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Erzieherinnen der Kitas Derben und Bergzow absolvieren 100-Stunden-Fortbildungsprogramm / Ein Kernpunkt ist: "Das Kind muss die Welt selbst entdecken dürfen"

Von Sigrun Tausche 15.01.2011, 05:22

Alle Erzieherinnen der Johan-niter-Kitas Bergzow und Derben haben im Laufe des vergangenen Jahres ein 100-Stunden-Fortbildungsprogramm im Rahmen des Pro-jekts "Kita elementar" absol- viert. In dieser Woche hatten auch die Eltern die Möglichkeit, etwas über die Inhalte des Programms zu erfahren. Anschließend erhielten die Erzieherinnen ihre Zertifikate.

Derben/Bergzow. "Kita elementar" ist ein Projekt zur Förderung von Projekten zur Verbesserung der vorschulischen Bildung durch Qualifizierung des Betreuungspersonals. Diese Qualifizierungs- maßnahmen werden finanziell vom Land Sachsen-Anhalt und durch den Sozialfonds der Europäischen Union unterstützt. So wurde diese 100-Stunden-Inhouse-Schulung – eine Schulung vor Ort in den Kitas, bei der Probleme und Möglichkeiten direkt erkannt werden können – möglich.

"Ein Überdenken der Haltung zum Kind"

Die Erzieherinnen sind begeistert von dem Programm, das sie erfolgreich absolviert haben. Stellvertretend für alle fasste dies die Derbener Kita-Leiterin Manuela Deicke zu Beginn des Elternabends zusammen. "Es war für uns ein Überdenken unserer Haltung zum Kind", sagte sie. Den Schwerpunkt sieht sie darin, dass man als Erwachsener, speziell als Erzieher, dem Kind mehr zutrauen soll, dass es die Chance haben muss, eigene Lösungswege zu finden, und dass sich deshalb die Erwachsenen etwas mehr zurücknehmen sollten. "Es ist nun alles ein bisschen offener in unseren Einrichtungen, und auch äußerlich hat sich einiges verändert. Wir sind voller Elan und haben uns für die nächsten Jahre einiges vorgenommen."

Ein großes Dankeschön richtete Manuela Deicke auch an die Eltern, die den Erzieherinnen für die Fortbildung einige Schließtage gewährt haben, "weil sie ja wussten, dass es für ihre Kinder ist."

Das 100-Stunden-Programm für die beiden Kitas wurde von den Referenten Dr. Norbert Vollmer und Stephanie Bemmann betreut. Dr. Vollmer stellte das Programm kurz vor und erläuterte Gründe und Ziele. Das Programm gliedert sich in sechs Module. Im ersten geht es unter anderem um rechtliche Grundlagen und um das Bildungsprogramm "Bildung elementar – Bildung von Anfang an", im zweiten um das Spiel der Kinder, um Sprache und Kommunikation und die Förderung von Schlüsselkompetenzen, im dritten um pädagogische Professionalität und die Gestaltung von Bildungsräumen, im vierten um Beobachtung und Dokumentation, im fünften um Erziehungspartnerschaft und im sechsten um die Gestaltung von Übergängen – in die Kita und insbesondere von der Kita zur Grundschule.

Erziehung des Kindes zu Eigenverantwortung

Über einige Kerngedanken der modernen Sichtweise auf die Kindererziehung sprach Dr. Vollmer anschließend. Das wichtigste Anliegen sei, Kinder zu Eigenverantwortung und Gemeinschaftssinn zu erziehen, betonte er. Dies zu tun und gleichzeitig die Kinder ständig im Auge zu haben, schließe sich aus, stellte er klar. "Wenn Kinder lernen sollen, mit Risiken umzugehen, müssen sie auch die Chance haben, damit zu leben." Erziehung sei nicht die Vermeidung jedes Risikos, sondern kalkuliertes Risiko. "Das Maß der Aufsicht muss mit dem Erziehungsziel in Einklang gebracht werden. Was pädagogisch nachvollziehbar ist, kann also keine Verletzung der Aufsichtspflicht sein."

Jedoch genau dies sei ein Vorwurf, der von Eltern zunehmend ausgesprochen werde, ja sogar Drohungen mit dem Anwalt würden sich häufen. Das bestätigte auch JUH-Regionalvorstand Reinhard Doberenz. Die Johanniter-Unfallhilfe ist Träger sehr vieler Kitas, deshalb ist dort das Problem von Eltern-Beschwerden hinreichend bekannt. Das führe zunehmend dazu, dass Erzieherinnen mitunter regelrecht Angst vor den Eltern haben, weiß Dr. Vollmer. "Wenn zu Hause ein Unfall passiert und sich das Kind verletzt, dann ist das nichts weiter, aber wehe, es passiert in der Kita."

In einer Liste von Kinderrechten – aus dem Blickwinkel des Kindes gesehen, fasste Dr. Vollmer am Schluss auch noch einmal zusammen, was Erwachsene ihrer anderen Sichtweise wegen oft vergessen: "Ich habe ein Recht auf schmutzige Hosen und Schuhe. Ich habe ein Recht auf Schrammen und Beulen. Ich habe ein Recht auf Springen, Klettern, Rennen, Balancieren…" und noch etliches mehr.

"Im Spiel lernen Kinder im Grunde alles"

Ein weiterer Schwerpunkt seiner Ausführungen war die Bedeutung des Spiels. Im Grunde lernen Kinder beim Spiel alles, was sie für die Schule brauchen, betonte er. Man müsse sie nur lassen, das heißt, ihnen nicht immer nur Fertiges zu servieren, sondern sie selbst die Welt entdecken lassen.

Stephanie Bemman erteilte den Teams der beiden Kitas ein großes Lob: "Sie sind aufgeschlossen und engagiert, haben Lust darauf, sich weiterzubilden." Die gemeinsame Arbeit habe Spaß gemacht und auch allen viel gebracht.