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Schleppender Wiederaufbau Ein Jahr nach der Flut: Es ist noch viel zu tun

Am 10. Juni jährt sich der Tag, an dem der Deich bei Fischbeck gebrochen ist und dem Elbe-Havel-Land so viel Leid bescherte. Was hat sich in einem Jahr getan, fragte Anke Schleusner-Reinfeldt den Verbandsbürgermeister Bernd Witt.

07.06.2014, 01:12

Volksstimme: Rasend schnell sind die letzten zwölf Monate vergangen. Auch wenn auf den ersten Blick die meisten Spuren der Flut beseitigt sind, so sind doch längst nicht alle Wunden geheilt. Was ist am schmerzlichsten?
Bernd Witt: Die Situation im privaten Bereich. Wenn zwar viele Hausbesitzer inzwischen die Sanierung abgeschlossen haben, so sitzen doch auch etliche immer noch auf Baustellen. Und einige warten sogar noch darauf, dass ihr Haus abgerissen wird, weil die Schäden irreparabel sind.

"502 von aktuell 705 Anträgen sind bearbeitet und bewilligt"

Wie groß sind denn die Schäden im privaten Bereich?
Bei der Investitionsbank sind bis Donnerstag genau 705 Anträge von Hausbesitzern und auch Firmeninhabern eingegangen. Davon sind 502 bewilligt. 30 Millionen Euro Wiederaufbauhilfe sind bislang in das Elbe-Havel-Land geflossen. Die durchschnittliche Schadenshöhe pro Haus beträgt 70000 Euro. Aber oft liegt sie auch im hohen sechsstelligen Bereich. 16 Eigenheime und Betriebsgebäude wie Thermoplast und Baro in Schönhausen sind abgerissen. Täglich gehen bei der Investitionsbank neue und auch Nachfolgeanträge ein - gut, dass die Frist bis Jahresende verlängert wurde.

Ist ein Fluttrauma im Elbe-Havel-Land zu spüren?
Leider ja! Die Betroffenheit ist groß. Jetzt kommt vieles erst hoch, weil die Menschen während der Bauphase keine Zeit zum Nachdenken hatten. Man ist dünnhäutiger geworden, manch einer kann immer noch nicht über die dramatischen Ereignisse im Juni 2013 reden. Das ist ja auch verständlich. Denn das alte Leben ist unwiederbringlich weg, oft sind nur wenige Erinnerungsstücke geblieben. Auch wenn finanziell alles geregelt ist, heißt das nicht, das alles vergessen ist. Das wird wohl auch noch die nächste Generation beschäftigen. Betroffen sind nicht nur die unmittelbaren Flutopfer, sondern auch die, die evakuiert worden sind. Wichtig ist, dass sie die von den Hilfsorganisationen angebotene psychologische Betreuung annehmen. Wir als Verwaltung stehen helfend zur Seite und drängen intensiv darauf, dass die Deiche schnellstmöglich sicher gemacht werden und dass wir auf mögliche Katastrophen, die uns hoffentlich nie ereilen, besser vorbereitet sind.

200 Maßnahmen in den Orten und weitere 200 außerhalb in Feld und Flur sind für den Wiederaufbau beim Landesverwaltungsamt beantragt. Nur wenige Projekte sind ein Jahr nach der Katastrophe in Angriff genommen. Warum geht es so schleppend voran?
Ich würde mir auch wünschen, dass die Menschen schneller Fortschritte sehen. Erst 28 Anträge der 400 Anträge sind bewilligt. Jeder einzelne wird intensiv geprüft. Es handelt sich ja um Mittel, die die Europäische Union zur Verfügung stellt. Und die will genau wissen, wofür das Geld verwendet wird. Das ist zum Teil verständlich. Aber da, wo die Schadenslage eindeutig ist, hätte ich mir eine zügigere Bereitstellung der Mittel gewünscht.

Was ist bereits abgearbeitet?
Die Keller im Fischbecker und im Hohengöhrener Neubaublock sind saniert und die Erneuerung des Dorfgemeinschaftshauses in Kabelitz liegt im Zeitplan. Scheibchenweise geht es weiter.

Welche Projekte stehen in den Startlöchern?
Für die beiden Brücken zwischen Schönhausen und dem Damm läuft die Ausschreibung, die Sanierung des Fischbecker Hauses der Vereine soll im August beginnen, und der Neubau des Fischbecker Gerätehauses kann hoffentlich auch bald starten. Hinter jeder einzelnen Maßnahme steckt so viel und die Menschen warten darauf, dass ein Stück Normalität zurückkehrt. Parallel zu unseren Maßnahmen laufen auch Sanierungen anderer Träger. So werden jetzt die Kreisstraße in Kabelitz und auch B107-Brücke in Klietz erneuert.

Ist der Wiederaufbau in der angestrebten Zeit bis 2016 zu schaffen?
Auf keinen Fall! Fünf Jahre werden wohl ins Land gehen. Wir konzentrieren uns zunächst auf die wichtigsten Objekte. Bis dann auch der letzte Wirtschaftsweg neu betoniert und der letzte neue Baum gepflanzt wird, ist es wohl 2020.

"Arbeitsaufwand geht zulasten anderer wichtiger Dinge"

Wie schafft das Bauamt es überhaupt, all die Dinge abzuarbeiten?
Das ist nicht leicht! Wir haben mit Peter Hackel einen zusätzlichen Ingenieur eingestellt und auch die Auszubildende Kathrin Tangelmann übernommen. Aktuell suchen wir einen weiteren Mitarbeiter. Wir bekommen dafür Fördermittel vom Land, aber auf einem Teil der Lohnkosten werden wir wohl sitzenbleiben.

Unter dem Arbeitsaufwand leidet sicher die übrige Arbeit im Verwaltungsamt?
Leider ja! Derzeit beansprucht der Wiederaufbau 80 Prozent des Arbeitsaufwandes im Bauamt. Das geht zulasten anderer Dinge, die genauso wichtig sind. Wir können uns keine Verzögerungen bei der Umstrukturierung des Schulsystems leisten, die doppelte Haushaltsführung ab 2015 muss vorbereitet werden und die bessere Ausstattung der Feuerwehren. Zu tun gibt es mehr als genug.

Was wünschen Sie sich?
Dass die Menschen mit dem Trauma das Flut umzugehen lernen, sich nicht zu Hause verstecken und gern im Elbe-Havel-Land leben. Auch wenn es schwer fällt, müssen wir in vielen Bereichen geduldig sein. Gemeinsam schaffen wir das, wir sind auf einem guten Weg.