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Tradition Schlachter lässt die Peitsche knallen

Obwohl sich die jungen Männer in Etingen verkleiden, tanzen und singen, hat das Wurstsingen im Drömlingsdorf rein gar nichts mit dem Travestiekünstler Conchita Wurst zu tun. Das Wurstsingen hat nämlich Tradition.

Von Anett Roisch 18.02.2015, 02:30

Etingen l 160 Eier und 30 Würste, dazu viele mehr oder weniger alkoholhaltige Getränke und auch Geld - die Einwohner von Etingen zeigten sich am Sonntag wieder mehr als großzügig. Anlass dazu war das traditionelle Wurstsingen. Das Singen entstand 1924 aus der Not heraus. Vom Ursprung her zogen Knechte und Mägde einst durch das Dorf, um von den wohlhabenden Bauern Lebensmittel zu erbitten. Heute ist das Etinger Wurstsingen ein Brauch, den es zu bewahren gilt. Dabei wird es immer schwieriger, eine Truppe zusammen zu bekommen. Während früher immer nur Junggesellen beim Wurstsingen dabei waren, sind es jetzt auch einige bereits verheiratete Männer, die helfen, dass die Tradition nicht ausstirbt", erzählte Schlachter Stefan Bühnemann, genannt Haui.

Die Neueinsteiger wurden vom harten Sängerkern angelernt. Zwei Läufer wurden vorgeschickt. Diese erledigen ihren Job - die Ankündigung des Sängervolkes.

Um sich Respekt zu verschaffen, ließ Bühnemann als Anführer der finsteren Gestalten seine Peitsche knallen und die Rasseln erklingen. Er hatte bei der Organisation der Brauchtumspflege alle Fäden in den Händen.

"Wir haben schon einiges an Köstlichkeiten zusammen", verkündeten die Auserwählten. Auf halber Strecke gab es für die Wurstsänger eine erste Stärkung bei der Familie von Tim Evers. Tims Vater hatte extra für die Wurstsänger den Partyraum geheizt. Der Geschmack und die Wirkung der ersten Gaben wurde erst einmal getestet. Gemeinsam mit Daniel Leiding hatte Tim auch im Vorfeld Besorgungen erledigt.

Dem Brauch nach soll mit Tanz und volkstümlichem Gesang lautstark der Winter vertrieben werden. Die Etinger konnten scheinbar den Besuch kaum erwarten. Sie rückten - wie schon in den Jahren zuvor - freiwillig Speisen und Getränke heraus. Wer nicht zu Hause war, hatte zuvor meist blindlinks alles, was die Herzen der jungen Männer begehren, bereitgestellt. Glück gehabt, denn wer nichts gibt, steht im Dorf als Geizhals da.

"Die Schweineblasen haben wir aufgepustet und getrocknet", beschrieben die gruseligen Gestalten. Eindrucksvoll führten sie vor, wie sie die Blasen auf den Rücken derer tanzen lassen, die nichts für die Sänger übrig haben.

Unter dem Sängervolk war auch ein legendärer Physiker. Albert Einstein höchstpersönlich tanzte nämlich mit einer männlichen Großmutter im Walzerschritt.

Und auch Guy Fawkes war dabei. Laut Wikipedia war er ein katholischer Offizier des Königreichs England, der am 5. November 1605 in London ein Sprengstoff-Attentat auf dessen König Jakob I. und das englische Parlament versuchte. Natürlich würde er heutzutage keine Bomben mehr zünden. Die Gestalt würde nun das Gefühl von Einigkeit und Anonymität vermitteln. Die Popularität der Maske beruht unter anderem auf einem Comic und dem darauf basierenden Kinofilm.

Scheinbar unermüdlich zog die wilde Bande ihren Handwagen weiter. Nach dem Spektakel begannen die Sänger, einen weiteren Teil ihrer fetten Beute zu verspeisen.

Und weil der Festschmaus nicht zu schaffen war, wurde am Rosenmontag weiter gefeiert. Zu den Gästen gehörten Bewohner des Ortes und vorallem die einstigen Wurstsänger, die Geschichten aus ihrer Jugend erzählten.