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  7. Erster Todesschuss nach dem Mauerbau fiel bei Böckwitz

Fernsehteam drehte Film über den Tod von Kurt Lichtenstein / Regisseur Hans-Dieter Rutsch: Erster Todesschuss nach dem Mauerbau fiel bei Böckwitz

Von Philip Najdzion 19.07.2011, 04:29

Am 12. Oktober 1961 wurde der westdeutsche Journalist Kurt Lichtenstein bei Böckwitz erschossen. Ein Fernsehteam aus Potsdam hat sich im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks auf seine Spuren begeben.

Böckwitz. Schüsse fallen bei Böckwitz. Ein Mann geht auf einem Feld zu Boden. Der Tote damals am 12. Oktober 1961 war der Journalist Kurt Lichtenstein. Er wurde bei dem Versuch getötet, vom Westen in den Osten zu gehen.

"Dies war der erste Todesschuss an der innerdeutschen Grenze nach dem 13. August 1961", sagt Hans-Dieter Rutsch. Der Fernsehproduzent dreht im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks einen Film über den Fall, in dem, wie er sagt, "alles schräg" ist.

"Es gelten keine Stereotype. Er ist von West nach Ost gegangen", sagte Rutsch. Und die Schützen von der Ostseite Deutschlands hätten "praktisch den eigenen Mann erschossen". Denn Lichtenstein war überzeugter Kommunist, kämpfte für die französische Résistance und wurde dort nach seiner Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg interniert. "Der hat Kopf und Kragen für die kommunistische Sache riskiert", sagte er weiter. Lichtenstein war Jude, seine Familie wurde im KZ ermordet.

Hans-Dieter Rutsch hat sich auf die Suche nach der Geschichte von Kurt Lichtenstein gemacht. Er sprach mit dem Krankenwagenfahrer, einem Zöllner, Menschen, die auf einem Acker in der Nähe gearbeitet hatten, und mit den Töchtern des getöteten Journalisten.

"Den Schlüssel zu dem Fall haben wir auch nicht gefunden", erklärte Hans-Dieter Rutsch. Unklar sei weiterhin, ob es einen dritten Schützen gegeben habe. Darum habe er versucht, aus den Gesprächen neue Fragen zu formulieren. Und er habe immer mehr Details entdeckt.

So zum Beispiel, dass Kurt Lichtenstein an der Einbürgerung des Karl-Eduard von Schnitzler in die DDR mitgewirkt habe. Aber eines sei im Verborgenen geblieben: Lichtensteins Stasi-Akte. Denn, so ist sich der Regisseur sicher: "Er ist beschattet worden."

Die Stasi habe seinen Fotoapparat in die Hand bekommen. "Und die Fotos sind nie aufgetaucht", sagte Hans-Dieter Rutsch. Auch das Obduktionsprotokoll sei verschwunden.

Aber eines habe die Stasi nicht gehabt. "Sein Notizbuch lag im Auto." Und dies stand auf westdeutscher Seite. Der Stenoblock ist im Besitz der Töchter des Journalisten. Sie ließen den Fernsehproduzenten hereinschauen. "Wir haben es Buchstabe für Buchstabe analysiert", erklärt Hans-Dieter Rutsch.

"Sie bewachen ihr eigenes Land wie ein KZ"

Ein Satz aus den Notizen von Kurt Lichtenstein lässt Hans-Dieter Rutsch nicht los: "Sie bewachen ihr eigenes Land wie ein KZ." Für ihn ist es das Motiv des Versuches von Kurt Lichtenstein, die Grenze zu übertreten. "Er wehrt sich gegen so eine Form von Sozialismus. Er will den Spiegel hochhalten."

Denn Lichtenstein sei für ihn demokratischer Sozialist gewesen. "Er hat sich für einen Sozialismus nicht stalinistischer und nicht leninistischer Prägung eingesetzt". so Rutsch. Doch dieser Flügel sei in der SED nach dem Krieg praktisch "ausgelöscht" worden.

Ob der Tod des Journalisten vorsätzlich herbeigeführt wurde, könne er auch nicht sagen. Doch der Fall sei seltsam. Er beschreibt den Hergang: Lichtenstein geht auf die DDR zu. Nach 25 Metern fällt ein Warnschuss. Der Journalist kehrt um und wird dann erschossen.

Zumindest hätte sich die Stasi sicher sein können, dass der Journalist nach Zicherie und Böckwitz wollte. Rutsch: "Weil hier die Orte zusammengewachsen sind." Er sei wohl zuvor auch verwarnt worden. Der letzte Eintrag war ein Gespräch mit dem Zicherier Bauern Fritz Lange.

Die Dreharbeiten führten Hans-Dieter Rutsch mit seinem Kameramann Jürgen Partzsch am Sonntag noch einmal nach Böckwitz. Zuvor hatten sie bereits mehrmals mit Willi Schütte vom Museumsverein gesprochen. Willi Schütte sagt: "Ich habe ihnen alles erzählt, was ich davon weiß. Dass er auf meinem Acker gelegen hat. Ich habe es in der Zeitung gelesen und bin gleich am nächsten Tag hingefahren und habe ein Foto gemacht."

Seine Fotos können im Böckwitzer Grenzmuseum betrachtet werden. Der Film "Der erste Todesschuss" wird vom WDR am 12. August ab 23.15 ausgestrahlt. Dieser ist der Auftakt zu einer Themennacht anlässlich des 50. Jahrestags des Mauerbaus.