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Verbandsbürgermeister Bernd Witt setzt große Hoffnungen auf Förderprogramm Stark 3 Finanzlage ist so schlecht, dass sogar bei Pflichtaufgaben der Rotstift angesetzt wird

10.01.2012, 04:20

Seit zwei Jahren hält Bernd Witt als Verbandsbürgermeister die Fäden im Elbe-Havel-Land in der Hand. Wie gut es den Gemeinden geht und wo der Schuh drückt, wollte Anke Schleusner-Reinfeldt von ihm wissen.

Volksstimme: Was war für Sie die beste Nachricht 2011?

Bernd Witt: Da gab es einige. Ein schönes und wichtiges Ereignis war der Umbau der Grundschule Sandau. Dann sind da noch der Baubeginn des Bürgerzentrums in Schönhausen, der Bau des Havelradwegenetzes durch Schollene und die Einweihung des Radweges zwischen Wust und Kabelitz zu nennen. Grund zur Freude gab es auch über die Ansiedlung von Frau Dr. Lüke in Schönhausen. Ebenfalls ganz wichtig ist, dass die Bundeswehrstandorte Klietz und Havelberg erhalten bleiben. Da hängt so viel dran, allein die Arbeitsplätze! Schön ist, dass wir uns im Januar letzten Jahres auf die Einsatzbereitschaft der Bevölkerung zur Kontrolle der Deiche beim Hochwasser verlassen konnten.

Volksstimme: Die Genehmigung für den Umbau der alten Schönhauser Sekundarschule zum kommunalen Bürgerzentrum, in das ja auch die Verwaltung der Verbandsgemeinde einzieht, hat lange auf sich warten lassen...

Bernd Witt: So ist der Bürokratismus in Deutschland. Hier noch eine Stellungnahme, ein Gutachten und ein Mitspracherecht, da eine Prüfung durch diese und jene Behörde. Oft wird die Geduld auf die Probe gestellt. Aber nun sind die Bauarbeiten in Gange und es geht gut voran. Wenn die Firmen, die seit Montag wieder in Gange sind, im Zeitplan bleiben, schaffen wir den Fertigstellungstermin im Sommer.

Volksstimme: Nach Sandau und Kamern ist nun auch Klietz pleite und musste 2011 in Haushaltskonsolidierung. Was ist die Ursache für die roten Zahlen auf dem Konto?

Bernd Witt: Ganz klar: es fehlt an Geld. Die Zuweisungen für die Gemeinden wurden in den letzten Jahren immer mehr gekürzt. 2008 betrugen sie an alle Gemeinden knapp 3,3 Millionen Euro und die Investpauschale 876000 Euro. 2012 liegen die Zuweisungen bei nur 2,84 Millionen Euro und die Investpauschale beträgt 565653 Euro. Das ist ein Minus von 14 Prozent bei den Zuweisungen und bei der Investpauschale sogar von 35 Prozent. Diese Differenzen lassen sich auch nicht durch die demographische Entwicklung erklären. Dazu kommt, dass es keine zusätzlichen Einnahmen über Steuern gibt. Es fehlt einfach Industrie und Gewerbe in unserer strukturschwachen Region. Es gibt noch so viele Dinge, die zu tun sind und für die wir Geld brauchen. Allein im Straßenbau. In Schollene sind noch etliche Straßen herzurichten, die Ortsdurchfahrt Neuermark-Lübars und die Kabelitzer Straße in Fischbeck können auch nicht auf die ganz lange Bank geschoben werden.

Volksstimme: Wird eine weitere Gemeinde dieses Jahr in finanzielle Schwierigkeiten kommen?

Bernd Witt: Das ist nicht ausgeschlossen. Die Rücklagen der Gemeinde Schollene sind aufgebraucht. Sie könnte die nächste Gemeinde sein, die keinen ausgeglichenen Haushalt hat. Ich bin aber trotzdem zuversichtlich, dass sie in diesem Jahr den Plan für die Schaffung der Arztpraxis umsetzen kann.

Volksstimme: Die Verbandsgemeinde will 2012 ordentlich investieren. Mit dem Fluchtweg in der Sandauer Schule, dem Dachausbau im Schönhauser Kindergarten, der Modernisierung des Klietzer Heizwerkes und dem ersten Abschnitt des neuen Schul- und Kindergartenkomplexes in Schollene sind Investitionen in Höhe von zwei Millionen Euro geplant. Wie realistisch ist die Umsetzung?

Bernd Witt: Das hängt einzig und allein von den finanziellen Zuweisungen ab. Gibt es Fördermittel oder gibt es sie nicht? Wir hoffen auf das Programm Stark 3. Nur damit können diese Pläne bewältigt werden. Wir als Verbandsgemeinde sind vorbereitet. Es gibt für diese Maßnahmen konkrete Projekte, so dass mit der Realisierung begonnen werden kann, sobald die Förderrichtlinien vorliegen. Das wird wohl bis April dauern.

Volksstimme: Auf jeden Fall kommt viel Arbeit auf das Bauamt zu. Im Verbandsgemeinderat und auch in der Bevölkerung wird der Ruf nach Erklärungen über den ehemaligen Bauamtsleiter Norbert Tanne, der seit vielen Monaten nicht im Dienst ist, immer lauter.

Bernd Witt: Er ist krank geschrieben und wird nach jetziger Information mindestens noch einige Monate ausfallen. Es läuft gegen ihn ein Disziplinar- und ein Strafverfahren. Mehr möchte ich nicht dazu sagen. Natürlich fehlt uns ein gestandener und erfahrener Bauamtsmitarbeiter. Aber durch den sehr hohen Einsatz der vorhandenen Kollegen können die Aufgaben miterfüllt werden.

Volksstimme: Zugunsten der Projekte muss nicht nur ein Kredit aufgenommen werden, sondern auch die Streichung von eigentlich dringenden Investitionen bei den Feuerwehren war nötig. Ist das zu verantworten?

Bernd Witt: Wohl ist uns dabei nicht, der Rat hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Die Kürzungen der Zuweisungen bringen uns leider soweit, dass an der Sicherheit gespart werden muss.

Volksstimme: Noch ein Wort generell zur Entwicklung des Personals im Verwaltungsamt?

Bernd Witt: Es gibt keine Veränderungen. Weitere Kürzungen, um Kosten zu sparen, sind derzeit nicht möglich. Durch die Übertragung von zusätzlichen Pflichtaufgaben wie die Einführung der Doppik sind alle Kräfte gebunden. Es gibt 27 Mitarbeiter in der Kernverwaltung. Dazu kommen 74 Erzieherinnen, Hausmeister, Sekretärinnen und Reinigungspersonal.

Volksstimme: Neben all den ohnehin schwierig zu bewältigenden Aufgaben kommt in den nächsten Jahren auch noch die Prüfung der Brücken und daraus resultierende Erneuerungen zu. Wie ist das zu bewältigen?

Bernd Witt: Das fragen wir uns auch. Bei etlichen Brücken sind die Gemeinden die Eigentümer, das heißt, sie müssen auch bezahlen. Aber wovon? Erstes Sorgenkind ist die Brücke über den Hauptgraben zwischen Schönhausen und dem Damm. Hier hat sich eine Sprungschanze gebildet. Allein die Geschwindigkeit auf 30 km/h herabzusetzen, reicht nicht, hier besteht dringender Handlungsbedarf. Aber wir wissen nicht einmal, ob es überhaupt Fördermittel gibt. Und jeder weiß, wie teuer Brückensanierungen oder Neubauten sind. Die Weiße Brücke in Schollene hat 400000 Euro gekostet, billiger werden die anderen auch nicht.

Volksstimme: Über die Entwicklung des Tourismus im Elbe-Havel-Land wurde schon viel gesprochen und geschrieben. Sind genügend Taten erfolgt?

Bernd Witt: Auf keinen Fall. Hier sind uns andere Gemeinden und Gebiete weit voraus. Da der Tourismus eine freiwillige Aufgabe ist, fehlt hier die finanzielle Unterstützung und Koordinierung. Dabei hat unsere Region so viel zu bieten! Insbesondere für den Aktivtourismus. Die einmalige Fluss- und Auenlandschaft zwischen Elbe und Havel, die Seenlandschaft mit ihren Wandernestern, Kamern mit dem Frau-Harke-Sagenpfad, der Klietzer See, die Gartenträume in Schönfeld und Ferchels, aber auch die Bismarcks und von Kattes mit ihrer Historie bieten genügend Möglichkeiten. Nicht zu vergessen die Elb-, Havel-, Altmark- und Regionalradwanderwege. Da gäbe es für eine engagierte Kraft so viel zu tun, aber wovon sollen wir sie bezahlen? Wir müssen irgendeinen Weg finden, um uns besser zu vermarkten und neue Konzepte zu entwickeln.

Volksstimme: Gerade Schönhausen stehen dieses Jahr mit 800 Jahre Kirchweihe, Fußball-Pokalfinale und Altmärkischer Tier- und Gewerbeschau gleich drei Höhepunkte ins Haus. Inwieweit ist die Verbandsgemeinde involviert?

Bernd Witt: Ich freue mich sehr auf diese drei Veranstaltungen. Sie machen nicht nur Schönhausen bekannter, sondern sind auch ein gutes Aushängeschild für das gesamte Elbe-Havel-Land. Bei der Gewerbeschau sind wir im Auftrag der Gemeinde federführend bei der Planung. Die Fußballpokale sind zwar Sache des SV Preußen, aber wir unterstützen den Verein natürlich. Denn das Umfeld muss für Gewerbeschau und Fußball würdig hergerichtet werden. Bei der Kirchweihe haben wir organisatorisch nichts zu tun. Aber natürlich nehme ich an den Veranstaltungen teil. Es hat sich ja allerhand politische Prominenz angesagt: Zum Neujahrsempfang kommt der Innenminister, zur Gewerbeschau Landwirtschaftsminister Aeikens und zur Altareinweihung Ministerpräsident Reiner Haseloff - um nur die wichtigsten zu nennen. Das ist auch eine gute Gelegenheit, um an Rande verschiedene Dinge anzusprechen und die Landesregierung für unsere Pläne zu begeistern. Wenn man beispielsweise die marode Turnhalle der Sekundarschule hinter dem schönen Bürgerzentrum sieht, fällt es sicher leichter, Fördermittel für den von den Sportlern gewünschten Neubau locker zu machen.

Volksstimme: Die Verbandsgemeinde ist Träger der Grundschulen. Schönhausen platzt aus den Nähten, nebenan in Wust und Klietz sind die Klassen sehr klein. Im Sommer soll ein Container aufgestellt werden, damit das Platzproblem in Schönhausen gelöst wird. In Klietz wurden Stimmen laut, dass der Einzugsbereich der Schulen überdacht werden sollte. Was halten Sie davon?

Bernd Witt: Ich kann die Gedanken der Klietzer verstehen. Aber sie sind unbegründet. Denn wenn man sich die Zahlen für die kommenden Jahre ansieht, erkennt man schnell, dass es wirklich nur eine Übergangslösung in Schönhausen ist. Denn 2013 werden laut derzeitigem Stand 15 Kinder eingeschult, 2014 und 2015 sind es je 17 und 2016 dann wieder 21. Es muss sich auch keine der fünf Schulen Sorgen um ihren Bestand machen. Klietz hat zwar im kommenden Sommer nur neun Einschüler, aber nächstes Jahr sind es schon wieder 14, 2014 dann sogar 21. Und selbst in Wust kann man relativ beruhigt in die Zukunft blicken. Zwar gibt es dieses Jahr nur sechs Abc-Schützen und nächstes Jahr neun, aber 2014 steht man mit 12 Kindern schon wieder verhältnismäßig gut da.

Volksstimme: Die Verwaltung hat sich lange mit der neuen Straßenausbaubeitragssatzung für Schönhausen beschäftigt. Warum gibt es hier so große Probleme?

Bernd Witt: Das ist wirklich ein schwieriges Thema, das uns schon viele viele Stunden Arbeit gekostet hat und längst nicht ausgestanden ist. Die für Schönhausen geltende Satzung ist wegen formeller Fehler nicht rechtswirksam. Die Aufarbeitung wird Folgen haben, möglicherweise sogar personelle und auch finanzielle. Da sind Dinge passiert, die nicht hätten passieren dürfen und die zum Nachteil der Gemeinde waren. Der Schönhauser Rat ist darüber informiert. Ich hoffe, dass dieses Jahr noch die neuen Satzungen beschlossen werden können. Wenn es soweit ist, werden auch alle Grundstücksbesitzer aufgeklärt.

Volksstimme: Welche Hoffnung können sich die Menschen, die keine feste Arbeit haben, 2012 zumindest auf einen Ein-Euro-Job machen?

Bernd Witt: Jetzt Ende Januar und auch im Februar enden ein paar Maßnahmen, ich hoffe, dass es einen nahtlosen Übergang gibt. Am 30. Januar gibt es eine Zusammenkunft mit dem Jobcenter und der Gesellschaft für Arbeitsförderung, bei der die neuen Maßnahmen besprochen werden. Auf jeden Fall war es eine gute Entscheidung, Mitglied der Gesellschaft zu werden. Auch wenn aus finanziellen Gründen nicht alles wie erhofft umgesetzt wurde, können wir doch ganz zufrieden sein. Ich hoffe, dass weiterhin alle Dinge im sozialen Bereich wie der Besetzung in Museen, Jugendklubs oder Rentnertreffs beibehalten werden können. Und auch für die Dinge im Grünen Bereich ist die Unterstützung durch Ein-Euro-Jobber unerlässlich.

Volksstimme: Generell sind die Arbeitslosenzahlen gesunken. Gibt es denn tatsächlich neue Jobs im Elbe-Havel-Land?

Bernd Witt: Nicht wirklich. Hier und da sicherlich, aber etwas Durchschlagendes war 2011 nicht dabei. Es ist und bleibt schwierig, hier Gewerbe anzusiedeln. Deshalb können wir auf den zweiten Arbeitsmarkt auch nicht verzichten.

Volksstimme: Auf welche Entscheidung der Landesregierung zugunsten der Entwicklung der Gemeinden warten Sie schon lange?

Bernd Witt: Positiv zu sehen ist erst einmal, dass die Landesregierung die Nähe zur Region sucht, dadurch wird der Gedankenaustausch besser. Aber nach wie vor ist der ganze bürokratische Aufwand beispielsweise bei Fördermittelanträgen oder beim Baurecht viel zu hoch. Bestes Beispiel ist die Einführung der Doppik. Wir als Verwaltung investieren Unmengen an Stunden in die Erfassung sämtlichen Vermögens aller sechs Mitgliedsgemeinden. Da wird vom Feuerwehrauto und Werkzeug jedes Bauhofes über das Kindergartengebäude und das gesamte Straßennetz bis hin zum Stuhl in jedem Sekretariat oder Klassenzimmer alles erfasst, um das Vermögen zu ermitteln. Das schaffen wir trotz Abstellung von Personal nur für dieses Vorhaben bis zum Stichtag für den Abschluss im September 2013 gar nicht. Es ist zwar ganz schön zu wissen, welche Werte man hat. Aber welchen Sinn hat es, wenn wir gar keine finanziellen Mittel für die Abschreibung zurücklegen können? Das ist nämlich das Anliegen, das die Landesregierung mit der Doppik verfolgt. Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis. Dazu kommt, dass wir für die Erfassung und Bewertung der Straßen auch noch eine Firma beauftragen müssen, die natürlich Geld haben will. Für die nächsten Jahre erwarte ich von der Landesregierung bei der Gestaltung des Finanzausgleichgesetzes eine aufgaben- und flächenbezogene Zuweisung für die Gemeinden in unserer strukturschwachen Region.

Volksstimme: Worauf freuen Sie ganz persönlich sich in diesem Jahr?

Bernd Witt: Auf jeden Fall auf alle anstehenden Großveranstaltungen und den Umzug der Verwaltung ins Bürgerzentrum, auch wenn der sehr aufwändig wird. Privat will ich mir wieder Zeit für Urlaub mit den Enkeln nehmen und natürlich zum Angeln an die Ostsee fahren. Vielleicht gelingt mir ja dieses Jahr der Fang meines Lebens und mir geht ein Fisch mit über sechs Kilo an den Haken.