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Welsleben wurde 1959 mit einer Skisprungschanze zum besonderen Wintersportmekka Von Andreas Pinkert Geschichten zwischen Elbe und Fläming: Als Skispringer über den Acker der Börde flogen

05.07.2013, 01:13

Wer die hiesige Bördelandschaft kennt, denkt an flaches, baumloses Land, große Felder und Landwirtschaft. Heute kaum vorstellbar: Ende der 1950er bis 1960er Jahre tummelten sich in Welsleben zahlreiche Skispringer. Rund 40 Jahre nach deren Einsturz wird im Dorf noch immer stolz an die einstige "Börde-Schanze" erinnert.

Welsleben l Der Schmalfilm rasselt monoton und lässt in blassen Schwarz-Weiß-Bildern die Aufbauzeit wieder aufleben, in der im Bördedorf die Sprungschanze errichtet wurde. Friseur Erich Beskau hielt damals zahlreiche Szenen mit seiner Handkamera fest. Noch heute zeugt das einzigartige Zeitdokument von einem großen Gemeinschaftssinn, als es darum ging, gemeinsam eine kühne Vision in die Tat umzusetzen und Welsleben in den Rang eines "Schidorfes" zu heben.

"Alles, von dem sich der Mensch eine Vorstellung machen kann, ist machbar": Dieser Ausspruch vom berühmten Raumfahrt-Visionär Wernher von Braun traf im kleineren Maßstab wohl auch auf die Einstellung der Welslebener zu. In einer schwierigen Zeit, die geprägt war von vielerlei Mangel, waren es die beiden "Zugpferde" Otto Reinsdorf und Wilhelm Schröder, die den folgenreichen Entschluss zum Bau der "Börde-Schanze" auf dem Mühlberg fassten.

Viele Geschick und Beziehungen in der DDR-Mangelwirtschaft

Die Idee dafür kam jedoch nicht von ungefähr. Bereits seit 1953 war in Welsleben eine Wintersportgruppe aktiv. Initiator war wiederum Wilhelm Schröder. Der Gastwirt des "Lindenhofes" galt in der Region als eine der schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Stillstand war für ihn ein Fremdwort. Neuen und ausgefallen Dingen habe er stets offen gegenüber gestanden, erinnert sich Harald Küster. "Weil er scheinbar gleichzeitig überall war, im kleinen und großen Saal des Lindenhofs, sagte man zu ihm auch Gummimann", weiß der Welslebener, der den "Ski-Vater des Dorfes" Wilhelm Schröder gut kannte.

Zusammen mit Otto Reinsdorf klärte der umtriebige Kneiper kurzerhand die Grundstücksfragen, mobilisierte unzählige freiwillige Helfer und organisierte nicht zuletzt das notwendige Material, was in den frühen DDR-Zeiten nicht ohne Geschick und Beziehungen funktionierte. Doch dem Visionär Schröder gelang es, lange Hölzer vom Gradierwerk Bad Salzelmen besorgen zu lassen. Wegen mangelnder Instandhaltung war die Anlage am Rande des Kurparks zu dieser Zeit gerade etwas kürzer geworden. Die Bretter für die "Börde-Schanze" kamen aus dem damaligen Reichsbahnausbesserungswerk.

Presse, Rundfunk und Fernsehen der DDR berichten aus Welsleben

Im Herbst 1957 begannen die Arbeiten. Anfang 1958 war die Schanze dank tausender freiwilliger Arbeitsstunden endlich fertig. Dort, wo noch in vergangenen Wintern Jugendliche über selbst aufgeschüttete kleine Schneehügel sprangen, thronte nun ein hölzernes Prestigeobjekt am Feldrand, das einmalig in der näheren Umgebung war. Lediglich im weitaus größeren sächsischen Eilenburg wurde zeitgleich ebenfalls eine Flachlandschanze eingweiht.

"Otto Reinsdorf galt als Konstrukteur der Börde-Schanze. Er war beruflich Techniker im Konstruktionsbüro im Schönebecker Traktorenwerk", erinnert Hans-Jürgen Korn, profunder Kenner der Heimatgeschichte. "Im Werk wurde erstmalig als Versuch eine Planierraupe entwickelt. Zur Probe der Maschine wurde diese in Welsleben für die Erdarbeiten getestet." Jenseits des heute allgegenwärtigen Schlagworts der globalen Klimaerwärmung fehlte es auch schon im Winter 1958 an Schnee, so dass erst im darauffolgenden Winter mit den Sprüngen begonnen werden konnte. Im Januar 1959 weihte der damals 14-jährige Rainer Schmidt die Schanze mit einem Sprung ein.

Nicht nur die Welslebener, auch Presse, Rundfunk und Fernsehen der DDR pilgerten zum Mühlberg. War es doch quasi ein Ding, dass es ausgerechnet ausgewiesene "Flachlandtiroler" der Börde fertig brachten, eine Skisprungschanze zu errichten. Das muntere Treiben hatte sich schnell bis zu den DDR-Profispringern in Klingenthal herumgesprochen. So reisten 1960 zum Nachtspringen bei Flutlicht auch Olympiateilnehmer wie Harry Glaß und Werner Lesser an und sorgten wieder für nationale Aufmerksamkeit.

Die wintersportbegeisterten Welslebener schafften sich vor genau 50 Jahren Kunststoffmatten an. Damit waren die Skispringer unabhängig vom Schneefall und konnten ihren Sport auch im Sommer ausüben. Wie in den Erinnerungen des ehemaligen Sektionsleiters Arnold Plümecke niedergeschrieben, avancierte Mitte der 1960er Jahre Welsleben zu einem wahren Skisprungmekka: Unter weiteren verdienten Sektionsleitern wie Helmut Hausmann oder Friedhelm Schröder wurden Meisterschaften, Schulsport, Faschings- oder Osterspringen durchgeführt.

Doch ein verheerender Sturm am 13. November 1972 brachte schließlich die Schanze zum Einsturz. "Eine neue Sprungschanze, bzw. der Aufbau der alten Schanze wird in absehbarer Zeit nicht möglich sein", vermeldete damals die Volksstimme. Und behielt bis heute Recht, sieht man einmal vom Miniatur-Nachbau am Fuße des Mühlbergs ab. Neben diesem Modell erinnern zahlreiche Anekdoten an die kurze, aber initiativreiche Skisprungzeit in Welsleben. Zudem wohnen noch immer erfolgreiche "Börde-Springer" im Dorf. Reinbert Erxleben beispielsweise, der gleich drei Mal Kreismeister wurde und es auf 21,5 Meter brachte. Oder Fredi Schäfter, dem als Jugendlicher im Winter 1967 bei einer Weite von 17,5 Metern eine "gute Flughaltung" bescheinigt wurde.