1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Osterburg
  6. >
  7. "Eigentlich bin ich eine starke Frau"

Astrid Kadell (38) aus Kläden möchte eine Selbsthilfegruppe für Alkoholiker gründen / Sie selbst ist seit über einem Jahr trocken "Eigentlich bin ich eine starke Frau"

Von Corinne Plaga 13.05.2011, 04:30

Menschen, die krankhaft süchtig sind, trauen sich oft nicht, Hilfe zu suchen. Viele Süchtige wollen ihre eigene prekäre Situation häufig selbst nicht akzeptieren. Eine, die den Schritt aus der Anonymität heraus gewagt hat, und jetzt anderen Menschen helfen möchte, ist Astrid Kadell. Sie plant eine Selbsthilfegruppe für Alkoholkranke in Kläden und Umgebung.

Stendal/Kläden. Eigene Erfahrungen weitergeben, mit Menschen, die ähnliche Probleme haben, reden, und ein Stück weit Selbsttherapie: Astrid Kadell aus Kläden bei Bismark will eine Selbsthilfegruppe für Alkoholsüchtige gründen - und das am liebsten in ihrem Heimatort. Auch wenn sie weiß, dass in einem Ort mit rund 700 Einwohnern viel getuschelt wird, möchte sie den Schritt wagen und sich der Öffentlichkeit stellen. "Ich möchte damit allen in Kläden und Umgebung zeigen: Ich hab\'s geschafft!"

Geschafft hat die 38-Jährige einen langen steinigen Weg voller Rückschläge und Neuanfänge - aber am Ende hat sich der Kampf gelohnt. Seit dem 5. März 2010 ist die Klädenerin trocken, trinkt keinen Schluck Alkohol mehr. Vor einigen Jahren sah das noch ganz anders aus. Mehrere Biere, Schnaps mit Cola gemischt und Wein gehörten zur täglichen Dosis der Altmärkerin. "Irgendwann habe ich richtig gesoffen", erzählt sie. Wie konnte es soweit kommen, dass eine junge Frau wie Astrid sich täglich betrinkt, sich quasi besinnungslos säuft?

"Eigentlich stamme ich aus einer normalen Familie. Mein Vater trank aber abends gerne mal", erinnert sie sich. Mit weiteren vier Geschwistern wuchs Astrid auf, "der Zusammenhalt war immer groß", sagt sie. Doch dann ein schwerer Schicksalsschlag: Ihr Bruder stirbt mit 27 Jahren. "Ich war damals 14. Es hat uns alle sehr getroffen." Im selben Jahr dann der nächste große Schock: Astrids Vater stirbt an Krebs. Innerhalb kürzester Zeit verliert sie zwei ihr nahe stehende Menschen. Das große Leiden begann.

"Ich sagte mir: Ich trinke nie wieder"

Die gelernte Tierpflegerin beginnt zu trinken. "Das fing schleichend an. Erst auf Partys, dann wurde es immer mehr." Mit 32 Jahren kam dann der erste Entschluss, eine Entgiftung zu machen. In Uchtspringe blieb sie zehn Tage, mit anschließendem Aufenthalt in der Tagesklinik. "Als ich draußen war, sagte ich mir: Ich trinke nie wieder." Doch die guten Vorsätze waren bald vergessen. "Ich hab heimlich getrunken, das hat auch meine Familie irgendwann mitbekommen." Aus ihrer Partnerschaft, die 16 Jahre hielt, gingen zwei Söhne hervor, die heute 19 und 11 Jahre alt sind. Doch auch die eigenen Kinder im Haus waren für Astrid kein Grund, das Trinken aufzugeben. "Und dann kam der Tag, an dem mein Mann mich verließ und die Kinder mitnahm", erzählt sie mit zitternder Stimme. "Da fing ich richtig an zu saufen." Bier, Wein, Schnaps - alles drehte sich nur noch um den Alkohol. "Aber den Haushalt habe ich immer noch geschafft. Eigentlich bin ich eine starke Frau", sagt die Arbeitslose heute rückblickend. Astrid lernte ihren jetzigen Partner kennen. Ebenfalls trockener Alkoholiker. Er stand ihr bei. Es folgte die nächste Entgiftung. "Ich habe jeden Tag gekämpft." Dann bekam sie ihr drittes Kind: eine Tochter. "Sie wurde mit einer Krankheit, der Gaumenspalte, geboren."

Die Krankheit ist eine Folge ihrer Alkoholsucht während der Schwangerschaft, weiß Astrid Kadell heute. Ihre Tochter, sechs Jahre alt, lebt in einer Pflegefamilie, der Kontakt sei gut. 2006 starb Astrids Schwester, ein Jahr später ihr zweiter Bruder. "Dann hat\'s Klick gemacht, und ich wusste, das kann ich meiner Mutter und den Kindern nicht weiter antun." Ganz allein, zu Hause, hörte sie auf mit dem Trinken. Nun ist sie bereits seit 14 Monaten trocken. "Es gibt sicher noch mehr Leute, denen es ergeht wie mir", so die Klädenerin. Darum möchte sie eine Selbsthilfegruppe gründen und damit sich und anderen helfen. Bärbel Riep vom Paritätischen möchte ihr beim Aufbau der Gruppe helfen. Angesprochen sind alle Betroffenen aus Kläden und Umgebung. "Ich ziehe das durch mit der Gruppe", blickt Astrid hoffnungsvoll nach vorn und hofft auf gute Resonanz.

Zwar bleibt die Angst vor einem Rückfall, aber: "Meine Söhne sind sehr stolz auf mich und das soll auch so bleiben." Im nächsten Jahr möchte Astrid Kadell sich einen Traum verwirklichen und ihren Motorradführerschein machen. "Ich habe noch viel vor."