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Die Stadt Calbe erlebt angespannten Tag / Hochwasserscheitel zieht sich: Saale steht bei 9,63 Meter Hunderte Freiwillige verteidigen ihre Stadt

Von Tilman Treue 07.06.2013, 01:23

Es war ein Tag, der in die Geschichte der Stadt eingehen wird: Immer höher stieg die Saale, bis 19 Uhr auf den bis dahin unvorstellbaren Wert von 9,63 Metern. Die Verteidigung der Deiche bestimmte die bangen Stunden und ständig die Frage: Steigt sie noch?

Calbe l Eine große Welle der Hilfsbereitschaft prägte den gestrigen Tag in und um Calbe. Hunderte Freiwillige halfen an den Stationen mit und füllten palettenweise Sandsäcke. Zur selben Zeit kämpften an vorderster Front die Freiwilligen Feuerwehren, die Wasserwehr und das Technische Hilfswerk um jeden Zentimeter. "Die Sicherung der Deiche hat oberste Priorität", betonte Bürgermeister Dieter Tischmeyer nach der morgendlichen Sitzung des Stabes für außergewöhnliche Ereignisse (SAE).

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Saale bereits zwei Hochwasserbarrieren überwunden, ergoss sich über das Wassertor in die Schloßstraße und am Marktplatz in Richtung Fußgängerzone Wilhelm-Loewe-Straße. Mit großer Mühe dämmte die Feuerwehr den Mühlgraben wieder ein, doch dahinter stiegen die Fluten weiter. Auch das Rathaus konnte letztlich geschützt werden, der Stromanschluss drohte unter Wasser zu geraten.

Der SAE-Stab zog ins Feuerwehrdepot in der Arnstedtstraße um. Hier laufen nun die Fäden zusammen. Isolde Schulze nahm pausenlos Telefonate entgegen, von besorgten Bürgern, Menschen, die ihre Hilfe anboten, und den Leitern der Einsatzgruppen draußen an den Deichen. Bürgermeister Tischmeyer besuchte mehrmals die Brennpunkte, ließ sich laufend auf den aktuellen Stand bringen. Seine Sorgenfalten wurden mit jeder Pegelprognose tiefer.

Brenzlig gestaltet sich die Situation vor allem in Gottesgnaden (siehe unsere Reportage auf Seite 3) sowie am "Pappeldamm" in Richtung Wispitz. Tausende Sandsäcke wurden hier zusätzlich verbaut, teils mit Handwagen an die richtige Stelle gebracht und der künstliche Wall somit weiter erhöht. Das Wasser steht mittlerweile sechs Reihen Sandsäcke hoch, sucht sich seinen Weg durch die Spalten und fließt in Richtung Landesstraße Calbe-Aken. Sie ist derzeit wichtiger denn je, denn nach der Überflutung der Bernburger Talstadt und der Sperrung des sensiblen Lindendammes bei Nienburg ist sie die einzige nutzbare Saaleüberquerung zwischen der Mündung und der Autobahn bei Alsleben. Selbst die Busse der Kreisverkehrsgesellschaft fahren von Schönebeck kommend nur noch bis Nienburg, empfehlen den Umstieg auf die Bahn, deren Dämme hoch genug liegen.

Doch es gibt Grund zu einem ersten, ganz vorsichtigen Aufatmen. Um 11 Uhr stieg der Pegel auf 9,59 Meter und verharrte dort für drei Stunden. "Die Tendenz kann keiner sagen. Wir gehen davon aus, dass es der Beginn des erwartet langen Scheitels ist", so Dieter Tischmeyer und es schwingt in dieser Aussage eine Menge Hoffnung mit, denn eines steht ebenso fest: Viel mehr geht nicht. Das Wasser steht an den Deichkronen. "Im Moment können wir nur eines tun: ständig kontrollieren und bei Bedarf reagieren."

Helfer aus dem ganzen Land, sogar aus Niedersachsen kamen gestern an die Saale. Das ist schön und die Helfer vor Ort sind dankbar dafür, allerdings hat dies auch einen faden Beigeschmack, denn viele kamen auf die Hinweise in sozialen Netzwerken hin. Dort wurden bisweilen Übertreibungen und Falschmeldungen kolportiert, weshalb die Stadt noch einmal darum bittet, dass sich diejenigen, die helfen möchten, bitte im Feuerwehrdepot melden möchten, von dort wird dann eingeteilt.

Neben den bekannten Brennpunkten wurden auch in Schwarz und Calbe-Ost Sandsäcke gefüllt. Letztere sollen helfen, kleinere Sickerstellen im Deich bei Grizehne abzudichten. Auch in Trabitz ist die Lage derzeit unter Kontrolle, der tiefergelegene Bereich bei "Steiners Damm" ist mit so genannten "Big Bags" gesichert worden.

In der Zwischenzeit wurden erste Familien evakuiert. Neben dem zentralen Notlager in der Sporthalle Zuckerfabrik stellten auch die beiden Wohnungsbaugesellschaften der Stadt Wohnungen zur Verfügung. Erste Häuser in tiefergelegenen Bereichen der Großen Fischerei und am Verschönerungsweg sind aufgegeben worden. Die Familien kamen bei Verwandten unter.

Wie sich die Lage weiter entwickeln wird, ist zunächst völlig offen. Als sicher gilt aber, dass das Hochwasser einige Tage auf diesem Extremniveau verharren wird - mit bisher unabsehbaren Folgen für die Deiche. Zumindest in einem Punkt kann der SAE-Stab aber Entwarnung geben. Im Gegensatz zu Gerüchten in der Stadt ist die Trinkwasserversorgung nicht gefährdet. Auch der Strom in der Schloßstraße, hier wurde ein Verteilerkasten überflutet, sollte soweit möglich gestern Abend wieder zugeschaltet werden.