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Ehemalige Mitschüler erinnern sich an ihr Abitur vor 60 Jahren an der Heimoberschule "Zeit in Weferlingen hat uns stark gemacht fürs Leben"

Von Marita Bullmann 18.06.2013, 03:20

Weferlingen l Ihre Abiturzeugnisse haben die Frauen und Männer sieben Tage vor dem 17. Juni 1953 erhalten. Die bewegte Zeit hat ihr Leben geprägt. Und ihre gemeinsame Zeit an der Heimoberschule Weferlingen, an die sie sich beim jüngsten Treffen erinnert haben. Für Leni und Klaus-Dieter Helmke trifft das besonders zu. Die Weferlingerin und der Colbitzer haben sich in der Schule kennengelernt und zwei Jahre nach dem Abitur geheiratet, 1956 ist ihre Tochter in Weferlingen geboren, doch sie sahen hier für sich keine Zukunft. Hans Helmkes Vater hatte ein Sägewerk in Colbitz, sein anderer Besitz wurde eingezogen. 1953 wurde er wegen "Wirtschaftsverbrechen" inhaftiert. Als das an der Schule bekannt wurde, durfte Hans Helmke die Prüfungen nicht beenden, es sei denn, er würde sich von seinen Eltern lossagen. Nur eine mündliche Prüfung stand noch aus. Er bekam nur ein Abgangszeugnis. Und Leni Helmke, die damals noch Steffens hieß, durfte nicht Medizin studieren. Hans Helmkes Vater wurde am 17. Juni 1953 aus dem Gefängnis in Magdeburg befreit. In Munster baute er sich eine neue Existenz auf, dorthin zogen schließlich auch Leni und Klaus-Dieter Helmke.

Sylva Nüse ist die Einzige aus dem Jahrgang, die in Weferlingen geblieben ist. "Sylva hält uns zusammen", versichert Erika Riley, die mit ihrem Mann aus Kalifornien kam.

Die Heimoberschule in Weferlingen war damals Anlaufpunkt für junge Leute aus der ganzen Region. Viele kamen aus der Altmark, auch Sylva Nüse. Die Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit hatten sie von Dresden über Berlin hierher verschlagen. Sie verliebte sich in einen Weferlinger und blieb. Über Jahrzehnte hat sie den Kindergarten im Ort geleitet. Ihre Tochter Iris Steckhan ist in ihre Fußstapfen getreten, sie leitet heute den Hort. Und sie hat auch die Jubilare durch den Kindercampus geführt. Wo heute das moderne Gebäude für die Hortkinder steht, stand damals das Jungenwohnheim, das Neue Schloss. Die Männer sahen sich neugierig um, freuten sich, dass zumindest der Blick auf die rote Mauer des früheren Landambulatoriums noch geblieben ist.

Auch für die Frauen war der Besuch im Kindercampus interessant. Als sie 1949 nach Weferlingen kamen, gab es für zehn keinen Wohnheimplatz. Sie mussten im September im Musikzimmer der Schule schlafen und zogen im Oktober in die Pension Boden. Die hatte allerdings keine Verpflegung, so mussten sie zum Essen immer ins Jungenwohnheim. Und weil sie sonst nur Wasser in der Schüssel zum Waschen hatten, durften sie freitags auch dort duschen.

"Ich bin überwältigt von dem Kindercampus", schwärmte Rosemarie Schwarz. So etwas würde sie in Stuttgart von ihren Enkeln nicht kennen. Rosemarie Schwarz stammt aus Köckte. "Die Zeit in Weferlingen war meine schönste Zeit, sie hat uns stark gemacht fürs Leben." Erika Riley, sie stammt aus Cobbel, stimmt ihr zu. "Die Pension hat uns damals auch sehr verbunden." Und der Hunger. Die "Mädchen" von damals erzählen von den zwei Scheiben Brot mit Marmelade, manchmal war noch Quark darunter. Vom Kartoffelstoppeln auf dem Gut in Seggerde und vom Ährenlesen. Auch vom Beerensammeln im Wald, damit die Köchin daraus Marmelade kochen konnte. Erika Riley hat als Stewardess bei PanAm gearbeitet, hat in Brüssel ihren Mann kennengelernt und lebt heute mit ihrer Familie in Kalifornien. "Es ist aus jedem was geworden", bekräftigt sie.

Das sieht Wolfgang Buchholz genauso. Der Historiker saß von 1990 bis 1994 für die FDP im ersten Landtag von Sachsen-Anhalt. Und als Mitglied des Petitionsausschusses hatte er dann auch die Bitte des Vereins zur Wiedereinführung der Abiturstufe in Weferlingen mit auf dem Tisch. Nach 1962 konnten die Schüler in Weferlingen nämlich nur noch bis zur 10. Klasse lernen, aber kein Abitur mehr ablegen. Als es hieß, ob denn da überhaupt Potenzial sei für ein Gymnasium, hatte er entgegnet, er könne ja schnell mal ein paar ehemalige Schüler - Doktoren und Professoren - heranrufen. Und da meinte er auch Prof. Dr. Norbert Bannert aus seinem Abi-Jahrgang. Der Siestedter war lange Chef einer Fachklinik des Zentrums für Kinderheilkunde an der Magdeburger Universität. "Die Schule gehört hierher", bekräftigte Buchholz. Bei den vielen Kindern im Kindercampus und der Umgebung müsste doch die Zukunft gesichert sein.

Die ehemaligen Mitschüler kommen öfter zusammen. Und sie freuen sich immer über das Familiäre dabei. Um die Bewirtung kümmert sich nämlich Anke Höltge, Sylva Nüses zweite Tochter.