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Nach der Flucht aus der Heimat im heutigen Polen wurde erst Melkow, dann die Klosterstadt das neue Zuhause Erna Linder: Jerichows einzige 100-Jährige

Von Sigrun Tausche 09.02.2015, 02:29

Erna Linder hat am Sonntag ihren 100. Geburtstag gefeiert. Sie ist die älteste Einwohnerin der Klosterstadt, auch wenn man ihr das nicht unbedingt ansieht. Freundlich und entspannt hat sie gestern die vielen Gratulanten empfangen. Später wurde dann mit der Familie gefeiert.

Jerichow l Erna Linder ist in Hammer (heute Rudnica) im damaligen Landkreis Oststernberg (Polen) geboren. Geheiratet hat sie 1938. Im Juli 1939 wurde ihre Tochter Vera geboren, und nur wenig später, am 1. September 1939, wurde ihr Mann zum Militär eingezogen.

Gegen Ende des 2. Weltkriegs musste die Familie wie so viele andere die Heimat verlassen. Vera Fromm war damals etwa sechs Jahre alt und kann sich noch gut daran erinnern, als sie nur wenig von ihrem Hab und Gut in den Handwagen packten und loszogen. Ihr sei damals durchaus klar gewesen, dass von heute auf morgen alles anders ist, dass alles weg ist, was sie besaßen, und dass die Situation sehr ernst ist. "Wir hatten dort zu essen und dann plötzlich nichts mehr. Die Kühe wurden im Dorf zusammengetrieben und nicht mehr gemolken. Sie blieben zurück.

Unter den harten Bedingungen der Flucht sei ihre Schwester, damals noch ein Baby, gestorben, berichtet Vera Fromm. Ihre Mutter habe alles getan, um wenigstens sie zu retten.

Eine Zeitlang waren sie im Aufnahmelager Bad Freienwalde. Als dort viele Menschen krank wurden, verließ Erna Linder mit ihrer Tochter das Lager. In Melkow fanden sie 1946 eine neue Bleibe. Dort arbeitete Erna Linder auf dem Bauernhof. Ihren Ehemann sah sie nach dem Krieg nie wieder: Er wurde als vermisst gemeldet.

Ab 1953 arbeitete Erna Linder im Chemiefaserwerk Premnitz in der Dederon-Abteilung und war auch stellvertretende Meisterin. 1966 zog sie zu ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn in deren Haus in Jerichow. Sie arbeitete bis zur Rente als Haushaltsgehilfin bei Bäcker Rode und danach auch noch als Aushilfe. So war es auch nicht ganz überraschend, als Ulrich Rode gestern vor der Tür stand - trotzdem war der Jubel groß, denn er packte eine tolle Geburtstagstorte aus.

Zu den Gratulanten gehörte auch Bürgermeister Harald Bothe, der auch die Glückwünsche von Ortsbürgermeister Andreas Dertz überbrachte, weil dieser im Urlaub ist. Und vom Landkreis gratulierte der stellvertretende Landrat Bernhard Braun. Er überbrachte auch die Glückwünsche von Ministerpräsident Reiner Haseloff, und sogar von Bundespräsident Joachim Gauck war ein Grußschreiben eingetroffen.

Bei so vielen guten Wünschen muss die Jubilarin einfach noch eine Weile fit bleiben. Immerhin liest sie noch jeden Tag die Zeitung und verrichtet kleine Arbeiten in der Küche. Zum Beispiel hat sie tags zuvor fleißig Gemüse geschnippelt, damit die Tafel an ihrem Geburtstag für die vielen Gäste reich gedeckt ist. "Das hätte ich allein gar nicht alles geschafft", betont Vera Fromm.

Auch sonst hat Erna Linder immer noch ein wachsames Auge auf Haus, Hof und Garten. Zum Beispiel achtet sie darauf, dass die Mülltonnen pünktlich draußen stehen, oder gibt wertvolle Tipps, was im Garten zu tun ist.

Stolz sein kann sie auf ihre Familie, die sich schon tüchtig vergrößert hat: drei Enkel, drei Urenkel und ein Ururenkel gehören dazu.