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Klinikum-Verantwortliche zu Vorwürfen "Kleine Unschärfe" beim OP-Skandal

Volksstimme-Recherchen hatten Mängel bei den Gutachten und der
Informationspolitik der Verantwortlichen im Gardeleger OP-Skandal
offengelegt. Klinikum-Aufsichtsratsvorsitzender Michael Ziche und der
Vorstandsvorsitzende des Betreibers, Ulrich Metzmacher, stellen sich den
Fragen der Redakteure Marc Rath und Philip Najdzion.

09.04.2014, 01:23

Volksstimme: Wie kommt es zu der falschen Information bei der Pressekonferenz? Sie, Herr Ziche, sprechen von 15 von 16 Fällen ohne medizinische Indikation. Dabei antworten die Gutachter auf die Frage, ob eine Indikation bei der Operation vorhanden war, viermal mit ja.
Ziche: Das ist nicht richtig, was Sie darstellen. Ich habe davon gesprochen, dass laut Gutachter bei 15 von 16 Fällen keine ausreichende qualifizierte Indikation vorlag. Das ist möglicherweise von der Quantifizierung zu undifferenziert, aber nach meinem Verständnis war das alles andere als eine Fehlinformation der Öffentlichkeit. Zusammenfassend ist nochmals festzuhalten, dass von 16 OPs nach Einschätzung der Gutachter 13 nicht indiziert, nicht vollständig indiziert oder fehlerhaft sind. Bei einer OP wurde die Dokumentation kritisiert, in einem weiteren Fall konnte der Gutachter die dokumentierte OP-Technik nicht nachvollziehen. Lediglich ein Fall wurde als korrekt bewertet.

Volksstimme: Man kann die Gutachten so oder so lesen. Wie bereits erwähnt, sehen die Gutachter in vier Fällen eine Indikation, bei drei weiteren Teilindikation, in einem Fall fehlen wichtige Röntgenbilder. Nach dieser Rechnung blieben noch acht Fälle, die medizinisch gar nicht indiziert waren...
Metzmacher: In der Situation damals nimmt man den schärfsten aller Filter, weil nämlich Patientenwohl und Vorsichtsdenken ganz oben standen und nicht Entlastungsdenken. In der Situation entscheidet man sich für den ganz klaren Patientenschutz, ein Filter, der ein bisschen gröber ist und nicht für den ganz feinen. Man muss sich die Zielsetzung des Ganzen vor Augen halten. Da ging es um die Frage: Gibt es eine Anfangsvermutung, die darauf hindeutet, dass man dem vertiefend und dann eben auch über die Staatsanwaltschaft nachgehen muss. Das war der Fokus, mit dem damals auf diese Gutachten das Licht gerichtet wurde. Wenn man heute einen anderen Fokus nimmt, macht man vielleicht auch andere Wortwahlen. Daraus ist die Zusammenfassung entstanden. Ich finde die auch bis heute nachvollziehbar mit dieser kleinen Unschärfe 13 plus 2.

Volksstimme: Kommen wir zu dem Todesfall, für den der Mediziner Dr. T. in manchen Medien verantwortlich gemacht wurde. In diesem Fall entlasten die Gutachten das Krankenhaus. Warum erwähnen Sie das bei der Pressekonferenz nicht?
Ziche: Da Ihnen das Gutachten offensichtlich vorliegt, ist Ihnen ja bekannt, dass der Gutachter zu der Feststellung gelangt ist, dass eine erste OP nicht indiziert gewesen ist, aber eine Klärung der Todesursache nur durch weitere Untersuchungen erfolgen kann. Es gab daher im Rahmen der Pressekonferenz am 12. Februar keinen Anlass zu gesonderter Information.

Volksstimme: Der Gutachter sagt aber auch: Es gäbe keinen Anhaltspunkt, dass der Patient an den Folgen der Operation verstorben sei. Sie müssten doch ein Interesse gehabt haben, größeren Schaden von der Klinik abzuwenden, dann verstehe ich nicht, wie Sie dazu kommen zu sagen: Näheres in dem Fall gibt es nicht.
Metzmacher: Wie hätte es gelingen können, Schaden abzuwenden? Das verstehe ich jetzt nicht.

Volksstimme: Ich würde das Gutachten als Krankenhaus nehmen und sagen: "Ja, wir können hier zeigen, der Vorwurf mit dem Todesfall ist nicht haltbar." Also, warum haben Sie dazu nichts gesagt?
Metzmacher: Weil das Gutachten nach meiner Auffassung diese Frage durch den Verweis auf eine Obduktion in gewisser Weise offen lässt, und weil ich zu Einzelgutachten grundsätzlich nicht Stellung nehme, nie getan habe und auch weiter nicht tun werde.

Volksstimme: Die Gutachten sind lange erwartet worden. Können Sie uns den Ablauf schildern?
Ziche: Mir ist per Mail am 7. Februar das erste Gutachten zur Verfügung gestellt worden mit der entsprechenden Bemerkung, dass die notwendige Indikation offensichtlich nicht vorliegt. Und am 11. Februar, das war ja ein Montag, ist in den Abendstunden durch E-Mail vom damaligen Geschäftsführer Hahn angekündigt worden, dass für den nächsten Tag noch weitere 15 Gutachten kommen, wovon nur 1 Gutachten mit dem Ergebnis sein sollte, dass die Operation wohl gerechtfertigt war.

Volksstimme: Und woher hatte er das Wissen?
Ziche: Das ist offensichtlich über die Kanzlei angekündigt worden.

Volksstimme: Hat die Kanzlei auch die Einordnung 15 von 16 Fälle vorgenommen?
Ziche: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das hat mir der Geschäftsführer mitgeteilt. Die Annahme mag da so zutreffen, weil er die Gutachten ja noch nicht hatte. Also musste er von irgendwem das Ergebnis haben. Im Übrigen hat er die Gutachten Dienstag bekommen und hat das entsprechend aufgearbeitet.

"Dr. T. haben wir mit den Ergebnissen nicht konfrontiert." - Michael Ziche

Volksstimme: Wie sind die Gutachten zu Herrn Hahn gekommen?
Ziche: Die Gutachten sind von der Kanzlei verschlüsselt worden und per Mail an Herrn Hahn geschickt worden, aber erst am 12. Februar. Dann haben Herr Metzmacher und ich am Nachmittag in einem relativ überschaubaren Zeitraum uns die Gutachten angeschaut.
Metzmacher: Genau. Wir haben gesagt: "Das reicht."

Volksstimme: Das ging alles sehr schnell. Es ging aber auch um die Trennung von Dr. T. und Herrn Hahn. Haben Sie beide noch mal mit den Ergebnissen konfrontiert?
Ziche: Dr. T. haben wir nicht konfrontiert, da er zu dem Zeitpunkt freigestellt war. Da die Gutachten letztlich ein nicht erwartetes Ergebnis gebracht haben, musste gehandelt werden. Dementsprechend sind die Konsequenzen gezogen worden. Und was Herrn Hahn anbetrifft, das ist bei der Aufsichtsratssitzung am 12. Februar diskutiert worden, und der Aufsichtsrat hat sich zu einer Entscheidung durchgerungen.

Volksstimme: Die Freistellung von Herrn Hahn war aber bei Ihnen beiden schon Thema in der Vorbesprechung, oder?
Ziche: Diese Entscheidung ist unabhängig davon, wo das vorbereitet wurde. Zuständig ist der Aufsichtsrat und jedes einzelne Mitglied ist autark in seiner Entscheidung, ist also nur dem Gesellschaftsrecht unterworfen und wird sich nicht leiten lassen von irgendwelchen Vorgaben. Und es ist auch nicht nur auf das Ergebnis zurückzuführen, dass die Gutachten an dem Tag eingetroffen sind. Wenn Sie sich mal dran erinnern, was medial Wochen vorher stattgefunden hat. Da ging es unter anderem darum, dass Herrn Hahn vorgeworfen wurde, den Hippokratischen Eid in Frage gestellt zu haben.

Volksstimme: Herr Hahn wird freigestellt, bekommt aber weiter Geld von der Diakonie. Hätte er nicht bald seine neue Anstellung in Helmstedt gefunden, wäre das eine teure Lösung gewesen für Sie als Diakonie.
Metzmacher: Das ist immer das Risiko. Aber es ist richtig: Das ist unser Problem, mit dem im übrigen das Altmark-Klinikum mit keinem einzigen Euro belastet wurde.

Volksstimme: Bislang hieß es, die Gutachten wären am 10. Dezember in Auftrag gegeben worden. Auf den Gutachten, die am 12. Februar präsentiert wurden, steht aber als Auftragsdatum der 15. Januar 2013. Wie erklären Sie sich das?
Ziche: Es gibt eine Beauftragung vom 11. Dezember. Das Schreiben habe ich eingesehen und der Gutachterauftrag ist dann später telefonisch vereinbart worden. Darüber hinaus habe ich jedoch E-Mail-Verkehr einsehen können, aus dem hervorgeht, dass eine erste Kontaktaufnahme des Rechtsanwaltes zum Gutachter am 29. November 2012 erfolgte. Welcher Bezug da vom Gutachter mit dem 15. Januar gewählt wird und was er damit im Einzelnen meint, vermag ich jetzt auch nicht weiter zu erklären.

"Ein Gutachten innerhalb von drei, vier Wochen ist die Ausnahme." - Ulrich Metzmacher

Volksstimme: Wieso dauert die Begutachtung so lange?
Ziche: Ich habe mich mit dem Rechtsanwaltsbüro verständigt und von da kam noch mal die ganz klare Aussage, dass insgesamt die Begutachtung gemessen an normalen Vorgängen, die auch im Zusammenhang stehen mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, eben keinen langen Zeitraum ausmachen. Man muss ja auch daran erinnern, dass da Weihnachten dazwischen war, also Feiertage, und dass der Gutachter offensichtlich auch Mitte Dezember Urlaub hatte.
Metzmacher: Ich sehe das auch nicht. Das ist sogar eine relativ kurze Länge. Wir haben im Krankenhausbereich ja immer mal mit Gutachten zu tun. Ob das jetzt der Medizinische Dienst der Krankenkassen, ob das irgendwelche Haftpflichtfälle sind. Da werden immer mal wieder Gutachter bemüht und da kriegen sie nicht innerhalb von zwei, drei oder vier Wochen Gutachten. Das ist die Ausnahme.

Volksstimme: Also, wenn ich mal eben die Gutachter zitieren darf: "Es ist wahrscheinlich, dass die Operation 2012 stattgefunden hat." Aber im Ärztebrief und anderen Formularen ist 2011 dokumentiert. Wie kommt so was zustande?
Ziche: Ich will nur daran erinnern, dass es eine sogenannte Liste gab, die an die Medien von wem auch immer gespielt wurde. Und uns ist es nicht gelungen, diese Liste zu bekommen - weder von den Medien noch von der Staatsanwaltschaft, so dass wir überhaupt nicht wussten, um wen geht es denn eigentlich. So dass in Vorbereitung der Gutachten eigene Recherchen angestellt werden mussten. Und da ist sicherlich gelegentlich auch eine Sache vermutet worden, die nicht so zutrifft. Aber ich will auch das noch mal aufgreifen, was Herr Dr. Metzmacher gesagt hat. Ich habe das auch noch mal mit dem Rechtsanwalt besprochen, der da sagt: Gelegentlich findet sich der Hinweis in den Gutachten, dass bestimmte Unterlagen nicht vorhanden sind, was aber nicht bedeutet, dass diese Unterlagen überhaupt existieren. An solchen Unterlagen kann es beispielsweise fehlen, wenn bestimmte Untersuchungen gar nicht vorgenommen wurden. Entscheidend ist für die Begutachtung allein, ob die Unterlagen, die vorlagen und weitergereicht wurden, ausreichen, um hierzu eine gutachterliche Einschätzung vornehmen zu können. Das war offensichtlich der Fall.
Metzmacher: Jetzt rein von der Logik des Denkens. Ich war genauso wenig dabei wie Herr Ziche, aber wenn wir im Krankenhaus eine Situation haben, wo man mit rechnen muss, da kommt die Staatsanwaltschaft, das passiert immer mal, wenn irgendwelche Ermittlungsverfahren sind, dann gibt es ein geregeltes Prozedere. Da werden vorher die Unterlagen kopiert, weil die Staatsanwaltschaft Unterlagen beschlagnahmt. Das ist üblich in jedem deutschen Krankenhaus. Das wird mit der Staatsanwaltschaft auch vorher besprochen.

Volksstimme: Gehen Sie davon aus, dass nach bestem Wissen und Gewissen die Unterlagen an den Gutachter übergeben worden sind?
Metzmacher: Ich gehe mit großer Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es so gewesen ist.

"Auch in meinem Sekretariat passieren Fehler." - Ulrich Metzmacher

Volksstimme: Die Gutachten enthalten zahlreiche formale Mängel. Zum Beispiel ist ein Gutachten, datiert vom 21. Februar, adressiert an den heutigen Geschäftsführer Matthias Lauterbach, der erst am 26. Februar in das Amt berufen wird.
Metzmacher: Ich halte das aber auch für Kleinigkeiten am Rande. Warum da im Adressfeld, wer, was mit welchem Namen und an welchem Datum versehen ist, wer weiß, wie das in Hannover zustande gekommen ist? Ich weiß es nicht. Irgendwann kriegt eine Schreibkraft die Bänder auf den Tisch und schreibt das innerhalb von ein paar Tagen zusammen. Aber der Prozess davor hat sich über mehrere Wochen erstreckt. Da kann ein Gutachten sehr wohl gemacht worden sein, als Herr Lauterbach noch nicht da war. Aber das ist meine Fantasie.

Volksstimme: Ein hochkarätiges und renommiertes Institut, darf ich Sie nur mal zitieren.
Metzmacher: Auch in meinem Sekretariat passieren Fehler. Wir können es nicht auflösen. Aber wo ist die Substanz der Frage? Die Substanz liegt in der Einschaltung der Staatsanwaltschaft.

Volksstimme: Wirkt sich der OP-Skandal immer noch auf die Klinik aus?
Metzmacher: Das zeigt schon Wirkung. Wir sind da in der Defensive seit dieser Zeit. Das ist in vielerlei Hinsicht so. Wir leben in einem hochgradigen Wettbewerbssystem, was die Krankenhäuser anbelangt. Wir müssen uns weiter profilieren, wir müssen auch Leistungssegmente aufbauen. Nehmen Sie den Fall Dörre, der jetzt in Helmstedt ist. Das war aus meiner Sicht völlig richtig, dass Herr Dörre ans Altmark-Klinikum geholt werden konnte. Auch Helmstedt ist ein Kreiskrankenhaus mit einem ähnlichen Versorgungsauftrag. Natürlich baut man in solche Krankenhäuser Schwerpunktbereiche ein. Den Versuch hatten wir ja auch gemacht. Man muss das nur gegenüber den Krankenkassen dann aber auch mal durchfechten. Weil die Vertreter der Kassen natürlich sagen: "Och, Ihr macht wieder was Neues und wir müssen es bezahlen", und sind dagegen. Da tun wir uns sehr schwer, weil wir da schon in der Defensive sind. Da kann man den Mund nicht so aufreißen auch gegenüber den Kostenträgern. Ich finde es schade, dass Herr Dörre jetzt in Helmstedt ist, aber da ist uns so ein bisschen die Energie genommen. Deshalb haben wir nicht dazu geraten: Herr Lauterbach, gehen Sie jetzt mal in die Vollen gegenüber den Kassen. Wir sind hier noch am Aufräumen. Neben der Unruhe, die natürlich da irgendwo schon drinnen ist.