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Jerichower Land deutlich über dem Landesdurchschnitt Müllentsorgung - Ungerecht, unflexibel, überteuert

Exorbitant teuer! So bezeichnet Caroline von Bechtolsheim die Abfall-entsorgung im Landkreis. Sie vertritt eine bundesweit tätige Spezialkanzlei, die im Auftrag des Landkreises den Ist-Zustand bewertete und ein neues Abfallkonzept vorlegte.

Von Falk Heidel 07.05.2015, 03:16

Burg/Genthin l 9,6 Millionen Euro - diese Summe planen Landkreis und der Entsorger AJL in diesem Jahr für die komplette Abfallentsorgung im Jerichower Land. Das macht pro Kopf jährlich 97 Euro. Zu den Ursachen für diese hohen Kosten gehört laut Caroline von Bechtolsheim eine überdurchschnittlich hohe Restmüllmenge im Landkreis - nämlich 225 Kilo pro Einwohner und Jahr. Zum Vergleich: Der Landesdurchschnitt liegt bei 152 Kilogramm (bundesweit 173 Kilo).

Noch auffälliger sind die Abweichungen von der Norm beim Bioabfall: Im Landkreis fallen jährlich pro Einwohner 174 Kilogramm an. Landesdurchschnitt sind lediglich 50 Kilo. Caroline von Bechtolsheim: "Und trotzdem liegt der Bioanteil beim Restmüll bei sehr hohen 40 Kilogramm pro Kopf im Jahr." Ihre Berliner Anwaltskanzlei hat den aktuellen Zustand der Abfallentsorgung im Landkreis analysiert und ein Konzept für die Zukunft erstellt. 2017 laufen die Entsorgungsverträge mit der AJL aus, die Müllentsorgung im Landkreis wird europaweit ausgeschrieben. "Etwa ein halbes Jahr zuvor müssen wir nach dieser Ausschreibung den Auftrag an ein Unternehmen erteilen", sagte Landkreis-Vorstand Bernd Girke.

Bevor es soweit ist, muss der Kreistag beschließen, nach welchem Prinzip unser Müll entsorgt werden soll. Die Berliner Anwaltskanzlei favorisiert ein sogenanntes Identsystem. Dabei würden die Verbraucher (ähnlich der Stromabrechnung) eine Grundgebühr bezahlen. Berechnet werden zudem Gebühren für die Leerung einer Tonne nur dann, wenn sie auch geleert wird. Damit können die Menschen Kosten sparen, wenn sie weniger Müll verursachen. Bernd Girke: "Dieses System ist auch Favorit des Landkreises." Ein digitaler Chip an der Tonne würde die Leerungen registrieren.

Allerdings soll das bisherige System nicht sofort ruckartig umgestellt werden. Es soll eine mehrjährige Übergangszeit gelten. In dieser Zeit (ab 2017) sollen die Verbraucher den Leerungs-Rhythmus ihrer schwarzen Restmülltonne selbst bestimmen dürfen. Im Gespräch sind Intervalle von zwei, vier oder sechs Wochen. Girke: "Dies könnte sich über Aufkleber an den Tonnen realisieren lassen." Auch dabei könnten die Menschen durch weniger Leerungen Gebühren sparen. Dies wäre ein schrittweiser Übergang vom bisherigen Solidarprinzip (wo jeder für alles bezahlt) zum Verursacherprinzip. Caroline von Bechtolsheim: "Ein solches Solidarprinzip wie es hier noch praktiziert wird, ist in Ländern wie Sachsen oder Thüringen rechtlich gar nicht möglich." Dort gäbe es ein sogenanntes Anreizgebot.

Größter und teuerster Knackpunkt der hiesigen Abfallentsorgung ist der Grünschnitt. Die Berliner Kanzlei kritisiert eine fehlende Annahmekontrolle. Bechtolsheim: "Auf diesen Grünschnittplätzen könnte auch gewerbliches oder kommunales Schüttgut abgeladen werden."

Mit diversen Berechnungen zeigte die Kanzlei am Dienstag im Umweltausschuss des Kreistages auf, wie die Gesamtkosten von derzeit 9,6 Millionen Euro jährlich um mehr als drei Millionen Euro gesenkt werden könnten.

Vereinfacht gesagt: Mit Einführung des Identsystems und der Abschaffung der Grünschnittplätze könnte die Jahresrechnung auf nur noch 6,2 Millionen Euro gedrückt werden.

Den Grünschnitt sollen die Verbraucher künftig über die Biotonne auf ihrem Grundstück entsorgen. Annehmen würden diesen Grünschnitt außerdem nur noch die vier Wertstoffhöfe in Genthin, Bergzow, Burg und Ziepel.

Hauptargument gegen das Verursacherprinzip war hier im Landkreis immer der Verdacht, dass Menschen ihre Abfälle im Wald entsorgen, um Gebühren zu sparen. Diese Befürchtung äußerte auch Sören Rawolle (Ländliche Wählergemeinschaft) aus Tucheim am Dienstag im Ausschuss. Jedoch hat sich dies laut Bechtolsheim nicht bewahrheitet: "Erfahrungen aus anderen Regionen zeigen, dass es einen kurzfristigen Anstieg solcher Fälle geben kann, der sich aber relativ schnell auf das bisherige Niveau einpegelt." Das sieht Dr. Volker Bauer (CDU) ebenso: "Meines Wissens sind die Wälder im Jerichower Land nicht wesentlich sauberer als in Stendal, wo das Verursacherprinzip schon lange gilt." Und: "Unser bisheriges Entsorgungssystem bevorzugt die Sorglosen."

Klaus Bock (Wählergemeinschaft) sagte: "Viele Menschen empfinden unser Gebührensystem als ungerecht. Es ist sehr teuer, entlastet aber auch die Umwelt. In Gommern kommt es häufiger vor, dass Fahrzeuge aus dem Nachbarkreis ihren Grünschnitt abkippen." Er favorisiert das geplante Identsystem: "Unser Ziel muss es sein, die Bürger bei den Gebühren zu entlasten."

Wolfgang Bernicke (Die Linke): "Ich glaube schon, dass hier im Landkreis der Abfall getrennt wird. Nicht nachvollziehbar ist für mich die Steigerung des Grünschnittaufkommens von 4000 Tonnen auf 20000 innerhalb von nur vier Jahren."

Für Dr. Christoph Kaatz aus Loburg (Grüne) ist die Bioentsorgung ohnehin kein Thema: "Organischer Abfall landet bei uns auf dem Komposthaufen, der grobe Grünschnitt wird zur Benjeshecke. Die Biotonne bleibt leer."