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Ex-Bürgermeister und Buchautor Magnus Staehler hält Vortrag in Osterwieck und regt auch Tabubrüche an 25 Millionen Euro Schulden erdrücken die Stadt

Von Mario Heinicke 09.11.2013, 02:05

Magnus Staehler war 15 Jahre Bürgermeister von Langenfeld in Nordrhein-Westfalen. Er hat in seiner Amtszeit die hochverschuldete Stadt, die ähnlich wie Osterwieck mehrere Ortsteile hat, in die Schuldenfreiheit geführt. Am Donnerstagabend sprach er in der Ilsestadt vor Politikinteressierten darüber.

Stadt Osterwieck l Der Zillyer Matthias Niwa ist kein Lokalpolitiker, aber oft Beobachter von Osterwiecker Stadtratssitzungen. Ihm ist die "Kirchturmpolitik" aufgefallen, die Abgeordnete für ihre Heimatorte gar nicht mal so selten betreiben, statt gemeinsam für die Stadt Osterwieck aufzutreten.

"Das war bei uns anfangs genauso. Mit Langenfeld wollte keiner etwas zu tun haben", blickte Magnus Staehler zurück. Bis zur dritten Wahlperiode habe es gedauert, bis man sich zusammengerauft hatte. Osterwieck sei noch eine junge Einheitsgemeinde, wurde erst 2010 gebildet. "Sie müssen auf Gedeih und Verderb zusammenarbeiten. Sonst werden sie im Wettbewerb der Regionen untergehen", appellierte der Referent. Das Beispiel der Stadt Oberharz, die bereits fremdverwaltet wird, nannte Staehler dabei als Warnung. "Das ist die Alternative."

Eine Stadt schuldenfrei zu machen, das erfordere für den früheren Bürgermeister (1994 bis 2009) eine Strategie, die auch Tabubrüche beinhaltet. Von Sprüchen wie "das haben wir schon immer so gemacht" habe man sich verabschiedet. Eine "Blaupause", um die Langenfelder Schritte auf Osterwieck zu übertragen, gebe es aber nicht. "Jede Stadt muss ihren eigenen Weg gehen."

Stadt sollte nicht der größte Immobilienbesitzer sein

25 Millionen Euro beträgt der Osterwiecker Schuldenstand, die sogenannten Kassenkredite, eine Art Überziehungskredite, einbezogen. "Du kannst nur Geld ausgeben, das du einnimmst", vermittelte der 55-Jährige eigentlich eine Binsenweisheit. Doch in Osterwieck steigt das Minus immer noch an, wird also mehr ausgegeben als in die Kasse kommt.

Die Stadt, wurde Staehler konkreter, solle sich nicht mit Aufgaben beschäftigen, die sie nichts angehen. "Ich bin nicht der Meinung, dass die Stadt der größte Immobilienbesitzer sein muss oder Forst- und Landwirtschaftsflächenbesitzer ist." Osterwieck besitzt noch rund 200 Immobilien, vom Wohnobjekt bis zum Dorfgemeinschaftshaus. 300 Hektar Wald nennt die Stadt ihr eigen, auch Ackerflächen besitzt Osterwieck.

Die Existenz einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft betrachtet Staehler mit Skepsis. Gerade wegen des hohen Leerstands unter den 400 Wohnungen sollte man sie verkaufen. Vielleicht an ein Unternehmen, das hier bezahlbaren Wohnraum für den Großraum Braunschweig vermarktet.

"Wenn sie das alles am Markt verkaufen, werden sie einen heftigen Bieterwettbewerb bekommen", sagte Staehler.

Dorfgemeinschaftshäuser müsse man konsequent abstoßen. "Es kann nicht Aufgabe einer Kommune sein, Belustigungssäle zu unterhalten, die zehn oder 20 Tage im Jahr genutzt werden." Solche Themen umzusetzen, "ist nicht vergnügungssteuerpflichtig, aber da muss man durch".

Sportanlagen mit Gebühren werden mehr wertgeschätzt

Sportanlagen seien in Langenfeld an die Vereine übertragen worden, die mit einem festen Budget ohne Chance auf einen Nachschlag auskommen müssen. Für die Sportstättennutzung würden Gebühren erhoben. "Das hat zur Folge, dass solche Einrichtungen von den Nutzern wesentlich mehr wertgeschätzt werden."

Der Referent zweifelt auch an, ob - trotz aller Traditionen - jeder kleine Ort eine Feuerwehr haben muss. Oder ob man nicht besser Wehren zusammenlegt, sofern die zwölf Minuten Anrückzeit weiterhin gewährleistet sind. "Der Tag wird kommen, wo nicht mehr genügend Feuerwehrmänner und -frauen da sind." Osterwieck muss immerhin 18 Ortsfeuerwehren unterhalten.

"Rückzug auf das absolut Notwendigste", fasste Staehler die Aufgaben der Stadt zusammen.

Er kritisierte aber auch die Politik der "süßen Fördermittel". Oft werde nicht an die Folgekosten des mit hohen Zuschüssen Gebauten gedacht.

Überhaupt die Landespolitik: Durch den 2019 auslaufenden Solidarpakt sei es vorauszusehen, dass die Kommunen noch weniger Landeszuweisungen als jetzt bekommen. Statt sich mit Protestschreiben an das Land aufzuhalten, solle man die Energie lieber für neue Ideen aufbringen.

Um den Schulterschluss zwischen Verwaltung, Rat und Bürgern angesichts solcher Tabubrüche hinzubekommen, sei ständige Information wichtig. Staehler habe früher monatlich zu Einwohnerversammlungen eingeladen. "Stadtpolitik muss erklärt werden." Bürgerschaftliches Engagement sei mehr als vorher notwendig.

Mit dem Begriff "Stadt" die Stadtverwaltung zu meinen, sei übrigens der falsche Ansatz. "Die Stadt sind die Bürgerschaft und die Unternehmen der Stadt." Das Rathaus sei lediglich deren Dienstleister.

Motivation für die Kommunalwahlen

Als der Landtagsabgeordnete Bernhard Daldrup (CDU) versuchte, die Osterwiecker ein wenig in Schutz zu nehmen, weil hier zum Beispiel die Wirtschaftskraft geringer sei und ja schon einiges getan worden sei, um die Finanzen auf Vordermann zu bringen, erntete er den Widerstand von Staehler. "Den Zahn muss ich ihnen ziehen, dass die Welt hier in Ordnung ist. Die 25 Millionen sind ein Mühlstein, der die Stadt erdrückt."

Osterwiecks Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ (Buko) hatte Magnus Staehler, der auch ein Buch über seine Langenfelder Erfahrungen geschrieben hat, mit Bedacht ein halbes Jahr vor der Kommunalwahl in die Ilsestadt geholt. Finanziert übrigens durch den Verein KPV Sachsen-Anhalt, der im Land kommunalpolitisches Handwerk vermittelt. "Wir können sicher nicht alles 1:1 umsetzen, aber wir müssen neue Wege gehen - mit jungen und mit erfahrenen Leuten", sagte die Stadtchefin. Ein Lichtblick war es für sie, dass auch junge Leute aus mehreren Osterwiecker Orten Interesse an dem Vortrag zeigten.