1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Osterburg
  6. >
  7. Lazay glaubt nicht an Pfusch am Bau

Kirchengeschichte(n) / Biesebauern waren auch Fischer / Gladigauer Gotteshaus steht nicht in Flucht Lazay glaubt nicht an Pfusch am Bau

Von Ralf Franke 04.02.2011, 05:28

Die Geschichte der altmärkischen Siedlungen ist immer eng mit der Geschichte ihrer Kirchen verbunden. Die meist ältesten Häuser im Ort sind nicht nur aus architektonischer und künstlerischer, sondern auch aus geschichtlicher Sicht wahre Fundgruben. Wohl der Glaubensgemeinde, die zum Beispiel mit Hilfe ihrer Kirchenbücher weit in die Zeit zurückblicken kann.

Gladigau. Im ältesten Kirchenbuch Gladigaus finden sich ein paar ungewöhnliche Einträge wieder, die in vergleichbaren Werken so nicht zu finden sein dürften. Da wird anno 1658 von Margaretha Schulz berichtet, die in der Biese "vertrunken" ist. Oder von Joachim Schröder: "1663 in der Biese ersoffen". 1697 erwischte es sogar den Kirchendiener. "In der stillen Woche (Karwoche vor Ostern) ist der Küster in der Biese geblieben und nicht zum Leben zurückgekehrt". Und das sind nur Auszüge aus einer ganzen Liste von Schicksalsschlägen, die die Reihen der Gladigauer immer wieder lichteten und Beleg dafür sind, dass der Fluss früher einmal deutlich breiter und tiefer als heute war.

Den Freitod haben sicher die wenigsten gesucht. Im Kirchenbuch sind eher Arbeitsunfälle aufgelistet. Denn: "Es war zwar nicht Sassnitz, aber Gladigau war früher auch ein Fischerdorf", erklärt Norbert Lazay, der seit über 25 Jahren Pfarrer vor Ort, damit Hüter der Kirchenbücher, aber bekanntlich auch geschichtlich sehr interessiert ist. Dabei machten die Gladigauer fast im wahrsten Sinn des Wortes aus der Not eine Tugend, in dem sie fischenderweise für eine eiweißreiche Abwechslung auf ihren Tischen sorgten. Denn die sandigen Böden um das Biesedorf wurden schon früher als mager beschrieben. Es gibt sogar Namensdeutungen, die Gladigau auf das altslawische Wort "glado", also auf Hunger zurückführen.

Der Fischfang wurde vor allem für den Eigenbedarf und oft in Gemeinschaft betrieben. Heißt: Der Gladigauer Bieseabschnitt wurde regelmäßig abgefischt und die Ausbeute unter den Einwohnern verteilt, beruft sich Lazay auf alte Überlieferungen. Diese besagen zudem, dass der Ort mit seinen Stroh- beziehungsweise Schilfdächern früher auch optisch den heutigen Vorstellungen eines Fischerdorfes entsprach. Zumindest bis zum letzten Großbrand, der 1833 wütete und in dessen Folge die Dächer Ziegelsteine bekamen. Bis auf das Pfarrhaus, das die Flammen verschont hatten und das sein Strohdach bis 1888 behalten durfte.

Es war übrigens nicht die erste Feuersbrunst, die die Geschichtsschreiber überlieferten. Schon 1697 vernichtete ein Großfeuer acht Ackermanns- und fünf Kosatenhöfe. Doppelt bitter, weil auch der 30-jährige Krieg das Dorf ruinös hinterlassen hatte.

Alle paar Generationen mit dem Wiederaubau des Ortes beschäftigt und mit schlechten Böden "gesegnet", wunderte es nicht, dass Gladigau nie ein reiches Dorf war. Trotzdem gelang den Bewohnern gemeinsam mit den Rossauer Nachbarn ein finanzpolitischer Geniestreich, der in der Region seinesgleichen sucht und dessen juristische Auswirkungen bis in die Neuzeit reichen. Die Gladigauer erwarben 1820 nämlich die Patronatsrechte derer von Bismarck auf Krevese. Damit befreiten sich die Dorfbewohner nicht nur aus dem Abgabensystem, sie durften damit ihre Pastoren selbst berufen.

Indem sie sich auf ihre erworbenen Rechte beriefen, konnten die Gladigauer 1959 auch verhindern, dass ihre Pfarrstelle von der Landeskirche gestrichen wurde. Somit ist seit 1578 für Gladigau belegt, dass der Ort nie länger als ein halbes Jahr ohne Geistlichen war, erklärt Lazay mit lokalpatriotischem Unterton in der Stimme.

Da wundert es auch nicht, dass die Pfarrkirche über die Jahrhunderte immer wieder erweitert und in Schuss gehalten wurde. Wertvolle Teile des Interieurs sind der über 300 Jahre alte geschnitzte Kanzelaltar, der noch das Bismarcksche Wappen trägt, und die Empore, die später für die Orgel erweitert wurde. Dem Kircheninstrument wird allerdings keine besonders große kulturhistorische Bedeutung zugesprochen.

Ein vermeintlicher Schönheitsfehler wurde nie korrigiert. Chor sowie Kirchenschiff und der Turm des Gotteshauses, alle in unterschiedlichen Epochen seit der ersten Erwähnung des Sakralbaus Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden, stehen nämlich nicht in einer Flucht. An die Unfähigkeit der alten Baumeister will Norbert Lazay nicht glauben. Die Schiefstellung des Chors beträgt immerhin um die zehn Grad und ist sowohl innen als auch von außen mit bloßem Auge leicht zu erkennen. Der Pfarrer favorisiert vielmehr eine andere Theorie. Denn der schiefe Chor ist vielleicht in der Altmark die Ausnahme, in der weltweiten Kirchenarchitektur aber durchaus kein Einzelfall.

Die Lösung für den aus der Flucht geratenen Kirchengrundriss ist möglicherweise im Johannes-Evangelium zu finden, wo es zum gekreuzigten Jesus heißt: "… und er neigte sein Haupt und verschied." Heißt: Kirche und Chor, ohnehin oft betont mit kreuzförmigem Grundriss erbaut, könnten für den geschundenen Körper und den Kopf von Jesus am Kreuz stehen – genauso nach links geneigt, wie das Haupt des Heilands in der Stunde des Todes.

Übrigens: Aus historischer Sicht nur um Haaresbreite wäre die Kirche fast nicht das älteste Haus im Dorf gewesen. Bis 1831 standen an der Biese nämlich noch die Überreste des alten Bergfriedes, eine Zollstelle am Grenzfluss zwischen den Bistümern Halberstadt und Verden/Aller. Um Haaresbreite deshalb, weil Friedrich Wilhelm IV nur neun Jahre später König von Preußen wurde. Der Romantiker gilt quasi als Erfinder des Denkmalschutzes. Unter seiner Regentschaft, ist sich Lazay sicher, wäre der Turm aus dem 10.Jahrhundert erhalten geblieben, vielleicht sogar wieder aufgebaut worden.

Zum Verbleib der Steine des wehrhaften Baus gibt es zwei Theorien. Stephan Werneccius, früherer Amtsbruder von Lazay, spekuliert 1713, dass sich viele Steine "nach dem Zeugnis der Fischer von Gladigau" in einer gepflasterten Furt wiederfanden. Lazay hält aber die Meinung von Wilhelm Schmidt für wahrscheinlicher. Der frühere Dorflehrer glaubt, dass die Steine beim Aufbau des Dorfes halfen.