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Altmärker verfolgen Debatte jenseits des Atlantiks mit Blick auf Pilotprojekt Gutachterstreit: Leckt ein CO2-Speicher in Kanada?

Von Holger Thiel 25.01.2011, 04:26

Natürlichen Ursprungs oder doch ein Leck in der kanadischen CO2-Speicherstätte auf dem Erdölfeld Weyburn? Ein Gutachterstreit zum Fall der Familie Kerr aus dem Bundesstaat Saskatchewan (wir berichteten) hat eingesetzt. Ein international viel beachteter Fall, der auch für das geplante CO2-Pilotprojekt in der Altmark Fragen aufwirft.

Salzwedel. In dieser Woche könnte das Bundeskabinett über den gemeinsamen Gesetzesentwurf des Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministeriums für ein CO2-Speichergesetz beraten. Für die Altmark nicht unerheblich. Denn das geplante CO2-Pilotprojekt bei Mahlsdorf – bis zu 100 000 Tonnen Kohlendioxid sollen in eine fast erschöpfte Erdgas-Teillagerstätte verpresst werden – hängt maßgeblich von diesem Gesetz ab. Solange es nicht beschlossen ist, wird es kein Genehmigungsverfahren durch das Landesamt für Bergbau und Geologie geben.

Bis zum Sommer muss das Gesetz entsprechend einer EU-Richtlinie beschlossen sein. Doch es gibt massiven Widerstand gegen das Gesetz, auch in Sachsen-Anhalt. Unter anderem, weil 30 Jahre nach Abschluss der CO2-Verpressung die Haftung bei auftretenden Schäden auf das Land übergehen soll. Zudem sieht der bislang vorliegende Entwurf vor, dass Forschungsspeicher wie der geplante in der Altmark vom Nachweis der Langzeitsicherheit befreit werden können. Problematisch sind auch die Regelungen zur Haftung. Die Geschädigten müssen nachweisen, dass es das gespeicherte CO2 war, das zu Schäden an Körper, Gesundheit oder Sachen geführt hat (Paragraph 29), zum Beispiel zum Tod von Tieren.

Kohlendioxid soll die Erdölausbeute erhöhen

Das könnte für die Altmärker schwierig werden, wie der Fall das kanadischen Farmerpaares Jane und Kerr Cameron jetzt zeigt. Sie stecken in einem Gutachterstreit, den sie finanziell kaum durchstehen können. Denn ihre Gegenseite ist die mächtige Erdölindustrie, Forschungsinstitute und am Ende sogar die Politik. Es geht um die CCS-Technologie, dem Abscheiden von CO2 aus Kraftwerksprozessen und Speichern in geologischen Formationen.

Auf dem Erdölfeld Weyburn an der amerikanisch-kanadischen Grenze wird seit dem Jahr 2000 CCS praktiziert. Über eine 330 Kilometer lange Pipeline wird das in einer amerikanischen Anlage zur Kohlevergasung anfallende CO2 ins Erdölfeld Weyburn verpresst. Täglich rund 6000 Tonnen. Der Energiekonzern Cenovus will so die Erdölausbeute erhöhen. Ein internationales Forschungsprojekt, das mit 85 Millionen Dollar gefördert wird. Es soll den Beweis liefern, dass CCS bei gleichzeitiger Rohstoffgewinnung sicher machbar ist.

Und nun das: Das Ehepaar Cameron vermutet, dass in einer 2003 ausgehobenen Kiesgrube jenes CO2 austritt, das in das Erdölfeld verpresst wird. Ihre Farm liegt über der Lagerstätte. Ein CO2-Injektionspunkt ist nur einen Kilometer entfernt. Algenwuchs in Tümpeln am Grund der Kiesgrube, tote Tiere, blubberndes Wasser und mindestens eine Explosion führen Kerrs als Begründung ins Feld.

2004 hatten sie die ersten Vorfälle und Veränderungen bemerkt. 2007 vereinbarte das Paar mit dem zuständigen kanadischen Ministerium, dass es eine einjährige Untersuchung auf ihrem Grundstück geben soll. Aus dem Jahr wurde ein Tag. Es gab keine geologischen Untersuchungen und keine CO2-Messungen. Im vergangenen Jahr zog das Ehepaar, das aus Angst die Farm verlassen hat, die Reißleine. Es beauftragte "Petro-Suche Geochem", ein unabhängiges geologisches Beratungsunternehmen, mit einem Gutachten. Das Ergebnis ist für das CCS-Pilotprojekt verheerend.

CCS-Forscher reagieren jetzt nervös

Für den Wissenschaftler Paul Lafleur steht fest, dass CO2 austritt. Bis zu elf Prozent soll die Konzentration in Bodennähe betragen, bereits acht Prozent sind für den Menschen tödlich. Kohlendioxid, das im Rahmen des CCS-Projektes bis zu 1400 Meter tief verpresst wurde. Für seine Einschätzung spreche unter anderem die Isotopenuntersuchung des aufgefundenen CO2 und das festgestellte Methan, so Lafleur. Für ihn steht fest, dass das Deckgebirge nicht dicht ist, dass es Mikrorisse gibt. Ein 27-seitiges Gutachten, das nach dem Bekanntwerden vor wenigen Wochen (die Volksstimme berichtete) international für ein Erdbeben in Sachen CCS sorgte.

Entsprechend schnell wurde reagiert. Das Petroleum Training and Research Centre, es leitet das Forschungsprojekt in Weyburne, stellte ein Gegengutachten auf. Ergebnis: Daten seien falsch interpretiert worden und Messungen waren fehlerhaft. Das aufgefundene CO2 sei in dieser Konzentration bereits im Jahr 2000 gemessen worden. Es sei biologischen Ursprungs. Das Deckgebirge sei sicher, immerhin halte es bereits seit Millionen Jahren das Erdöl gefangen.

Sieben Seiten zur Ehrenrettung eines CO2-Projektes, das nicht nur für die kanadische Erdölindustrie wichtig ist. Doch es ist ein Gegengutachten mit Schönheitsfehlern. So wird Lafleur vorgeworfen, seine Proben aus einem Meter Tiefe gezogen zu haben. Er habe damit durch Mikroorganismen erzeugtes CO2 entnommen und gemessen. Allerdings: Lafleur erklärt in seiner Studie ausführlich, wie er aus drei (!) Meter Tiefe die Proben zog.

Der Fall Kerr hat mittlerweile Deutschland erreicht. CCS-Forscher reagierten ebenso nervös wie Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke), der sich für die Nutzung der CCS-Technologie in Brandenburg einsetzt – zu Gunsten der Braunkohleindustrie. Und auch die altmärkische Bürgerinitiative "Kein CO2-Endlager Altmark" verfolgt aufmerksam die Vorgänge rund um Weyburn. Denn in der Altmark soll CO2 die Erdgasausbeute erhöhen. Die Parallelen liegen also durchaus auf der Hand.