Ich habe sogar einen Freund aus meiner Gruppe wiedergetroffen. Der hat mich sofort erkannt. Da habe ich gemerkt, dass es nicht nur schlimm war. Aber das Schlimme ist eben das, was man mit sich trägt. Jetzt kann ich damit umgehen."
Mehr zum Jugendwerkhof Burg unter: www.volksstimme.de/jwhburg