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Steinwurf / lebenslange Haft droht Mordversuch an Bundesstraße 79

Die Staatsanwaltschaft in Halberstadt ermittelt wegen Mordversuchs gegen
Unbekannt. Anlass ist der gezielte Wurf eines knapp zehn Kilogramm
schweren Steins von einer Brücke auf ein auf der B 79 fahrendes Auto.
Dessen Fahrer hatte riesengroßes Glück.

Von Dennis Lotzmann und Horst Müller 27.04.2015, 19:01

Halberstadt/Dardesheim l André K. hatte buchstäblich alle Schutzengel auf seiner Seite. Einige Zentimeter nur und er hätte die Fahrt auf der B 79 bei Dardesheim womöglich mit seinem Leben bezahlt. Schließlich traf der fast zehn Kilogramm schwere Stein, den Unbekannte von einer Brücke warfen, die Frontscheibe seines VW Phaeton direkt - zum großen Glück für den 38 Jahre alten Mann aus Gera im unbesetzten Beifahrerbereich. Gleichwohl ist der Vorfall am späten Sonntagabend für den Chefankläger der Staatsanwaltschaft in Halberstadt eine klare Sache: "Wir reden hier von einem Mordversuch", so Oberstaatsanwalt Hauke Roggenbuck zur Volksstimme.

André K. ist am Sonntag gegen 22 Uhr mit seinem Wagen auf der B 79 in Richtung Hessen unterwegs und nimmt gerade die Ortsumfahrung von Dardesheim als es passiert. Beim Unterfahren der Brücke Thieweg gibt es plötzlich einen lauten Knall und die Frontscheibe des Wagens bricht. Der Fahrer zuckt zusammen, wird von Glasplittern im Gesicht getroffen und reißt das Lenkrad wahrscheinlich instinktiv nach links. Wenige Meter hinter der Brücke kracht er auf der gegenüberliegenden Straßenseite in die Leitplanken.

Wie durch ein Wunder übersteht der 38-jährige K. den Unfall mit vergleichsweise leichten Verletzungen. An ein Wunder grenzt es auch, dass die sonst stark befahrene Straße in diesem Moment leer ist und K. mit seinem schweren Wagen niemanden im Gegenverkehr erwischt. So bleibt es - weil die Schutzengel ganze Arbeit geleistet haben - bei hohem Sachschaden und Ermittlungen wegen Mordversuchs.

Denn die Polizei schließt wenig später aus, dass der Thüringer Opfer eines Unglücks wurde, weil sich Bauteile von der Brücke gelöst haben. "Wir sind ziemlich sicher, dass wir es hier mit einem Feldstein zu tun haben - 30 mal zehn mal zehn Zentimeter etwa und 9,8 Kilogramm schwer", sagt Polizeisprecher Peter Wöde.

Eine Vermutung, die Stefan Hörold von der Landesstraßenbaubehörde am Montagmorgen untermauert: "Wir haben unsere Brücken ständig im Blick", so seine erste Reaktion. Wenig später, nach einer Kontrolle seiner Mitarbeiter vor Ort, ist sich Hörold 100-prozentig sicher: "Von unserer Brücke stammt der Stein nicht."

Damit ist klar, dass André K. Opfer eines hinterhältigen, feigen Anschlags von einem oder mehreren Steinwerfern geworden ist. Für Oberstaatsanwalt Hauke Roggenbuck ist der Vorfall aus strafrechtlicher Sicht denn auch eindeutig: "Wir ermitteln hier nicht nur wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, sondern auch wegen versuchten Mordes."

Wer Steine oder andere Gegenstände von Brücken auf fahrende Autos herabwerfe, nehme den Tod der Autoinsassen mindestens billigend in Kauf, so Roggenbuck. Obendrein erfülle die Tat das typische Mordmerkmal der Heimtücke - die Autofahrer unter der Brücke seien ebenso arg- wie wehrlos.

Der oder die Täter müssen daher nach den Worten des Oberstaatsanwalts mit der vollen Härte des Gesetzes rechnen: "Bei Mord droht eine lebenslange Haftstrafe. Dabei spielt es erst einmal keine Rolle, ob die Tat letztlich tödlich endet oder im Versuchsstadium - auf Mord und versuchten Mord stehen lebenslange Freiheitsstrafen." Bleibe es beim Versuch, sei jedoch eine Strafmilderung denkbar.

Darauf konnte Nikolai H. nicht ansatzweise rechnen. Der bundesweit als Holzklotz-Mörder bekanntgewordene Mann sitzt mittlerweile lebenslang ein. Er hatte am Ostersonntag 2008 bei Oldenburg einen 5,9 Kilogramm schweren Holzklotz von einer Brücke auf die Autobahn 29 fallen lassen. Der Klotz hatte - wie von Nikolai H. gewollt - einen Wagen getroffen und dessen Windschutzscheibe durchschlagen. Die 33 Jahre alte Beifahrerin war sofort tot. Ihre beiden Kinder auf der Rücksitzbank und der Ehemann am Steuer mussten die Tragödie miterleben. Die vierköpfige Familie war auf der Rückreise aus dem Ostseeurlaub.

Roggenbucks Einschätzung des aktuellen Steinwurfs von Dardesheim ist mittlerweile von höchstrichterlicher Rechtsprechung gedeckt: Der drogenabhängige Nikolai H. hatte die Tat von Ostersonntag 2008 gegenüber der Polizei und vor dem Ermittlungsrichter gestanden, sie später aber widerrufen. Das Landgericht Oldenburg verurteilte ihn wegen Mordes, dreifachen Mordversuchs an den weiteren Insassen und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu lebenslanger Haft. Das Urteil wurde später vom Bundesgerichtshof in vollem Umfang bestätigt. Nikolai H. kann damit frühestens nach 15 Jahren Haft erstmals einen Antrag auf vorzeitige Entlassung stellen.

Auch die Polizeibeamten, die sich erstmals mit einer solchen Straftat im Harz konfrontiert sehen, setzen jetzt alles daran, die Tat von Dardesheim schnell aufzuklären. Der oder die Täter haben vermutlich gute Ortskenntnis und wussten, dass der Thieweg eine nur von landwirtschaftlichen Fahrzeugen genutzt Sackgasse ist. Sonntags um 22 Uhr dürften wohl kaum Passanten oder andere Zeugen ihren Weg gequert haben.

Die Polizei bittet dennoch die Bevölkerung um Mithilfe und fragt: War hat am Sonntag, 26. April, gegen 22 Uhr im Bereich des Thieweges oder in der Ortslage Dardesheim verdächtige Personen oder Fahrzeugbewegungen bemerkt?

Hinweise bitte unter Telefon (0 39 41) 67 41 93 an die Polizei.