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Gespräch mit Hans-Jörg Bauer über das John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt im Burchardikloster "Uns umgibt eine große Freundlichkeit"

Von Sabine Scholz 14.01.2015, 02:04

Erfolg beflügelt, stimmt optimistisch. Und nachdem das erste Jahr ohne Klangwechsel beim Cage-Projekt erfolgreich beendet wurde, blicken die Macher gelassener in die Zukunft. Denn auch 2015 wird kein neuer Ton in der Burchardikirche erklingen.

Halberstadt l Das lange Metallband zieht sich über alle Wände der alten Kirche. Die Metalltafeln darauf tragen Jahreszahlen, Namen, Sinnsprüche. Manche Namen sind prominent, so wie der von Tamara Danz. Die 1996 verstorbene Frontfrau der Band "Silly" wurde im vergangenen Jahr auf diese Weise geehrt - von ihren Bandkollegen. Denn "Silly" war im Herrenhaus des Burchardiklosters zu Gast und überraschte mit dem Auftritt einen Mediziner: Prof. Dr. Wolfram Wermke. Der Leberspezialist war Nachbar und Freund von Tamara Danz, begleitete sie nach der Brustkrebs-Diagnose. Nach Halberstadt war er gereist, weil ihm als Pionier der Ultraschalldiagnostik die Walter-Krienitz-Gedenkmedaille verliehen werden sollte.

An die festliche Veranstaltung, das kurze Konzert und die Gespräche im Herrenhaus erinnert sich Hans-Jörg Bauer gern. Als Mitglied des Kuratoriums der John-Cage-Orgel-Stiftung gehört er zu den Menschen, die in Halberstadt das international beachtete Orgelprojekt "So langsam wie möglich" betreuen und am Leben halten. Das Stück von John Cage soll noch 625 Jahre lang in der alten Klosterkirche St. Burchard klingen. Während die Kirche nur dem Cage-Werk gewidmet ist, öffnet sich das Herrenhaus auf dem einstigen Klosterhof auch für andere Veranstaltungen.

Dazu zählen eine Ausstellung zum künstlerischen Schaffen von Johann-Peter Hinz, zum filmischen Werk Alexander Kluges oder 2014 Arbeiten von Kindern und Jugendlichen, die sich mit dem Prinzip der Zufälligkeit auseinandersetzen. "Es waren wundervolle Bilder und vor allem großartige Fotos, die die Leipziger Kinder unter Anleitung von Frank Tangermann geschaffen hatten", sagt Bauer rückblickend. "Der Geist von Cage war in den Räumen zu spüren."

Das Herrenhaus bietet Räume, die geradezu nach einer Nutzung als Ausstellungsfläche schreien, sagt der in Halberstadt heimisch gewordene Musikwissenschaftler und freut sich deshalb besonders auf eine Ausstellung, die für den September dieses Jahres in Vorbereitung ist. Mary Bauermeister, eine renommierte zeitgenössische Künstlerin und Gattin des Komponisten Karlheinz Stockhausen, plant unter anderem, Papierarbeiten des Schriftstellers und Philosophen Rudolf zur Lippe in Halberstadt zu zeigen.

Dass das Herrenhaus in den Jahren ohne Klangwechsel mit besonderen Veranstaltungen "bespielt" werden kann, haben die Akteure Unterstützern zu verdanken, die nicht in Halberstadt zu Hause sind. So hatte die Robert-Rauschenberg-Stiftung aus New York überraschend 10 000 Dollar nach Halberstadt überwiesen. Geld, das für die Veranstaltungen zwischen den Klangwechseln Verwendung findet.

"Wir sind nicht nur in Japan angekommen, sondern auch in Halberstadt."

Neben Ausstellungen sind es die Meisterkurse, die zum internationalen Renommee des Halberstädter Projektes beitragen. Mit Geld aus der Karin und Uwe Hollweg-Stiftung Bremen finden alle zwei Jahre Meisterkurse für zeitgenössische Musik in Halberstadt statt. War der erste noch etwas verhalten angenommen worden, hatte sich der dritte Kurs zu einem Treffen hochkarätiger Musiker gemausert. Beim ersten Meisterkurs standen die Streicher im Vordergrund, beim zweiten Akkordeon und Schlagzeug und beim dritten die Organisten mit der Interpretation zeitgenössischer Orgelmusik.

"Auch diese Diskurse von Meistern ihres Faches mit einem Lehrmeister, der ihnen auf Augenhöhe begegnet, empfinden wir als ganz im Sinne von John Cage stehend." Organisiert von Ute Schalz aus Bremen, erfreuen sich die Meisterkurse wachsender Akzeptanz und Beliebtheit - was nicht nur an den 3000 Euro Preisgeld liegt, das an die Besten vergeben wird.

Über einen Preis konnten sich die Mitglieder der Stiftung und des Fördervereins des Cage-Projektes im vergangenen Jahr selbst freuen. Sie wurden vom Deutschen Werkbund ausgezeichnet. Weil das Projekt eine Veränderung in der Wahrnehmung der Zeit und den Menschen in ihr erzeuge sowie ein großes Vertrauen in die Zukunft voraussetze, hieß es in der Begründung für die Preisverleihung.

"Nach so einem erfolgreichen Jahr kann man nur zuversichtlich in die Zukunft blicken", sagt Bauer, "auch wenn wir unübersehbar vor Schwierigkeiten stehen." Wenn auch nicht vor so großen, wie vor einigen Jahren, als man kurz davor stand, "die weiße Fahne zu hissen".

Die Finanzierung des Projektes ist so eine Herausforderung. Auch wenn die Stadt vor Jahren 15 000 Euro in das Stiftungsvermögen gab, die Zinsen decken nicht mal die Betriebskosten. "Um von Zinsen des Stiftungsvermögens leben zu können, müssen wir das Vermögen weiter aufbauen, dazu bedarf es potenter Geber", erklärt Bauer eine der Aufgaben, die für die nächsten Jahre zu bewältigen ist. "Noch leben wir von der Hand in den Mund, aber wir werden satt und können andere kulturell und geistig nähren."

Soll heißen, das Auskommen ist gesichert, aber große Sprünge sind nicht drin. Doch da haben alle Beteiligten inzwischen ein großes Stück Gelassenheit dazugewonnen. "Bei den richtig großen Dingen hilft meist der Zufall, das Prinzip, dem sich John Cage verpflichtet fühlte", sagt Bauer, "wobei Gelassenheit nicht heißt, dass wir uns zurücklehnen."

Eine andere Aufgabe benennt Bauer so: "Wir alle altern mit dem Projekt und mancher von uns stößt an seine Leistungsgrenzen." Deshalb sei die Suche nach jüngeren Mitstreitern wichtig, egal, ob für das Kuratorium der Stiftung oder den wissenschaftlich-künstlerischen Beirat. "Wir sind fast alles Rentner und Pensionäre und deren Kräfte und Lebenszeit sind nicht endlos", so Bauer. Wer sich dem Projekt widme, müsse schon einen größeren Zeitaufwand einplanen.

Wie sehr das Projekt vom persönlichen Einsatz der Akteute lebt, zeige unter anderem das Wirken von Margot Dannenberg, die mit viel Engagement und großer Leidenschaft Besuchern das Projekt und die Besonderheiten dieses auf 629 Jahre Aufführungsdauer gedehnten Musikwerkes nahebringt.

Auf einen Erfolg ist Hans-Jörg Bauer besonders stolz: "Wir sind nicht nur in Japan angekommen, sondern auch in Halberstadt." Großen Anteil daran haben die vielen Menschen, die sich in die Gestaltung des Klostergeländes einbringen. "Wir freuen uns über die tolle Zusammenarbeit mit Detlef Rutzen. Der bringt sich mit der Mannschaft des AWZ hier unglaublich ein. Viele Leute helfen dabei, dieses Gelände zu etwas Besonderem zu machen. Uns umgibt eine große Freundlichkeit", sagt Bauer.

Er habe das Gefühl, dass man in Halberstadt mehr und mehr den Wert dieses manchmal schwer verständlichen Projektes verstehe. Das hier ist kein Konzert im herkömmlichen Sinn, es steckt viel Philosophie darin. "Egal, ob man über Zeit, Vergänglichkeit, den Freiheitsgedanken in der Kunst oder die Gleichbehandlung der Töne redet, es eröffnen sich immer wieder neue Welten, wenn man sich mit Cage und unserem Orgel-Projekt auseinandersetzt."