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  7. Das Doppeldorf: Ein Mythos der Teilung

Michael Arndt aus Wolfsburg-Sülfeld schrieb eine Masterarbeit über das Doppeldorf Böckwitz-Zicherie / Morgen Vortrag in Brome Das Doppeldorf: Ein Mythos der Teilung

06.02.2013, 01:14

Im Rahmen seines Studiums an der Technischen Universität Braunschweig hat Michael Arndt aus Wolfsburg-Sülfeld eine 234-seitige Masterarbeit über das Doppeldorf Zicherie-Böckwitz geschrieben (siehe Exposé unten). Volksstimme-Redaktionsmitglied Markus Schulze unterhielt sich mit dem 26-Jährigen über Inhalt und Ergebnisse.

Volksstimme: Herr Arndt, wie kommt man als junger Mensch von außerhalb auf die Idee, sich mit dem Leben vor und nach der Wende in Böckwitz und Zicherie zu beschäftigen?

Michael Arndt: Durch Seminare an der Uni. Beispielsweise befasste sich eines speziell mit dem früheren Zonenrandgebiet. Außerdem wurden Exkursionen an die ehemalige Grenze angeboten. Noch dazu kenne ich mich dort ein bisschen aus, weil meine Familie Bekannte in Zicherie hat. Ich habe schon als Kind bemerkt, dass das Doppeldorf etwas ganz Besonderes ist. Heute weiß ich, dass dieser Ort ein Mythos ist, den man als Mikrobeispiel der Deutschen Teilung ansehen kann.

Volksstimme: Wie haben Sie sich dem Thema praktisch genähert?

Arndt: Die Methode heißt "Oral History", also grob gesagt Zeitzeugen-Interviews. Im Zeitraum zwischen November 2011 und Januar 2012 - die Volksstimme hat ja damals darüber berichtet - habe ich mich mit elf Menschen zu Gesprächen getroffen, sieben davon kommen aus Zicherie. Die Zeitzeugen werden in der Arbeit in Kurz-Profilen vorgestellt. Sie konnten frei sprechen, weil ich in der Arbeit niemanden namentlich nenne, sondern Pseudonyme verwende. Ich wollte beleuchten, welche Erfahrungen an und mit der Grenze gemacht wurden. Das kann man nicht durch irgendwelche Statistiken oder Sekundär-Literatur in Erfahrung bringen, das geht nur durch Erzählungen aus erster Hand. Sich mit Menschen zu unterhalten, die dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erlebt haben, zeigt irgendwie auch, dass wir es heute ganz schön gut haben.

"Die Grenze ging mit der Zeit in den Alltag über."

Volksstimme: Erzählen Sie bitte mehr. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Arndt: Das ist in wenigen Worten schwer zu beschreiben. Aber ich versuche es mal: Sowohl in Böckwitz, als auch in Zicherie ging die Grenze mit der Zeit in den Alltag über und wurde Gewohnheit. Vor allem nach ihrer "Erhärtung" (wichtige Hauptdaten 1952 und 1961) wurde sie akzeptiertes Faktum.

Doch meiner Meinung nach unter unterschiedlichen Gegebenheiten: Während sie im Westen "in aller Stille" mit der Zeit zur Normalität wurde (vor allem für heranwachsende Generationen, die ganz selbstverständlich mit ihr aufwuchsen), war sie in Böckwitz auferlegter Zwang. Böckwitzer mussten sich mit ihr arrangieren. Da sie die Heimat oftmals nicht verlassen wollten, waren sie gezwungen, "still zu halten". Jede Auflehnung hätte die Ausweisung bedeuten können. Hierbei half ihnen, so zeigt die Befragung, ein gewisser Pragmatismus ("das war halt so", "man muss das Beste draus machen") und das sogenannte Nischenglück: Sich möglichst parteilos engagieren, Treffen im Feuerwehrhaus und so weiter.

Im Falle von Zicherie wurde das Leben im Dorf entschleunigt. Ein wortgemäßes Zitat dazu: "Hier kam ja keiner rein, der hier nicht was wollte" und das Leben spielte sich wohl viel mehr auf den Straßen ab, wo sich alle trafen und den Alltag teilten, bevor der Ort immer mehr zum Pendlerort wurde.

"Die Wende-Euphorie ist lange abgeebbt."

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Ältere, die noch das enge Zusammenleben von Zicherie und Böckwitz kannten, durch die Teilung verletzt worden sind und eine ausgeprägte Sehnsucht nach der Wiedervereinigung hatten. Diese Generation ist auch heute noch besonders sensibel für das Thema und weiß, dass es wichtig ist, davon zu berichten. Jüngere wiederum kannten die Einheit nur noch aus Erzählungen. Für sie waren Zicherie und Böckwitz lange Niemandsland.

Volksstimme: Wie ist das Verhältnis zwischen Böckwitzern und Zicherieern aus Ihrer Sicht heute?

Arndt: Heute befindet sich die Beziehung der Orte nach wie vor im Umbruch - insofern, dass immer noch Zeitzeugen, die alles miterlebt haben, leben, aber auch Generationen nachwachsen oder zuziehen, die diese Problematik weniger am eigenen Leib nachvollziehen können. Die Wende-Euphorie ist lange abgeebbt, doch man bemüht sich um eine gemeinsame Aufarbeitung und Erinnerungskultur. Oft hört man, das Zusammenleben sei "normal" und die Beziehung wie zwischen anderen Dörfern. Ich meine, dem ist nicht ganz so, da eine "Hypothek der gemeinsamen Geschichte" vorliegt - sprich das kollektive Bewusstsein der Orte (und im Übrigen der ganzen Region) ist eben geprägt durch diese Trennung und das lange Leben mit einer Grenze. Heute scheint eine neue, unsichtbare Form die "alte Grenze" zu ersetzen. So macht es die Grenze zwischen den Bundesländern leider unmöglich, das soziale Verbindungspunkte (Schule, Feuerwehr, Kindergarten, Sport) entstehen. Leider lebt die Grenze gewissermaßen so weiter. Mein Fazit in dieser Hinsicht war aber kein negatives, eher neutral oder positiv: Das Wichtigste ist, dass gesehen wird, dass dieser Raum Zicherie-Böckwitz eine "Erinnerungslandschaft" ist und gemeinsame und getrennte Geschichten hervorgebracht hat, die es aufzuarbeiten gilt: Und hier habe ich Geschichtsbewusste getroffen, die bereit waren, dies zu tun - indem sie davon erzählten.

Volksstimme: Vielen Dank für das Gespräch.

Michael Arndt, der Lehrer für Geschichte und Englisch werden möchte und derzeit ein Referendariat an einer Wolfsburger Schule absolviert, hält morgen ab 19 Uhr in der Rehfeldtschen Mühle in Brome einen Vortrag. Außerdem wird er am 1. April zum Saisonauftakt im Böckwitzer Museum erwartet.