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Kunsthistoriker Frank Högg begutachtet das Trüstedtsche Haus / Sein Vorschlag für die Sanierung: Außen edel, hinten preiswert

Von Philip Najdzion 09.03.2011, 04:27

Die Stadt Gardelegen lässt derzeit ein Gutachten für das Trüstedtsche Haus erstellen. Der Kunsthistoriker und Bauingenieur Frank Högg aus Wasserleben (Landkreis Wernigerode) soll eine Bestandsaufnahme machen und zugleich Sanierungsvorschläge unterbreiten. Das Gutachten werde vom Denkmalschutz gefordert, bevor über weitere Maßnahmen am Haus gesprochen werden kann, sagte Bauamtsleiter Engelhard Behrends.

Gardelegen. Der Zustand des Trüstedtschen Hauses sei für den Laien "eine komplette Katastrophe", sagt Bauhistoriker Frank Högg. Denn seit der letzte Mieter aus dem inzwischen einsturzgefährdetem Haus ausgezog, ist kaum etwas passiert. Und auch Högg war skeptisch, als er das Haus zum ersten Mal sah. "Da gebe ich keinen Pfifferling drauf", sei sein erster Gedanke gewesen. Doch dann begann seine Arbeit.

Högg dokumentiert die Schäden, untersucht, wie das Haus ursprünglich einmal ausgesehen haben muss. Und er recherchiert im Archiv über die Familie Trüstedt. Denn jedes Haus erzähle auch die Geschichten der Menschen.

Das Trüstedtsche Haus beherbergte den ehemaligen Gardeleger Bürgermeister Johannes Trüstedt. Das Bürgerhaus aus dem 17. Jahrhundert steht unter Denkmalschutz.

Auf einem Fassadenbalken prangt ein lateinischer Spruch in Weiß. Nur die Großbuchstaben sind mit schwarzer Farbe abgesetzt. Es sind zugleich römische Zahlen, erzählt Högg. Das M steht für 1000, das D für 500 und das C für 100 und so weiter. Zählt man die Zahlen zusammen erhält man 1648 - das Erbauungsjahr des Trüstedtschen Hauses, sagt Högg.

"Diese Schreibweise war zu der Zeit modern", erzählt Högg: "Es hat dem Bürgermeister gefallen. Er hat sich anscheinend viel auf seine Bildung eingebildet."

Im ersten Obergeschoss muss es früher auf der rechten Seite einen Erker gegeben haben. Denn der Tragebalken läuft nicht durch, es gibt zwei. Der rechte steht etwas vor. Abgeschnittene Balken deuten zudem auf Träger hin, genauso wie Befestigungsreste an der Seite des Gebäudes. "Eventuell ist der Erker beim Stadtbrand beschädigt worden", vermutet der Bauhistoriker.

Eine Woche schaute er sich das Haus an, dokumentierte den Zustand, fotografierte und nahm Holzproben. Am Ende wird er der Stadt eine Sanierungsempfehlung geben. Fest steht: Das Haus lässt sich nicht zu 100 Prozent retten. Högg: "Es gibt Bereiche, die sind rettungslos verloren." Der Hausschwamm hat sich in manchen Tragebalken eingenistet. Es herrscht Einsturzgefahr.

Die Fachwerkfassade mit ihrer dreifachen Vorkragung und dem Giebel sei etwas Besonderes, betont Högg. Wenn sie erhalten werden könnte, wäre das ein Erfolg. "Sie zeigt, welche hochkarätig historische Stadt Gardelegen ist", erklärt Högg. Außerdem sei das Dachgebälk in einem guten Zustand.

Die Lösung könnte für ihn heißen: "Nach außen edel, dahinter preiswert." Hinter der historischen Fassade könnte die Stadt ein modernes Gebäude entstehen lassen. Hierzu müsste das Haus aber erst einmal komplett abgebaut werden.

"Es gibt Bereiche, die sind rettungslos verloren"

Die wertvollsten Teile müssten nach Schäden untersucht werden. Högg schätzt, dass etwa ein Fünftel des Gebälks der Fassade wiederverwendet werden könnten. Anschließend könnte die Fassade mit Teilen des Original-Tragwerkes rekonstruiert werden. Die Kosten der Zimmermannsarbeiten schätzt er grob auf 100 000 Euro. Högg: "Die Sanierung ist hochgradig von öffentlichem Interesse und zu einem hohen Prozentsatz förderfähig."

Das Gutachten, das er erstellt, gibt aber nicht bloß eine Sanierungsempfehlung, es dokumentiert das Gebäude, dessen Aufbau, dessen Zustand, dessen Besonderheiten. Denn, wenn ein Eigentümer seiner Erhaltungspflicht nicht nachkomme, kann er ein Gebäude, das unter Denkmalschutz steht unter bestimmten Bedingungen abreißen - aber erst, wenn er seiner Dokumentationspflicht nachgekommen ist.

Im Erdgeschoss war wohl ein Eingangsfoyer. Hohe Decken mit rotem Gebälk waren mit Renaissance-Malerei verziert. Doch auch dort wird der Verfall sichtbar. Neben dem Rankenmotiv wächst der Hausschwamm.

Die Trüstedts hatten viel Land besessen, waren Bierbrauer und reich. Auf der Steuerliste finde sich ein Eintrag von 1567, erzählt der Gutachter. Der Urgroßvater von Johannes Trüstedt bezahlte 196 Gulden. Die Steuern seien auf die Hausstelle bezogen gewesen. Später übernahm Johannes Trüstedt diese Steuer.

Das bedeute, dass die Trüstedts bereits fast 100 Jahre vor dem Bau des Trüstedtschen Hauses an der heutigen Rudolf-Breitscheid-Straße ansässig gewesen seien und dort vor 1648 ein Haus gestanden haben müsse. Davon zeugten auch die Gewölbekeller, die wahrscheinlich aus dem 16. Jahrhundert seien.

Der Reichtum der Familie zeige sich zudem in einer Geldspende, erzählt Högg. Im 16. Jahrhundert spendete die Stadt Gardelegen dem Markgrafen von Brandenburg 300 Taler, die Familie Trüstedt gab 200 Taler.

Hinterm Haus erstreckt sich ein großes Grundstück. Auch das Gebäude im Hinterhof sei mehr als 300 Jahre alt. Am Haupthaus gab es noch einen zweiten Erker, einen für das stille Örtchen. "Oben war das Klo, und man machte direkt auf den Misthaufen darunter", erklärt Högg.

Heute stehen an der Seite abstützende Holzpfähle. Denn schlussendlich sei dieses Haus auch gefährlich. Sicherungspflicht ist das Stichwort. Die Alternative kenne er aus Halle. Plane davor und Problem vergessen. Das Haus am Marktplatz heiße seitdem im Volksmund "Spukhaus".

Doch auch die andere Alternative sei häufig. Denn in Sachsen-Anhalt und Thüringen gebe es eine regelrechte "Abrisswelle" historischer Gebäude, bedauert Högg. Auch wenn ihm dies viele Aufträge beschert, dürfte es ihm als Bauhistoriker nur bedingt gefallen. Denn schließlich verstehe er sich als Brückenbauer zwischen Objekt und Verantwortlichen.

"Ohne Gutachten geht gar nichts"

Bauamtsleiter Engelhard Behrends sagte, die Stadt wolle weiter das in Privathand befindliche Haus kaufen, mit Fördergeld sanieren und dann an die Wobau GmbH verkaufen. Das war im Oktober im Hauptausschuss prinzipiell begrüßt worden - allerdings solle aus Kostengründen nur die Fassade erhalten und dahinter neu gebaut werden. "Ohne Gutachten geht gar nichts", sagte Behrends. Anfang dieses Jahres hatte Bürgermeister Konrad Fuchs gesagt, die Stadt wolle lieber eine Sanierung des stiftungseigenen großen Hospitals fördern. Behrends bezeichnete dies als "kühne Idee", bei der aber die Eigenmittel zum Problem werden könnten. Er verteidigte den städtischen Auftrag an den Gutachter, obwohl das Haus noch in Privatbesitz sei. Dadurch werde das Verfahren erheblich abgekürzt.