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Seit mehr als 40 Jahren radelt die Altmerslebenerin Hilde Hillebrecht beinahe täglich nach Kalbe und wieder zurück: "Abgestiegen bin ich nie freiwillig"

Von Conny Kaiser 08.03.2011, 04:34

Dieses Bild kennt jeder, der des Öfteren mal die Strecke zwischen Kalbe und Altmersleben befährt: Da tritt eine Frau in die Pedale und lässt sich auch von widrigem Wetter nicht abhalten. Ihr Name: Hilde Hillebrecht. Beinahe täglich ist die Altmerslebenerin auf der Landstraße anzutreffen. Seit mehr als 40 Jahren. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Altmersleben. Eine Erkältungswelle schwappt durch Deutschland. Eine Erkältungswelle, die aber auch diesmal wieder an Hilde Hillebrecht vorbeiziehen wird, ohne Schaden anzurichten. Viren und Bakterien können der Altmerslebenerin offenbar wenig anhaben. Denn sie bewegt sich täglich an frischer Luft. Auf dem Drahtesel, ohne den sie sich das Leben nicht vorstellen kann, seit sie als Erstklässlerin gelernt hat, ohne Stützräder unterwegs zu sein. Mittlerweile ist Hilde Hildebrecht 61.

Mehrmals in der Woche radelt sie zwischen ihrem Heimatdorf und der vier Kilometer entfernten Stadt Kalbe hin und her. Dort erledigt sie Aushilfstätigkeiten, aber auch Einkäufe. Dort geht sie zur Post oder auch mal zum Arzt. Allerdings braucht sie den nicht oft. "Meine Werte sind super", so die Altmerslebenerin, die sich nicht erinnern kann, je wegen einer schweren Erkältung krankgeschrieben worden zu sein. Dabei hat sie 45 Jahre lang gearbeitet. Ohne Unterbrechung. Die meisten Berufsjahre, nämlich genau 40, hat sie in Kalbe absolviert. "Und in all der Zeit bin ich nur 296-mal mit dem Bus gefahren oder von anderen mitgenommen worden. Ansonsten hieß es immer, in die Pedale zu treten. Bei Wind und Wetter. Ich habe darüber genau Buch geführt", erzählt die Neurentnerin, die seit Dezember eigentlich ihren Ruhestand genießen könnte, die aber viel zu viel Freude an der Arbeit hat und gern bei anderen hilft. Vorzugsweise in Kalbe. Deshalb ist die Frau mit der neongelben Warnweste und dem Stirnband auch nicht aus dem regionalen Straßenbild verschwunden. Im Gegenteil. Inzwischen hat sie sogar ein Fahrrad mit Elektromotor.

Das, so erzählt die zweifache Mutter, habe ihr vor drei Jahren einer ihrer Söhne geschenkt. Der sei von anderen geneckt worden, weil er, sein Bruder und der Vater immer mit dem Auto unterwegs seien und sich die Mutter auf der Straße abstrampeln müsse. Doch Hilde Hillebrecht genießt es, in die Pedale zu treten, hat aber inzwischen auch die Vorzüge des Elektromotors kennengelernt. "Ich liebe es, wenn die Landschaft dann so an mir vorbeizieht", sagt sie.

"Das Autofahren geht mir zu schnell"

Hat sie denn nie daran gedacht, die Fahrerlaubnis zu machen? "Die habe ich doch. Schon seit 1976", sagt sie mit Nachdruck - und schiebt dann leiser hinterher: "Aber ich habe ein bisschen Angst vorm Autofahren. Das geht mir alles zu schnell." Da sei es mit dem Tretmobil doch gemächlicher, so Hilde Hillebrecht.

Sie, die Angst vor Schnelligkeit hat, ist aber furchtlos, wenn es darum geht, allein auf der Straße unterwegs zu sein. Nur einmal, so erzählt sie, da sei ihr doch ein bisschen mulmig gewesen. "Aber erst, als ich zu Hause war. Da habe ich auch gedacht: Glück gehabt, Hilde." Was war passiert? Ein Kleinbus mit Celler Kennzeichen, so die Dauerradlerin, habe zwischen Kalbe und Altmersleben am Straßenrand gestanden, und zwei Männer hätten daran umhergewerkelt. "Ich habe gestoppt und gefragt: "Jungs, kann ich helfen?", so Hilde Hillebrecht. Doch die Männer hätten nur gegrinst und gesagt: "Was würdest Du denn machen, wenn wir Dich jetzt hier in den Laderaum sperren würden?" Erst habe sie gelacht, so die Altmerslebenerin. Doch bis zu ihrem Zuhause sei ihr das dann vergangen.

Dennoch setzte sie sich am nächsten Tag wieder aufs Rad, fuhr zur Arbeit in der Raiffeisen-Warengenossenschaft, wo sie zwischen 1987 und 2010 für Küche und Reinigung zuständig war. Zuvor hatte Hilde Hillebrecht, die gelernte Bäckerin, die sich zwischen 1968 und 1973 in Altenbrak (Harz) auch zur Kellnerin und Köchin ausbilden lassen hatte, die Küche des Rates des Kreises Kalbe geleitet. Ihre Kollegen hätten es stets beachtlich gefunden, dass sie bei jeder Witterung mit dem Fahrrad gekommen sei, weiß Hilde Hillebrecht. "Aber ich sage immer: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung", so ihre Worte. Und hat sie Sturm und Regen wirklich immer standgehalten? "Naja", so gibt sie zu, "abgestiegen bin ich schon - aber nie freiwillig." So sei sie mal am Kalkberg vom Fahrrad gefallen, weil dort so hoch Schnee gelegen habe. Und dann sei da vor ein paar Jahren dieser ignorante Pkw-Fahrer gewesen, der sie regelrecht von der Straße geschubst habe. Er habe einen, in ihrem Gegenverkehr befindlichen Lkw überholt. "Und für drei war auf der Straße kein Platz. Also musste ich in den Graben ausweichen." Seitdem, so Hilde Hillebrecht, trage sie die Warnweste.