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19-Jährige zeigte ihren Vater an "Heulen hilft jetzt auch nicht mehr"

Es war ein heftiger Streit, darin waren sich Vater und Tochter einig.
Doch wer wen geschubst, geschlagen, zurückgewiesen habe, wurde beim
Verfahren am Amtsgericht nicht so recht deutlich. Tränen flossen
reichlich im Gerichtssaal.

Von Ilka Marten 19.06.2014, 03:16

Gardelegen l "Suchen Sie sich Hilfe. Alle beide." Mit diesen Worten stellte Strafrichter Axel Bormann das Verfahren wegen Körperverletzung gegen einen 52-Jährigen aus dem Raum Klötze ein, dem vorgeworfen worden war, dass er seiner Tochter (19) am 4. Oktober so mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen haben soll, dass sie zu Boden ging.

Was sich Richter und Staatsanwältin bei dem Prozess offenbarte, war ein schwieriges Vater-Tochter-Verhältnis, eine Jugendliche, die ganz offensichtlich nicht mit der Trennung ihrer Eltern zurecht kam und ein Vater, der sich zumindest alle Hilfe holte, die er holen konnte. Die Tat bestritt er.

"Ich habe solche Angst um sie gehabt."

2007 trennten sich die Eltern der damals Achtjährigen, die zwei ältere Brüder hat. Alle drei Kinder blieben beim Vater. "Sie war schon immer schwierig. Als Kind hat sie manchmal dagesessen und eine Stunde gebrüllt. Keiner ist an sie herangekommen", erzählte der Vater über seine Tochter. Mit der Trennung der Eltern fing das Mädchen an, die Schule zu schwänzen und "kam nachts nicht nach Hause". Der Mann sagte mit Tränen in den Augen: "Ich habe solche Angst um sie gehabt." Er gab zu, dass er sie 2010 auf den Po geschlagen habe, daraufhin wurde das Jugendamt eingeschaltet und das Mädchen kam in ein Heim. Dort war die Schülerin bis 2012. Dann zog sie wieder zu Hause ein - und die Streitigkeiten häuften sich. Es ging ums Aufräumen, Saubermachen.

Den Tattag im Oktober im Haus der Familie schilderten Vater und Tochter nur in wenigen Nuancen unterschiedlich. Es habe einen heftigen Streit gegeben, "da sind wir beide immer lauter geworden", so der Angeklagte. Wichser, Arschloch und den Satz "Schlag mich doch, dann zeige ich dich an" habe seine Tochter in ihrer Wut gesagt, schilderte der Mann. Auslöser aus seiner Sicht: Streit darüber, dass sie zu schnell gefahren war. Sie habe ihn immer wieder geschubst und ihn dabei gegen die Tür gestoßen. "Als ich sie zurückgewiesen und abgewehrt habe, hat sie sich hingeworfen."

Die 19-Jährige berichtete dagegen, dass ihr Vater sie geschlagen habe und sie hingefallen sei. "Er hatte lange nicht mehr geschlagen, und ich wollte mir das nicht mehr gefallen lassen", berichtete sie unter Tränen. Bormann dazu: "Heulen hilft jetzt auch nicht mehr." Beim Streit sei ihr Vater ihr nah gekommen: "Ich habe ihn immer wieder weggeschubst."

"Er projiziert alles auf mich, Hass auf Mama."

Sie verstehe nicht, warum ihr Vater nicht zu seiner Tat stehe: "Ich finde es scheiße, dass er es verleugnet." Auf Nachfrage der Staatsanwältin erklärte die junge Frau, dass von dem Schlag ins Gesicht nichts an Verletzungen zu sehen gewesen sei, als nach einer halben Stunde die Polizei zu den Nachbarn kam, wo sie hingegangen war.

Die Staatsanwältin: "Bestimmte Sachen passen nicht zueinander." Von so einem Schlag wären sichtbare Verletzungen, mindestens eine Rötung, die Folge gewesen, fügte die Staatsanwältin hinzu. Dass sie ihren Vater beschimpft habe, bestritt die Tochter nicht: "Ja, ich habe ihn beleidigt. Wenn er mir unterstellt, dass ich nicht sein Kind bin." Und wieder Tränen bei der jungen Frau. Als der Richter fragte, was er mit ihrem Vater machen solle, antwortete sie nach langem Schweigen: "Ich will, dass er eine Therapie macht. Er projiziert alles auf mich, den Hass auf Mama. Er sagt: Du bist genau wie deine Mutter. Ich bin nicht Mama", sagte sie und blickte ihren Vater an.

Die familiäre Situation hat sich nach der Eskalation zwischen Vater und Tochter im Oktober inzwischen wieder normalisiert. Nach zwei Wochen gab es das erste Gespräch. Sie haben regelmäßig Kontakt, der Vater hilft bei Autoreparaturen oder ähnlichen Dingen, unterstützt sein Kind auch finanziell. Eingezogen ist die 19-Jährige, die eine Ausbildung anstrebt, bei ihrem Vater allerdings nicht mehr.