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Heimatforscher und Chronist Eckehard Schwarz erinnert an Nagels Weg nach Arendsee, seine Lebensweise und Feinde Paradiesvögel unerwünscht: Leben in Erdhöhlen und Wanderschaft

28.03.2014, 01:24

Arendsee (esw) l Heute vor 140 Jahren, am 28. März 1874, wurde in Werben der Sonderling und Wanderprediger Gustav Nagel geboren. Wie war es eigentlich, als Gustav Nagel das erste Mal nach Arendsee kam?

Gustav Nagel wurde nicht gleich nach der Schulzeit der bekannte Wanderprediger, sondern er wurde das, was ihm sein Vater zugedacht hatte, ein Kaufmann. Nach der Konfirmation und dem Schulabschluss begibt er sich kurz nach Ostern des Jahres 1888 in die Lehre zu dem Arendseer Kaufmann Ernst Albrecht. Der ungeliebte Beruf macht ihm wenig Freude, doch er lernt schnell, unterstützt von seiner Mutter, mit Geld umzugehen.

Diese Tätigkeit macht Gustav Nagel immer weniger Spaß und so ist es für ihn fast ein "Glück", dass er schon zwei Jahre später die Lehre wieder abbrechen muss: Er leidet an einer Wollallergie sowie chronischen Nasen- und Rachenkatarrhen. Die Allergien ersparen ihm auch den Wehrdienst, denn er erhält am 10. Juli 1894 den Ausmusterungsschein.

Doch behindern ihn seine körperlichen Gebrechen sehr. Die Ärzte können seine Krankheiten kaum lindern. So lässt sein Vertrauen in die Schulmedizin nach. Er beschäftigt sich mit den Methoden der Naturheilkunde, die gerade durch Veröffentlichungen über die Lehren und Heilerfolge von Pfarrer Kneipp in Wörishofen oder Friedrich Eduard Bilz in Dresden bekannt waren. Nagel stellt seine Lebensgewohnheiten um, wird Vegetarier und beginnt sich seiner Kleider zu entledigen und lässt seine Haare wachsen.

Linderung der Leiden schlägt um ins Extreme

Die Freude über die Linderung seiner Leiden schlägt jetzt ins Extreme bei Nagel um und er baut sich im Jahre 1890 im "Zühlenschen Tann" seine erste Erdhöhle. Sein Aussehen, Auftreten und das Wohnen in dieser Erdhöhle machen ihn im konservativen Arendsee schnell zu einem Außenseiter, der durch Sanktionen und Schikanen gezwungen werden soll Arendsee zu verlassen.

So zerstören Jugendliche mehrfach seine Höhle und die Arendseer dichten Nagel einen unmoralischen Lebenswandel an: In seiner Höhle soll er es gleich mit zwei Frauen getrieben haben. Insgesamt baut Gustav Nagel fünf Erdhöhlen als Wohnunterkunft. Immer öfter wird er jetzt auch von Bürgern der Stadt besucht und den Gästen als "Attraktion" gezeigt.

Von offizieller Seite wird er immer mehr bedrängt dieses Leben aufzugeben. Allerdings stellt Nagel mit Erstaunen fest, dass es ihm gesundheitlich besser geht als in einer "normalen" Wohnung.

Als er seine zweite Erdhöhle 1897 unweit des Arend- seer Schützenhauses baut, ist er anfangs noch voller Hoffnung, dass er dort länger als in der ersten Höhle wohnen kann. Doch er hatte sich getäuscht, sie wird wie alle 5 seiner Wohnhöhlen ebenfalls zerstört, Paradiesvögel sind unerwünscht.

Auch diese Wohnbehausung wird zerstört, doch trifft ihn diese Tatsache bei weiten nicht so hart wie der Tod seiner Mutter am 28. April. Dass Nagel sogar die eisigen Nächte in den Höhlen - fünf sind es im Laufe der Zeit - zubringen konnte, ist ein Beweis von der abgehärteten Natur dieses Mannes. Vor der Höhle ist ein "Opferstock" in Gestalt einer großen Sparbüchse angebracht, die ihm eine gute Einnahme bringt. Es sollen ihm die Osterfeiertage von den Besuchern etwa 120 Mark eingebracht haben.

Christlicher Aspekt wird zur wichtigsten Triebfeder des Handelns

Je länger er in diesen Erdhöhlen lebt, umso größer wird sein Interesse an der Naturheilkunde. Er beginnt offen über seine Erfahrungen zu sprechen. Immer mehr Leute hören zu. Neben den Erkenntnissen aus eigener Erfahrung enthalten Nagels Reden und späteren Lehren immer deutlicher einen christlichen Aspekt, der zur wichtigsten Triebfeder seines Handelns werden soll. Sein Vater hat die Aktivitäten des "Nesthäkchens" nie richtig verstanden und als "überzogenen religiösen Eifer" abgetan.

Doch in dem aufstrebenden Badeort Arendsee hat er nicht nur Freunde, oft werden die Belästigungen von Jugendlichen, aber auch von "guten Familien" immer bedrohlicher.

Verbittert begibt sich Gustav Nagel daher 1898 auf Wanderschaft. Diese erste Wanderung durch Deutschland nutzt er vor allem, um seine Naturheilkenntnisse zu verbessern.

Der norwegische Nobelpreisträger Knut Hamsun (1859-1952) lässt die Hauptperson seines Romans "Mysterien", den sehr eigenwilligen Sonderling Johan Nils Nagel, nach dem Vorbild von Gustav Nagel entstehen. Die Erstausgabe erschien bereits im September 1892 bei Philipsen in Kopenhagen. 1892 war der richtige Nagel gerade im Begriff bekannt zu werden. Er taucht jedoch schon mit ersten Abbildungen in norddeutschen Zeitungen auf. Da Knut Hamsun ein Freund Deutschlands war und deutsche Tageszeitungen las, liegt es nahe, das er so etwas über Nagel erfahren hat. Ob sich die beiden jedoch einmal persönlich getroffen haben, ist unbekannt.