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Heimatgeschichte um ein im Sommer 1960 ausgerissenes Tier Schwarzbunte Kuh sucht das Abenteuer auf der anderen Seite

Von Frank Schmarsow 28.12.2011, 04:26

Die Geschichte einer ausgerissenen Kuh sorgte vor über 50 Jahren in Bömenzien und dem wendländischen Kapern für Aufsehen.

Bömenzien/Kapern l In diesem Sommer ist ja um die ausgebüxte Kuh Yvonne in den Medien viel Wirbel gemacht worden. Die war ja nun nach mehreren Wochen glücklicherweise wieder eingefangen worden und soll auf einem Gnadenhof ihr weiteres Dasein genießen. Dass Rinder mal auf Wanderschaft gehen, ist ja keine Seltenheit. Mein Tischnachbar neulich in einem Café in Schnackenburg, ein älterer Mann mit Schiffermütze, der gemütlich seinen Knösel schmauchte, wusste eine Geschichte von einer Kuh als Grenzgängerin zu erzählen, die sich im Sommer 1960 zugetragen haben soll.

"Willst du die Story hören?"

"Aber immer", sagte ich und orderte bei der netten Serviererin für ihn Bier und Korn und ein weiteres Kännchen Tee für mich.

"Eines schönen Tages", hub er an, "bemerkte August Goede, der war Bauer in Kapern, auf seiner Koppel eine schwarzbunte Kuh, die ihm nicht gehörte und, wie er schnell feststellte, hochträchtig war. Seine Kühe befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf einer anderen Weide. Goede registrierte den Fremdling zunächst mit Verwunderung, fand aber dann nichts weiter dabei, denn hin und wieder entdecken Rinder in ihrer Koppel einen Durchschlupf und gehen auf Wanderschaft. Was jedoch dem Bauern seltsam vorkam, war, dass es sich um eine einzelne Kuh handelte, denn oft, es sind ja Herdentiere, brechen Rinder gemeinsam aus.

August Goede ließ einige Tage verstreichen, hatte inzwischen auch ein paar Bauern daraufhin angesprochen. Doch als sich dann immer noch niemand meldete, der seine Kuh vermisste, entsann er sich seiner Pflicht und informierte den Bürgermeister in Kapern, das war damals, warte mal, ... ach ich komme jetzt nicht auf den Namen, ist ja auch unwichtig, über diesen Vorfall. Jetzt galt die Kuh als Fundsache - wie ein herrenloses Fahrrad, ein Schlüsselbund oder ein Regenschirm. Und der Bürgermeister, Herrgott, ich komme einfach nicht mehr auf seinen Namen, na ja ist ja auch egal, ordnete an: ,August, dir ist die Kuh zugelaufen, du bist erst mal für sie verantwortlich mit Obdach, Futter und so. Die Kosten trägt bis zur Klärung der Angelegenheit die Gemeinde. Damit war der Bauer zufrieden."

Mein Gegenüber legte die Pfeife in den Ascher, griff nach dem Schnaps, prostete mir zu und spülte gleich nach. Er wischte mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen, stopfte mit dem Daumen Tabak nach und fuhr fort:

"Inzwischen machte der Vorfall im Dorf die Runde. An den Stammtischen der Gasthäuser wurde gerätselt. Es könne doch nicht sein, hieß es, dass niemand seine Kuh, zumal eine tragende, vermissen würde. Das Thema gelangte auch in die Nachbardörfer - kein positives Echo. Der Bürgermeister machte über die aufgefundene Kuh einen ortsüblichen Aushang. Es bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass sich nun der Besitzer melden würde. Mittlerweile tat die Kuh sich schon seit mehr als einer Woche auf Goedes Koppel am saftigen Futter gütlich, ohne dass sich jemand gemeldet hatte. Der Bürgermeister, ebenfalls Bauer, sah dann eines Tages dort nach dem Rechten. Und der stellte fest: Das Tier hatte eine Ohrenmarke, die hier nicht hingehörte; sie stammte aus dem Osten." Eberhard - wir hatten uns inzwischen vornamentlich bekannt gemacht, er war Elbschiffer im Ruhestand - bestellte nun seinerseits bei der Kellnerin. Er hatte zwischendurch seine Pfeife ausgeklopft, ausgeschabt und abkühlen lassen und holte aus seiner Jackentasche eine Blechschachtel, deren Deckel eine überseeische Tabakplantage zierte. Er löste das Gummiband, das den Deckel auf der Schachtel festhielt, und stopfte gemächlich den Pfeifenkopf mit grob geschnittenen Tabak. "Echt Bio, aus eigenem Anbau, ohne Spritzmittel", meinte er grinsend.

"Also, wo war ich stehen geblieben? Ach so: Der Bürgermeister überlegte, was nun zu tun wäre. Sollte Goede nun die Kuh still schweigend behalten, so als ob nichts geschehen wäre? Aber nein, davon wussten zu viele, und außerdem müsste man nach geraumer Zeit die Kuh und das dann geborene Kalb wie alle anderen Fundsachen auch versteigern. Und schließlich hatte er auch noch ein gewisses Rechtsbewusstsein. Er entschloss sich also, das Problem mit Hilfe der ostdeutschen Grenzer zu lösen."

Bekanntlich verlief zwischen Kapern und Bömenzien die so genannte Zonengrenze. Dort gibt es eine Brücke über einen kleinen Wasserlauf, die Königsbrücke. Genau in der Mitte dieser Brücke verlief die Grenze.

Den zweiten Teil lesen Sie in einer der nächsten Ausgaben.