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Nachbardörfer im Okertal erinnern an die Grenzöffnung vor 25 Jahren Aus Euphorie wird Normalität

Von Mario Heinicke 23.03.2015, 02:26

Im Okertal ist das Jubiläum der Grenzöffnung vor 25 Jahren gefeiert worden. Etwa 150 Menschen aus den Nachbardörfern Göddeckenrode und Isingerode trafen sich am Sonnabend zunächst direkt an der heutigen Landesgrenze.

Göddeckenrode l "Wow". Wenn Sieglinde Oellerich 25 Jahre zurück an jenen 3. März 1990 denkt, fehlen ihr zunächst die Worte. Geschätzte tausend Menschen von überallher kamen seinerzeit zu dieser Grenzöffnung. "Das war super", sagte Oellerich, die heute Ortsbeauftragte in Isingerode ist. Auch damals trafen sich die Nachbarn an der Grenze, anschließend gingen sie zur Feier in den "Itschenkrug", wo auch Sieglinde Oellerich beim Bewirten der Massen half.

Isingeröder schenkten ihr Feuerwehrauto

Diesmal nun wurde in Göddeckenrode auf dem Dorfplatz im Festzelt gefeiert. Aber in viel kleinerem Rahmen als 1990. Die Ortsbeauftragte aus Niedersachsen zeigte sich schon etwas enttäuscht, dass nicht mehr aus ihrem Dorf mitgekommen war. Aber die Grenze ist eben gerade für die Jüngeren nicht mehr existent.

Die Isingeröder und Göddeckenröder leben in Sichtweite nicht nur nebeneinander, sondern auch miteinander. Die Feuerwehr aus Niedersachsen hatte ihrer Nachbarwehr noch 1990 ihr Einsatzfahrzeug geschenkt, das "hier bis mindestens 2002 gute Dienste leistete", wie Wülperodes Ortsbürgermeister Dirk Heinemann feststellte. "Ich denke, dass diese Fahrzeugübergabe ein wichtiger Grundstein für die sich so vorbildlich entwickelte Freundschaft beider Ortswehren war."

Auch der Name Lüttgau verbindet beide Nachbardörfer. Die Landwirts- und Müllerfamilie musste 1952 aus Göddeckenrode flüchten, fand in Isingerode ihre neue Heimat. Zur Wendezeit war Eberhard Lüttgau Vizelandrat. Er hatte eine große Aktie daran, dass dieser Grenzübergang geschaffen wurde, wie Heinemann feststellte. "Auch in der Folgezeit engagierte sich Eberhard Lüttgau für unsere Gemeinde." Beispielsweise bei der Flurneuordnung in Wülperode und Göddeckenrode.

Wiedersehen unter früheren Grenzern

Nicht nur Einheimische waren zum Grenzöffnungsjubiläum gekommen, sondern auch einstige Grenzschützer, die sich jahrelang dies- und jenseits des Zauns gegenüberstanden. Auf Westseite die Zollbeamten Peter Hanke und Dieter Hoffmann sowie Bundesgrenzschützer Lothar Engler, auf der Ostseite zum Beispiel der letzte Wülperöder Kompaniechef Gerd Raab oder Helmut Maushake, Offizier im Bataillonsstab Hessen. Ein Wiedersehen heute unter Freunden.

Göddeckenrode liegt jetzt in der Mitte Deutschlands

Natürlich wurden am Sonnabend viele Erinnerungen ausgetauscht. Dieter Schrader war 1990 im Gemeinderat und hatte die Festivitäten zur Grenzöffnung mit vorbereitet. Eine Kapelle aus Derenburg war von den Göddeckenrödern engagiert worden. Auf Isingeröder Seite war noch der Ortsbeauftragte Heinrich Löhr an den Vorbereitungen beteiligt, auf hiesiger der Wülperöder Bürgermeister Bernd Klamert. Seit 1998 wohnt Klamert in Göddeckenrode, er bewirtete am Sonnabend die Gäste des Festes mit.

170 Einwohner hatte Göddeckenrode 1990, blickte Bernd Klamert zurück. Heute sind es knapp 200. Freie Grundstücke gibt es kaum noch. "Wir liegen jetzt in der Mitte Deutschlands", sagte Bettina Grünewald, die vor 25 Jahren als Vechelderin keine Ahnung hatte, wo Göddeckenrode überhaupt liegt. Heute ist sie stellvertretende Ortsbürgermeisterin. Wie so viele Niedersachsen fand sie Gefallen an diesem Landstrich im Okertal und siedelte sich hier an. Rund die Hälfte der Einwohner sind verglichen zu 1990 neu im Dorf. "Alt und neu leben gut zusammen", bestätigte Dieter Schrader. Auch die Feuerwehr profitiert davon. Von den 13 Mitgliedern zur Wende ist deren Stärke auf 21 Leute angewachsen, wie Wehrleiter Reinhold Kahmann berichtete. Und mit den Isingerödern ist man nach wie vor regelmäßig bei Versammlungen und Übungen zusammen.

Göddeckenrode war früher der westlichste Ort im Bezirk Magdeburg und hat dieses Alleinstellungsmerkmal heute auch in Sachsen-Anhalt. Den Grenzzaun hatten die Einwohner in zwei Himmelsrichtungen vor Augen. "Ich kann mir nicht vorstellen ,so eingeschlossen zu sein", bekennt Bettina Grünewald. Sie kennt die Grenze auch nur von den Fotos, die Jörg-Andreas Altenburg, ebenfalls ein Zugezogener, für eine Ausstellung zusammengetragen hat und am Sonnabend nochmal zeigte.

Kreisstraße lädt nicht zur Fahrt gen Osten ein

Die Harzer Vizelandrätin Heike Schäffer machte sich am Sonnabend ebenfalls auf zum Grenzöffnungsjubiläum und musste dafür nur einen Katzensprung von zu Hause zurücklegen. Sie wohnt in Hornburg, der Osterwiecker Partnerstadt. Als der Eiserne Vorhang fiel, hatte sie dort genau an der Straße nach Hoppenstedt gewohnt - und nach der Grenzöffnung die zunächst zu Fuß kommenden Menschenmassen miterlebt. "Das waren unheimlich große Emotionen."

Nur für Fußgänger war anfangs auch der Grenzübergang bei Göddeckenrode geöffnet. Heute fahren dort die Einwohner zur Arbeit, zum Einkaufen. Sie sind weit stärker nach Niedersachsen als nach Osterwieck oder gar Halberstadt orientiert. Zumal die marode Kreisstraße Richtung Osten Autofahrer auch nicht gerade einlädt. "Ein Ausbau ist für uns nicht machbar", sagte Heike Schäffer. "Wir haben als Landkreis nicht die Mittel."

Dennoch hat sich Göddeckenrode selbst in den 25 Jahren gut entwickelt, schätzen auch Dieter Schrader und Bernd Klamert ein. Die kommunalen Straßen sind saniert, es gibt ein modernes Abwassersystem, ein Dorfgemeinschaftshaus mit Dorfplatz. Nur eben die leidige Kreisstraße ...