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Der Stadtchronist Kurt Maaß berichtet über seine Erinnerungen an die Kapitulation Seehausens vor 70 Jahren Rektor Rieß schickte den Volkssturm nach Hause

Von Walter Schaffer 13.04.2015, 01:26

Seehausen l Am 12. April 1945 ging für die Seehäuser mit der Kapitulation der Stadt der Zweite Weltkrieg zu Ende. Wie dieser und der folgende Tag damals verlief, darüber berichtet der Zeitzeuge und Chronist der Alandstadt, Kurt Maaß.

1927 in Seehausen geboren, besuchte der damals 17-Jähriger in Sinzig am Rhein die Lehrerbildungsanstalt und war am Westwall zum Ausheben von Panzergräben eingesetzt. Er sollte später vom Reichsarbeitsdienst und danach von der Wehrmacht übernommen werden. Verbindungen zu seinem Elternhaus in der Feldstraße existierten nicht.

Grollender Geschützdonner

Durch eine glückliche Fügung kam er in seine Heimatstadt zurück. Kurt Maaß berichtete: "Es war der 12. April nachmittags zwischen 15 und 16 Uhr. Ich besuchte meine Schwester, die in der Großen Brüderstraße bei Thams Garss arbeitete. Eine eigenartige Stimmung herrschte, die durch das Grollen von entferntem Geschützdonner noch angeheizt wurde.

Mein Vater war zum Volkssturm beordert worden. Er sollte sich mit anderen um 13.30Uhr am Umfluter treffen, um dort Panzersperren zu bauen, die die anrückenden Amerikaner aufhalten sollten. Der Rektor Zwies, dem der Volkssturm unterstand, schickte seine Leute aber nach Hause, weil ihm dieses geplante Unterfangen wohl sinnlos erschien.

Leute stürmten die Regale

Im Geschäft bei meiner Schwester war nun der Teufel los. Die Leute stürmten die Regale, egal was es war, es wurde mitgenommen. Die Verkäuferinnen waren restlos überfordert. Ich verlies den Laden.

Da kam mir aus Richtung des Goldenen Sterns Herbert Kobow entgegen. Er trug ein großes weißes Stück Stoff über dem Arm und bewegte sich in Richtung Kirche. Dort muss er sich mit Fräulein Herta Würker (noch in Seehausen lebende Zeitzeugin), getroffen haben. Sie kannte sich auf dem Turm sehr gut aus, denn sie war als Kind der Türmer dort oben geboren worden. Ihre Lehrstelle war das Rathaus. Auf Anweisung des Bürgermeisters brachten sie das weiße Tuch auf den Kirchturm bis in den Glockenbereich. Dort wurde die provisorische weiße Fahne gehisst, so dass sie von westlicher Richtung aus gut zu sehen war. Denn aus dieser Richtung wurden die Amerikaner erwartet.

Kaum Artillerieschäden

Als ich auf dem Nachhauseweg war, traf ich am Arendseer Bahnübergang Gustav Langermann, den Besitzer des Goldenen Sterns. Ihn erkannte man schon von weitem an seinem weißen Schal. Dieser meinte, dass er den Amerikanern entgegen gehen will. Da er englisch sprechen konnte, wollte er sie in Seehausen begrüßen. Seehausen wurde durch Artillerie beschossen, ohne nennenswerte Schäden zu hinterlassen. Etliche Bürger suchten in St. Petri Schutz, und einige hatten sich auch in den Wäldern versteckt.

Weiße Tücher überall

Nach dem Einzug der amerikanischen Truppen, vorwiegend Artillerie und Panzer, kam es zur Ausgangssperre für die Bevölkerung. Alle Waffen sollten abgegeben werden und weiße Tücher als Zeichen der Kapitulation an jedem Haus wehen.

Bei Familie Storbeck in der Bahnstraße, Ecke Bäckerbusch wurde noch eine Waffe gefunden. Daraufhin wurde das Haus beschossen und die Familie eingesperrt.

Das Haus meiner Eltern wurde beschlagnahmt. Wir fanden bei den Nachbarn Langfeld Quartier, nachdem ich mich dank meiner Englischkenntnisse dafür eingesetzt hatte, dass die schwangere Nachbarin in ihrem Haus bleiben durfte.

Hinter unserem Garten wurden Artilleriegeschütze in Stellung gebracht. Die Rohre waren gegen Wittenberge ausgerichtet. Es kam aber zu keinem scharfen Einsatz. Als Gründe liegen die Bemühungen von den Parlamentären Albert Steinert und Ewald Fredrich vor, die bekannt sind und an die am morgigen Dienstag gedacht werden soll.

Alle Wertsachen waren weg

Nach einigen Tagen rückten die Amis weiter in Richtung Wische, ohne direkt an die Elbe zu gelangen, denn auf der anderen Flussseite lag ja noch die deutsche Wehrmacht. Hinter unserem Garten auf der Wiese wurden von allen möglichen Orten Kühe zusammen getrieben. Meine Mutter ging abends dorthin und brachte uns sehr viel Milch von den Kühen, die sie gemolken hatte.

Nach dem Abzug der Truppen war unser Haus einschließlich des Kellers frei von allen Dingen, die von Wert beziehungsweise essbar waren."