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Twitter-Oma Mit Renate wieder zum Bestseller

Die fiktive Oma Renate Bergmann hat zigtausend Fans im Internet und einen Bestseller geschrieben. Jetzt ist ihr zweites Buch erschienen.

11.08.2015, 06:01

Genthin l Neulich an der Wursttheke: Torsten Rohde will noch schnell zwei Steaks fürs Abendbrot holen - mit der Betonung auf schnell. Er ist nämlich in einer viertel Stunde verabredet. Aber nix da. Vor ihm in der Schlange macht sich eine betagte, sehr wählerische Dame an ihre Bestellung. Resultat: Zehn Minuten Wurst-Casting für ein Päckchen mit fünf Scheiben. Rohde grinst, zückt sein Handy, öffnet die Twitter-Seite von Renate Bergmann und tippt: "Ich kaufe immer eine Scheibe von jeder Sorte Aufschnitt. Aber nicht die Trockene von oben. Ob die Verkäuferin das nervt, ist mir egal." Senden.

Sein Spruch geht an 28.000 Menschen im Kurznachrichtendienst Twitter, dazu kommen 15.000 Fans auf Facebook, wo die Wurst-Weisheit drei Minuten später erscheint. Rentner-Comedy für Deutschland made in Genthin.

Seit zweieinhalb Jahren belustigt Rohde jetzt schon die Internetgemeinde als Oma Renate. Mindestens dreimal täglich. Das meiste denkt er sich spontan aus, sagt der 41-Jährige immer in Interviews; er werde ja ständig inspiriert. Der flunkert doch, denkt dann wohl oft der Leser.

Aber ein Treffen mit ihm im Bäckercafé, und man kauft es dem Mann ab: Da verschwindet man nur kurz, um Kaffee zu holen, kommt zurück - schon schielt er schmunzelnd zum Nachbartisch. Vier Seniorinnen sitzen da. "Das wird wieder was", wispert er. "Wie ausführlich sie grad ihre Sitzordnung besprochen haben - goldig!"

Renates Fans spielen mit

Sein schrulliges, neugieriges, spießiges und vor allem sehr direktes Alter Ego hat Rohdes Leben gewaltig verändert. Er ist jetzt nicht nur Deutschlands bekannteste Twitter-Oma, sondern auch Bestseller-Autor: Auf Anfrage einer Literaturagentur schrieb Torsten - Pardon, Renate - vor einem Jahr ein Buch mit Kurzgeschichten zu ihren besten Sprüchen. "Ich bin nicht süß, ich hab nur Zucker" landete auf Platz elf der Spiegel-Bestsellerliste.

Das war im Juli, da arbeitete der studierte Betriebswirt noch als Controller. Inzwischen hat er gekündigt. "Ich musste lernen, dass bei einem Buch das Schreiben nur die Hälfte der Arbeit ist", erklärt der Genthiner, während er tiefenentspannt in seinem Latte Macchiato rührt. "Die andere besteht darin, es zu vermarkten. Und parallel dazu schreibt man noch am nächsten Buch." All das nach Feierabend zu meistern, funktionierte nicht lange.

Da seit gut einer Woche sein zweites Buch in den Läden steht, steckt Rohde jetzt wieder mitten im zweiten Teil der Arbeit. Sein Alltag: Vormittags setzt er sich für mindestens drei Stunden zum Schreiben an den Laptop, nachmittags gibt er Interviews - neben Zeitungen und Fernsehsendern interessieren sich vor allem Internetblogs. Nicht zu vergessen selbstverständlich die täglichen Nachrichten fürs Internet.

Bei Letzteren spielen Renates Fans oft sogar mit, erzählt der 41-Jährige: "Wenn ich morgens bis neun Uhr nichts geschrieben habe, fragen die ersten: \\\'Frau Bergmann, sollen wir einen Arzt schicken?`" Eine echte Oma, meint er, vermute hinter der Seite kaum noch jemand. Immerhin gab sich der Genthiner im vergangenen Sommer, nach anderthalb Jahren Rätselraten um Renate, durchaus medienwirksam zu erkennen.

Jeder kennt eine Omi wie Renate

Dass er für die erfundene Rentnerin mal seinen Job aufgeben würde, hätte Rohde am Anfang nicht im Traum gedacht. "Es war doch nur ein Gag!", sagt er. Eine Parodie auf all die Eigenheiten und Bemerkungen seiner Omas und Tanten, die er alljährlich zu Weihnachten beobachtete. Anstrengend, aber irgendwie auch liebenswert. Am 16. Januar 2013 gab seine Kunstfigur ihr Twitter-Debüt: "Guten Tag. Ich heiße Renate Bergmann und bin neu hier. Ich suche nette Damen oder Herren für gemeinsame Unternehmungen. Bitte schreiben Sie."


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Über Nacht gewann ihre Seite Hunderte Fans, wenige Tage später waren es 1000. Irgendwann stellten die aber Fragen an Renate, so musste Rohde eine Biografie erspinnen. Seitdem ist Frau Bergmann Jahrgang 1931, wohnhaft in Berlin, Ex-Reichsbahnerin, viermal geschieden. Twitter hat sie entdeckt, als ihr Neffe ihr ein Handy schenkte - "so eines mit einer Glasscheibe vorn und einer angebissenen Tomate hinten."

Die Sprüche, die Renate seitdem in die Welt setzt, sind nicht nur kess, sondern manchmal auch makaber. Besonders, wenn`s um ihr Hobby geht: Mit Freundin Gertrud besucht sie liebend gern Beerdigungen fremder Leute - samt Leichenschmaus, versteht sich. Dann twittert sie Dinge wie: "Wenn Gertrud und ich zum Essen zur Beerdigung gehen, sagen wir immer \\\'Frohen Leichnam` und zwinkern uns zu. Heute ist Herr Täubler dran."

Nimmt einem sowas denn niemand übel? Rohde zuckt mit den Achseln. "Bisher habe ich keinen getroffen, der mir böse war. Generell fühlt sich eigentlich niemand persönlich angesprochen." Das erklärt er sich so: "Omis wie Renate gibt es heute gar nicht mehr. Aber jeder kennt oder kannte mal eine. Und obwohl er sie nervig findet, hat er sie lieb."

Recherche in der Rehaklinik

Wo der Genthiner zu seinen überspitzten Sprüchen inspiriert wird, überlässt er in der Regel dem Zufall. "Ich ziehe jedenfalls nicht los zum Omas Gucken", beteuert er lachend. Dann fügt er mit sanfter Stimme hinzu: "Man beobachtet doch im Alltag genug: im Wartezimmer, auf der Straße, beim Friseur." Außerdem könne er viel aus der Erinnerung an seine Omas und Uromas schöpfen.

Das Ergebnis kommt offenbar nach wie vor an: Rohdes neues Buch "Das bisschen Hüfte, meine Güte" ist nach nur zwei Verkaufstagen auf Platz 32 der Spiegel-Bestseller-Liste eingestiegen.

Für den Roman hat er seiner Inspiration ausnahmsweise auf die Sprünge geholfen. Er ging auf Recherche in der brandenburgischen Rehaklinik Wandlitz. In seiner Geschichte landet Renate Bergmann dort nach einer Hüftoperation. Um aufzuschnappen, worüber die gemeine Reha-Rentnerin so lamentiert, schlich Rohde einen Tag lang durch die Gänge, flanierte im Kurpark und tummelte sich im Klinikcafé.

Dort bekam er zum Beispiel mit, wie zwei Damen über den Patientenchor lästerten. "Wenn man da nicht hingeht, gibt`s nen Eintrag in die Akte", witzelte die eine. Perfekt, dachte er, genau wie Renate.

Als Autor betrachtet sich Rohde nicht

Er selbst hat, mal abgesehen vom Sinn für Humor, nichts mit ihr gemein. Weder optisch - Rohde ist groß und nahezu faltenfrei - noch mit Blick auf Vorlieben. Denn im Gegensatz zu Renate liebt er Marathonläufe und hasst Nordhäuser Doppelkorn. Und er steht ungern im Rampenlicht. Selbst bei seiner anstehenden Lesereise nimmt er sich zurück: Der 41-Jährige tritt gemeinsam mit einer Schauspielerin auf, die seine erfundene Oma spielt. "Ich bin nicht der Typ, der sich öffentlich produziert", erzählt er.

Torsten Rohde ist auch nicht der Typ, der angibt. Er bezeichnet sich nicht mal als Autor. "Ich bin bisher nur jemand, der etwas aufschreibt. Vielleicht ändert sich das, wenn ich irgendwann in eine andere Rolle schlüpfe." Moment mal: Kein Autor, obwohl er es auf eine Bestseller-Liste geschafft hat? "Naja, das hat Dieter Bohlen ja auch."