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Niedersachse will vier Ställe nahe Dambeck errichten / Bauantrag ist gestellt / Bürgerinitiative trifft sich kommenden Montag 160 000 Hähnchen: Jetzt tickt die Uhr

Von Holger Thiel 24.02.2011, 16:39

Jetzt wird es ernst für die Dambecker und Brewitzer: Die Biogas Dambeck GmbH & Co. KG hat im Landesverwaltungsamt den Antrag zum Bau von vier Hühnermastställen gestellt. 160 000 Mastplätze sind geplant. Die Stadt hat acht Wochen Zeit, eine planungsrechtliche Stellungnahme abzugeben, informierte Bauamtsleiter Ralf Burmeister am Montagabend den Ortschaftsrat. Die Nachricht kam unerwartet. Am kommenden Montag lädt die Bürgerinitiative "Keine Hähnchenmast in Dambeck" zu einer Informationsveranstaltung ein.

Dambeck. 450 Meter von Dambeck entfernt, 600 Meter von Brewitz, das genau in der Windrichtung liegt: Unmittelbar an der bereits fertigen Biogasanlage sollen die vier Ställe errichtet werden. Der niedersächsische Unternehmer Horst Ostendorf aus Garrel und sein Geschäftspartner Andreas Freese gehen jetzt den zweiten Schritt.

Vor eineinhalb Jahren war bekannt geworden, dass Ostendorf erst eine Biogasanlage und dann Hähnchenmastställe für 80 000 Tiere errichten will. Zu jener Zeit war der damalige Ortsbürgermeister und Dambecker Landwirt Gerhard Schulz mit im Boot. Am Montag bekannte er öffentlich zu dem jetzt gestellten Bauantrag: "Das ist für mich neu. Ich bin nicht mehr dabei, und ich habe auch nichts davon." Die Flächen für die Ställe sind an Ostendorf verkauft. Sitz der Biogas Dambeck GmbH & Co. KG ist Garrel. Dorthin werden also auch die Gewerbesteuern fließen. Regionale Wertschöpfung sieht anders aus.

"Ich finde es ganz ungeheuerlich. Da wurde das Land an Leute verkauft, die hier nicht wohnen und ein ganzes Dorf leidet darunter", sagte die Dambeckerin Judith Dutschke in Richtung Gerhard Schulz.

Was passiert, wenn ein Stall brennt?

Kampflos wollen die Dambecker den Niedersachsen das Feld nicht überlassen. Die Bürgerinitiative "Keine Hähnchenmast in Dambeck" hat bereits mehr als 1000 Unterschriften gegen die industrielle Hähnchenmast gesammelt. Am kommenden Montag, 28. Februar, lädt sie ab 19.30 Uhr zu einer Informationsveranstaltung ins Dorfgemeinschaftshaus. Der städtische Bauausschuss sprach sich im Juni vergangenen Jahres gegen die Ostendorfer Pläne aus.

Jetzt liegt der Bauantrag vor. Im Landesverwaltungsamt ist ein Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz eingeleitet worden. Erster Schritt: Die Stadt muss binnen acht Wochen eine planungsrechtliche Stellungnahme abgeben. Neuland für das Bauamt, räumte Amtsleiter Ralf Burmeister am Montag ein. Er sehe derzeit wenig Möglichkeiten, das sogenannte gemeindliche Einvernehmen zu versagen. Die Gemeinde Roxförde versagte vor mehr als zehn Jahren bei einem Putenmastprojekt ihr Einvernehmen, nachdem sie zuvor für das Vorhaben war und der Investor bereits erste Ausgaben hatte. Die Folge: Die Einheitsgemeinde Gardelegen muss als Rechtsnachfolgerin von Roxförde Schadenersatz in Höhe von rund 900 000 Euro zahlen.

Auf dieses Beispiel wies am Montag auch der Bauamtsleiter hin. Nur, die Zeiten haben sich geändert. Industrielle Massentierhaltung wird zunehmend kritisch gesehen. Nicht nur von den betroffenen Einwohnern. In den drei niedersächsischen Kreisen Emsland, Vechta und Oldenburg, allesamt Geflügelhochburgen, liegen derzeit sämtliche Anträge auf Stallneubauten auf Eis. Die Kreise fordern Gutachten zum Brandschutz - Wie evakuiert man 160 000 überzüchtete Hähnchen in zehn Minuten? - und zu den Keimbelastungen, die von den Ställen ausgehen.

Agrarexperte spricht vom "Boom mit Risiko"

Und auch in den zuständigen Ministerien kippt langsam die Stimmung. So kündigte Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens in seiner Regierungserklärung während der Landtagssitzung im Dezember die Bildung eines "Forums Tierzucht" an. "Wir stellen uns die Frage, ob die Bürgerbeteiligung bei Stallbauten ausreichend ist", so der Minister. Er betonte zudem, dass es problematisch sei, wenn die Wertschöpfung nicht in der Region erfolge.

Im Fall der geplanten vier Hähnchenställe in Dambeck wäre das nicht der Fall. Das Futter kommt nicht aus der Altmark, geschlachtet werden die Tiere womöglich in Wietze, Landkreis Celle. Dort wird derzeit ein Schlachthof errichtet, in dem jährlich bis zu 135 Millionen Hähnchen verarbeitet werden sollen. 420 Mastbetriebe à 40 000 Hähnchenplätze werden dazu benötigt. Das macht die Altmark für die industrielle Geflügelhaltung interessant.

So will Ostendorf auch in Schenkenhorst investieren. Eine Kombination von Biogasanlage und Hähnchenmast, etwa 39 000 Tiere, ist bereits genehmigt und im Bau. Doch der Niedersachse will nun erweitern. Eine zweite Biogasanlage soll entstehen, die Mastplätze sollen auf 320 000 erweitert werden. Dagegen regt sich in der Region mittlerweile Widerstand.

Für Prof. Dr. Hans-Wilhelm Windhorst von der Universität Vechta hat in Deutschland ein "Boom mit Risiko" eingesetzt. In einem Aufsatz Ende 2010 machte er deutlich, dass der Selbstversorgungsgrad mit Hähnchenfleisch in Deutschland mit 105,3 Prozent (im Jahr 2009) deutlich über den Inlandsbedarf lag. Zudem wird der "Kampf um Mastplätze" zur Flächenverknappung und steigenden Pachtpreisen für die Landwirte führen. In Zentren der Hähnchenmast werde sich das Problem der umweltverträglichen Verwertung des Hühnerkots und das Krankheits- und Seuchenrisiko verschärfen, schätzte der Experte kritisch ein.