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Flutgeschichten gegen das Vergessen

22.05.2015, 09:31

Elbe-Havel-Land (asr) l Der zweite Jahrestag des Fischbecker Deichbruchs nähert sich. Viele Wunden sind geheilt, Narben bleiben. "Gegen das Vergessen" gibt es jetzt Flutgeschichten in einem Buch, das eine Schönhauserin geschrieben hat.

"Na, isses wieder schön?" Diese Frage hören so viele Betroffene im Flutgebiet schon seit kurz nach der Katastrophe im Juni 2013 immer wieder. Das Wasser war weg, die Sonne schien und trocknete alles, Politiker stellten schnelle und unbürokratische Wiederaufbauhilfe in Aussicht. Alles wieder gut! Tatsächlich? Nein. Denn hinter den neuen Gardinen leben Menschen, die die Nacht des 10. Juni 2013 und die Tage danach längst nicht verarbeitet haben. Ganz abgesehen von den baulichen Schäden, die noch nicht behoben sind. Fernab des Elbe-Havel-Landes sind die Ereignisse schon fast vergessen. "Das dürfen sie aber nicht!" Verena Primus aus Schönhausen denkt das immer wieder, wenn sie mit Betroffenen erzählt. Und: "Das müsste jemand in einem Buch aufschreiben!" Dieser jemand ist sie selbst. Anfangs nur eine fixe Idee, "denn ich lese zwar gern, aber groß etwas geschrieben habe ich doch nie", reift der Gedanke, sich selbst hinzusetzen, immer mehr. Noch bevor ein Wort zu Papier gebracht ist, steht der Buchtitel fest. "Na, isses wieder schön?"

Verena Primus, die mit ihrem Mann Uwe die Schönhauser Tankstelle betreibt, überlegt, mit wem sie sprechen sollte, welche Fakten nicht fehlen dürfen. "Denn es soll ja kein Jammerbuch werden, sondern der Versuch, einen Querschnitt durch die verschiedenen Lebenssituationen zu ziehen - sachlich, aber auch so emotional, dass man sich als Außenstehender ein Bild machen kann von dem, was die Menschen nach dem Deichbruch erlebten und wie sie die Situation meisterten." Es sind Geschichten voller Verzweiflung und Wut, aber auch voller Optimismus." Verena Primus, selbst mit der Tankstelle und dem Wohnhaus zumindest teilweise betroffen und noch mit den Nachwirkungen kämpfend, schreibt im Vorwort: "Diese Geschichten müssen heraus aus uns! Bei jedem möglichen Treffen erzählen wir uns diese Geschichten, immer und immer wieder. Fremden in unserer Runde versprechen wir, dass wir gleich über etwas anderes reden. Aber zwei, drei Gesprächsfetzen weiter sind wir wieder beim alten Thema. Wir können nicht anders. In einer Art kollektiver Psychotherapie müssen wir erzählen und hoffen so instinktiv, etwas von den unglaublichen Erlebnissen verarbeiten zu können. Und mal ehrlich, die Damen und Herren Therapeuten hätten sowieso nicht genug Termine für und viele - und wir, wir haben keine Zeit. Wir müssen das Leben neu sortieren und im wahrsten Sinne des Wortes neu einrichten, umbauen und wieder zu uns finden."

Dem Vorwort folgen nach einem kurzen Rückblick auf die Tage, in denen die Flutwelle mit immer stärker werdendem Regen und bedrohlich steigendem Pegel auf das Elbe-Havel-Land zurollte, 23 Geschichten über Menschen, die Verena Primus ihr Erlebtes erzählen. "Das waren meist sehr bewegende Termine. Nicht selten sind Tränen geflossen. Aber die Betroffenen strahlten auch Zuversicht aus."

Es gibt so viele Kleinigkeiten, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Wie die Episode eines Schönhausers, der vom Besuch eines Versicherungsvertreters inmitten des Aufräumens auf dem Hof berichtete: Der Herr im Anzug war gekommen, um die Schäden zu protokollieren. Und sagt salopp: "Dann wollen wir uns den Müllhaufen mal anschauen." Der Betroffene ist beinahe sprachlos: "Dieser Müllhaufen war mal mein Leben!"

Nun ist "Na, isses wieder schön?" in allen Buchhandlungen zu haben.