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Der Braunschweiger Dichter Georg Oswald Cott hat schon weit vor der Wende seine Leidenschaft für die Region entdeckt Die Altmark - eine Wunderwelt ohne Verfallsdatum

Von Philip Najdzion 16.01.2015, 01:07

Braunschweig/Gardelegen l Wer den Dichter Georg Oswald Cott bei Braunschweig besuchen will, kommt nach der A2 auf die Altmarkstraße. Und das passt. Die Altmark hat es dem Poeten nämlich angetan. Bereits vor der Wende lernte Cott die östliche Nachbarschaft von Braunschweig näher kennen. Was er vorfand, faszinierte ihn. "Eine Welt im Dornröschenschlaf", sagt er heute. Und diese Idylle gefiel ihm sehr. Er fühlte sich in seine Kindheitstage zurückversetzt: Die Gänse liefen herum, die Menschen bauten ihr Gemüse an - alles schien sehr gemütlich.

"In der Bundesrepublik hatte sich eine ungeheuer schnelle Welt entwickelt. Die Menschen haben das US-amerikanische Lebenssystem voll inhaliert", sagt Cott. In der DDR fand er das Gegenteil. "Mir ging immer wieder das Herz auf", erinnert sich der Künstler, doch zugleich "hat mich auch immer eine Trauer erfasst." Denn in der Idylle habe er die Bedrohung als allgegenwärtig empfunden.

Er erinnere sich vor allem an den Bahnhof Friedrichsstraße - das Tor nach Ost-Berlin. Die Kontrollstelle sei für ihn ein einziges Schreckensszenario gewesen. Oben auf der Galerie standen die Posten mit Maschinenpistolen.

Intensiv habe er den Grenzverkehr genutzt. Für 25 Mark konnte er als West-Bürger einreisen. Bis zu neunmal im Jahr besuchte er die DDR und vor allem die Altmark, traf Verwandte in Gardelegen oder Stendal, befreundete Künstler und lernte Land und Leute kennen. So entstand ein ganzer Gedichtszyklus - die "Westostelbischen Gedichte". Zuerst erschienen sie in dem Buch "Blindweg nach Klötze". Schnell sei der Band vergriffen gewesen.

Mit bislang unveröffentlichten Gedichten sind die Texte im November mit dem Titel "Marienborn" neu erschienen. Gerade erst waren sie Teil der Ausstellung Transit in der medizinischen Zentralbibliothek der Universität Magdeburg.

Seine Neugier auf Schicksale habe ihn damals immer wieder mit den Menschen ins Gespräch kommen lassen. Und mit einem West-Kennzeichen am Auto sei das sehr schnell gegangen. Auch wenn manche Altmärker "nach außen nichts hermachten, so entpuppten sie sich als Philosophen und oft als vom Leben gebeutelt".

Und dieser zweite Blick sei für die ganze Region wichtig. "Hollywoodschönheiten haben alle ein Verfallsdatum. Beim ersten Blick fesselnd, doch schnell verfallen. Bei der Altmark ist es andersherum. Schauen Sie ein zweites Mal hin, treffen Sie auf eine Wunderwelt, die Bestand hat."

Doch auch dies Idyll war und ist für ihn bedroht. "Wenn der Mensch zerstörungswütig eingreift", fügt der 83-Jährige hinzu. Traurig hätten ihn vor der Wende besonders die vielen verfallenen Häuser gemacht. Doch diese Zeiten seien zum Glück weitestgehend überwunden. Wenn er heute die Altmark besucht, freut er sich, dass viele der Häuser schön saniert worden sind. Zuletzt war er vor ein paar Jahren in Salzwedel bei einer Ausstellung. Auf dem Weg dorthin war die B248 gesperrt. Cott verfuhr sich. "Ich bin durch die halbe Altmark gefahren", sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Und immer noch sei etwas vorhanden von der Welt im Dornröschenschlaf - "einem Refugium, in das man sich zurückziehen kann."

Sein Buch Marienborn ist in der Edition Toni Potratz erschienen. ISBN: 978-3-931883-94-2 und kostet 12 Euro.