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Nach der Flut Schönhauserin veröffentlicht ihr Hochwasser-Tagebuch

01.03.2014, 01:20

Schönhausen (asr) l "Als das Hochwasser kam" ist der Titel eines Taschenbuches, das dieser Tage erschienen ist. Dabei handelt es sich um ein Tagebuch einer Schönhauserin, die unter dem Pseudonym Elke Martina Hermann schreibt. Ihren Namen hat sie nicht vollständig genannt, "obwohl die Schönhauser sicher so und so schnell wissen, von welcher Familie hier die Rede ist", sagt die 55-Jährige. "Elke Martina" sind ihre Vornamen und "Hermann" der ihres Großvaters.

Auf 119 Seiten hat sie die Erlebnisse zwischen dem 8. und 23. Juni aufgeschrieben. Jeden Abend im Evakuierungslager setzte sie sich hin, machte Notizen, auch, als sie zurück zu Hause war und das große Aufräumen auf dem elterlichen Hof in der Märsche begann. Denn sie ist mit ihrem Haus in der Gartenstraße verschont geblieben, "wofür ich sehr dankbar bin". Dafür ist das Haus ihrer Eltern, beide über 70 und gerade ihre Mutter gebrechlich, stark betroffen.

Schon der Großvater war Deichbeauftragter

Schon Elke Martinas Großvater Hermann war Deichbeauftragter in Schönhausen, 1964 übernahm ihr Vater dieses Amt. Deshalb kennt die Familie den Deich in- und auswendig, "schon als Kind bin ich mit Opa oder Vati jeden Sonntag mit dem Fahrrad zur Elbe gefahren".

Von den großen Sorgen, die sie sich über den Zustand des Grundstückes macht, sind die Tage geprägt, die Elke Martina Hermann in Evakuierung verbringt. Denn in der Nacht zum 10. Juni muss sie Schönhausen verlassen. Zusammen mit dem erwachsenen Sohn, der Schwester und den Eltern geht es in das Stendaler Berufsschulzentrum. In den Klassenräumen standen die Feldbetten. "Ich weiß genau, wenn meine Mutter es jemals schafft, sich dort auf das Bett zu legen - hochkommen würde sie auch mit Hilfe nicht mehr", heißt es dazu im Buch. Der Notfallseelsorger hilft, organisiert eine Unterkunft im Diakonissen-Mutterhaus. Morgens um 4.30 Uhr kommen sie dort an. Das Zimmer wird für viele Wochen das Heim ihrer Eltern. Die Autorin selbst schläft in der ersten Nacht auch im Diakonissenhaus, später im Hotel. Sie saugt alle Informationen auf, die in den kommenden Tagen von Schönhausen durchdringen und in der Zeitung stehen. Sie besucht die Eltern, einziges Gesprächsthema ist die Katastrophe. Sie lesen von Fischer Quaschny und seiner Hilfsaktion, sind so stolz auf ihn und dankbar, dass er die Gebliebenen versorgt. "Solche Taten machen Mut. Und das ist es, was man jetzt braucht: Mut und Zuversicht, dass es irgendwie weitergeht." Bei einem Besuch bei den Eltern hält der Vater die Zeitung in der zitternden Hand und schaut immer wieder auf die Fotos, die auch die Märsche am so wunderschön gelegenen Park zeigen - jetzt tief versunken im Wasser.

Um sich abzulenken, nimmt die Schönhauserin schnell wieder ihre Arbeit in einem Labor auf, das sich in einem großen Unternehmen westlich der Elbe befindet, also auf trockenem Land. Bis zu dem Tag, an dem sie zusammenbricht und kurz ins Krankenhaus muss. Die gut bekannte Ärztin Dr. N. aus Schönhausen hält täglich Sprechstunden im Evakuierungslager ab. Sie schreibt sie krank.

Nach 13 Tagen geht es das erste mal zurück nach Hause

Die Sorgen um Schönhausen wachsen von Tag zu Tag: Was hat das Wasser angerichtet? Gibt es Plündereien? Was ist mit den vielen toten Tieren, die im Wasser treiben? Darum kümmern sich die Dagebliebenen, erfährt sie. "Wie gut, dass doch einige im Ort zurückblieben sind", stellt sie fest und empfindet Dank für deren Leistungen.

Nach 13 Tagen geht es zurück nach Hause, "dass wir uns auf Schlimmes gefasst machen sollen", hatte der Sohn schon telefonisch mitgeteilt. So beschreibt die Autorin die Heimkehr (Auszüge):

"In der Breitscheidstraße, Höhe Melkerhotel, geht es nicht mehr weiter - zu hoch steht das Wasser noch. Wir parken unsere Autos hier. Meine Mutter bleibt im Auto sitzen. Nun laufen wir in Gummistiefeln durch die Märsche. Der Park sieht schrecklich aus. Das Wasser schwappt unter unseren Füßen. Es kommt mir vor, als würde hier ein Film ablaufen. Kisten, Tonnen, viele andere Gegenstände, die man nicht genau erkennen kann, schwimmen herum, wurden von irgend woher angespült. Nun kommen wir an unserem Haus an. Hier haben wir vor 13 Tagen ein großes, blühendes Grundstück verlassen. Und nun? Ich sehe nur ein einziges Chaos. Alles - alles ist grau und mit Schlamm bedeckt. Es gibt keine Farben mehr. Ich habe den Eindruck, das hier ist ein riesiges Geister-Grundstück. Im Stall herrscht ein Riesen-Durcheinander. In der Wirtschaftsküche schwimmen die Propangas-Flaschen herum. Ich frage mich, wie wir all das nur aufgeräumt bekommen. Wir wollen noch in den Keller schauen - die Tür geht nicht auf. Aber wir wissen auch so, dass die fünf Kellerräume alle noch meterhoch unter Wasser stehen. Und nun gehen wir ins Haus hinein.

Die Tür lässt sich kaum öffnen. Alle Holztüren haben sich total verzogen. Wir haben immer noch gehofft, dass das Wasser nicht ins Haus eingedrungen ist. Aber nun wird diese Hoffnung brutal zunichte gemacht. Wir laufen über Pfützen, über wabernde Teppiche, die Möbel sind unten alle schon verschimmelt. Tapeten sind bis in Höhe von etwa 30 Zentimetern schwarz und lösen sich. In der Luft liegt ein furchtbarer Geruch. Mein Vater ist ganz still, Worte findet er keine.

Dank allen Menschen, die geholfen haben

Wir verlassen das Grundstück, waten wieder durch das Wasser. Wir kommen wieder in der Breitscheidstraße an, gehen zum Auto, in dem meine Mutter schon wartet. Ich hoffe und bete, dass ihr krankes Herz das alles aushält. Von meinem Haus aus fahren meine Eltern dann wieder zurück nach Stendal ins Mutterhaus. Ich bleibe noch ein wenig in meinem Haus und gieße drinnen und draußen alle Blumen. Dann fahre ich zurück nach Stendal. Es ist die letzte Nacht in meinem Quartier, denn morgen geht es wieder nach Hause - endlich und für immer."

Mit der Veröffentlichung des Tagebuches will Elke Martina Hermann den vielen Menschen, die geholfen haben, Danke sagen. "Das fängt bei den Helfern im Evakuierungslager und im Diakonissen-Mutterhaus an, geht über die zahlreichen Spender bis hin zu denen, die beim Aufräumen halfen - nicht nur bei uns, sondern in der gesamten Region", sagt die Autorin im Volksstimme-Gespräch und dankt auch Dieter und Martina Hertel für die Fotos im Buch. Sie ist glücklich, dass die Eltern kurz vor Weihnachten wieder in das sanierte Haus zurückziehen konnten. "Leider sind viele Erinnerungen an früher verlorengegangen und auf den großen Abfallbergen gelandet."

Das Tagebuch ist demnächst bei Holger Borowski zu haben.