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In der direkten Zusammenarbeit mit den Soldaten viel erreicht, dennoch verlassen deutsche Soldaten Kunduz mit einem Bauchschmerzgefühl Havelberger Pioniere haben ein halbes Jahr lang afghanisches Bataillon begleitet

Von Andrea Schröder 07.01.2013, 02:25

Kunduz/Havelberg l Ihre Hauptaufgabe haben sie schon erledigt: die 20 Soldaten des Beratungsteams AT 4 haben kurz vor Weihnachten den letzten Kontakt zu ihrem afghanischen Bataillon gehabt. Im Anschluss an die Nachbereitung geht es Mitte Januar nach mehr als einem halben Jahr Dienst in Kunduz/Afghanistan nach Hause. Drei dieser Military Adviser Teams MAT gab es im Feldlager Kunduz. Ihre Aufgabe war es, die einheimischen Streitkräfte zu beraten bei all den Dingen, die für die Funktion eines Bataillons wichtig sind. Sie werden künftig ersetzt durch mobile Beraterteams.

"Wir sind bunt gewürfelt, die Soldaten kommen aus sieben Verbänden und acht Standorten. Der größte Teil sind die Havelberger", berichtet Hauptmann Stephan, der im Panzerpionierbataillon 803 Havelberg Kompaniechef ist. In Kunduz ist er stellvertretender Chef des AT 4. Die Masse der Soldaten hat sich freiwillig für dieses Team gemeldet.

Wichtig bei der Auswahl waren ihre Fähigkeiten. Nicht nur die, eine Kompanie zu führen, sondern auch Kenntnisse der Arbeit der Pioniere, Aufklärungskräfte, Artillerie sowie Stabs- und Versorgungskräfte. Denn dies alles vereint das afghanische Kampfunterstützungsbataillon Camp Pamir, das vom AT 4 beraten wurde. Hinzu kommen Erfahrungen mit den Fahrzeugen. Dingo und Eagle sind die gängigen Einsatzfahrzeuge in Kunduz, es gibt nicht so viele Soldaten, die in Deutschland darauf ausgebildet sind.

Zehn Soldaten waren als Berater der afghanischen Kräfte tätig - angefangen vom Bataillonskommandeur über alle Stabsabteilungen bis hin zu den Kompaniechefs und Spießen. Auf dem Papier hat das afghanische Bataillon 476 Mann, 250 bis 300 sind ständig vor Ort. "Das ist nicht so leicht einzuschätzen", erklärt Hauptmann Stephan.

Die Beraterteams sieht er als etwas Besonderes an, "man muss sich schon sehr gut auskennen, auch der Kraftfahrer. Das ist das, was das MAT auszeichnet, wir haben ständig Kontakt zu den afghanischen Soldaten. Das hat\'s so spannend gemacht, wir standen immer unter Beobachtung. Bei den Afghanen gibt es eine gewisse Erwartungshaltung, sie schauen genau, wie wir uns geben, was wir machen und was wir mitbringen."

Die Ausstattung der Afghanen ist nicht gerade gut, außer, was die Fahrzeuge und Geschütze betrifft, die sie von den Amerikanern bekommen haben. Es mangelt zum Beispiel an Büromaterial und Mobiliar. Nicht alle Soldaten haben Betten, sie schlafen auf irgendwelchen Matratzen oder Pappen. Baumaterialien fehlen oder sie hoffen, dass ihnen die ISAF-Soldaten Kampfstiefel besorgen, Medizin oder Behandlungstermine in der medizinischen Station im Feldlager Kunduz. Und manchmal geht es auch um so banale Sachen wie Wasser zum Trinken.

"Wir haben schon auch Dinge besorgt, zum Beispiel Ausbildungsmaterialien wie GPS oder Kompass", sagt der Hauptmann und macht gleichzeitig klar, dass die Deutschen aufpassen mussten, die Erwartungen bei ihren Partnern nicht ins Unendliche ausufern zu lassen. Wenn jeden Tag Wasserflaschen mitgebracht wurden und einen Tag mal nicht, konnte das schon dazu führen, "dass der Afghane bockig reagiert". Die meiste Zeit aber haben er und seine Teammitglieder die Afghanen als dankbare und vor allem freundliche Menschen erlebt.

"Wir wollen die Soldaten befähigen, dass sie sich selbst organisieren, sie müssen ihre eigenen Regeln haben, ihr eigenes System aufbauen, damit unsere Arbeit nachhaltig bleibt." Diese Selbständigkeit zu erreichen, ist das Ziel der MAT. Deshalb schauen Stephan und seine Teamkollegen auch besorgt in die Zukunft, vor allem mit Blick auf das von ihnen betreute Bataillon im Camp Pamir. Ende 2011 aufgestellt und erst seit April 2012 in Kunduz, ist es das jüngste Bataillon und bräuchte noch mehr Beratung, bis es auf eigenen Füßen steht. Deshalb ist der Hauptmann, der nahe Potsdam zu Hause ist, auch der Ansicht, dass die Auflösung der MAT zumindest für dieses Bataillon zu früh erfolgt. Stabsfeldwebel Carsten aus Stendal stimmt ihm zu. "Ich bin sauer, dass wir aufgelöst werden. Bis zum Mandatsende 2014 müsste die Betreuung weitergehen, dann würde unsere Arbeit auch Früchte tragen." Stephan sagt: "Wir sollten hier dran bleiben und die Afghanen nicht allein lassen, sie sind noch nicht so weit. Ich persönlich habe ein Problem damit. Wenn sie sich selbst überlassen sind, sie keine direkte Beratung mehr haben, geht vieles den Bach herunter. Du gehst hier mit Bauchschmerzgefühl weg, das schlägt sich im ganzen Team nieder."

Auf das, was sie erreicht haben, sind die Havelberger Pioniere und das gesamte Team stolz. Obwohl die Voraussetzungen nicht die idealen waren. Laut NATO-Vorgabe wären Berater auf Augenhöhe notwendig gewesen. Ein Kompaniechef berät einen Kompaniechef. Davon gibt es im Team aber nur zwei. Dafür haben sich Zugführer für diese Aufgabe bereiterklärt. Einer ist Oberleutnant Marco aus Parchim von den Havelberger Pionieren. "Er hat sich echt reingekniet und eine super Arbeit geleistet", würdigt der stellvertretende Teamchef die Leistungen.

Seit Anfang Juli waren sie täglich im Camp, die ersten Tage mit dem vorhergehenden MAT. "Wir haben alle Projekte, die geplant waren, umgesetzt", berichtet Stephan. Dazu gehörte auch ein zehntägiger Einsatz im September/Oktober in Taloqan, wo gemeinsam mit den afghanischen Streitkräften ein Feldlager verstärkt wurde. Die Entwässerung und die Zufahrt wurden verbessert, eine Furt ausgebessert. Vier Leute des MAT hatten 35 deutsche Soldaten zu ihrem Schutz dabei. "Da waren wir schon drei Monate hier in Kunduz. Unser Luxus war sehr eingeschränkt, es gab einen Sanitärcontainer, geschlafen haben wir in Zelten auf Feldbetten, die Dienstgrade spielten keine Rolle", erzählt Carsten. Der Hauptgefreite Patrick aus Brieselang bastelte eine Dusche. Um nicht nur "EPA" (Einmannpackungen) zu essen, wurden Bockwürste auf dem selbstgebauten Grill gebraten. Brot besorgten sie sich von einheimischen Bäckern.

Angesichts der Mentalität der Afghanen, ihren Gebetszeiten und dem Freitag als Feiertag drohte Zeitdruck. Als sie den Freitag wirklich frei machen wollten, packte Oberleutnant Marco sie an ihre Ehre und ihren Stolz und die Arbeit wurde geschafft. Die Afghanen können arbeiten. Manchmal müsse man sie einfach machen lassen und nicht mit deutschen Ansprüchen herangehen, dann klappt das auch. Die Pioniere haben meist gute Erfahrungen gemacht. Es gab viele Tage, da wurde viel geschafft. Es gab aber auch Tage, wo der Partner etwa durch Alkohol nicht einsatzfähig war, obwohl der verboten ist. "Es sind kleine Schritte, die man hier machen kann. Aber nach hinten wurde das immer besser und das Bataillon hat Fortschritte erzielt", schätzt Stephan ein.

Bei ihrer Arbeit hatten die Deutschen afghanische Sprachmittler an ihrer Seite. Sie sind stolz darauf, dass sie all diese jungen, sehr guten Leute in neue Jobs etwa beim Auswärtigen Amt vermitteln konnten und sie somit in Lohn und Brot bleiben können.

Feierlich war kurz vor Weihnachten die sogenannte Medal Parade auf dem Ehrenhain für viele Soldaten aus den MAT. Der Kommandeur des Einsatzverbandes PATF, Oberst Johannes Derichs, überreichte jedem die Einsatzmedaille der Bundeswehr und die Nato-Medaille. "Sie haben Ihren Auftrag gut erfüllt. Die Arbeit hat sich nicht nur dafür gelohnt, dass es den Afghanen besser geht, sondern auch für uns, damit das Land nicht mehr der Hort des Bösen ist." Er erinnerte an die Zeit der großen Hitze und dem dann erschwerend dazu kommenden Ramadan, wo in Gegenwart der Afghanen stundenlang nicht gegessen, getrunken oder geraucht werden durfte. "Das haben Sie gut gemeistert. Es gab keinerlei Beschwerden." Mit Blick auf das Ende der ständigen Beraterteams sagte der Oberst, dass man irgendwann mit dem Rückzug anfangen müsse, wenn die afghanische Nationalarmee einmal ohne fremde Hilfe in der Lage sein soll, ihre Aufgaben wahrzunehmen. Doch zunächst stehen ihnen noch mobile Teams zur Seite.