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Bürger beschweren sich Am Weinberg über zurückgebliebene "Stummel" / Bauhof antwortet Spagat: "Patient Baum" ein langes Leben ermöglichen

15.10.2013, 01:13

Der Rückschnitt oder die Fällung von Bäumen ist in Calbe seit langem ein heißes Eisen. Nun beschweren sich Anwohner des Weinberges, dass 2012 radikal zurückgeschnitte Bäume dieses Jahr kaum oder überhaupt nicht mehr ausgetrieben haben. Bauhofmitarbeiter Detlef Franz erklärt die Beweggründe und nennt weitere Baum-Baustellen.

Calbe/Schwarz l Rolf Richter wohnt gern am Weinberg, am Ortsrand von Calbe. Im Wohngebiet reiht sich ein Einfamilienhaus an das andere. Dazwischen grünt und blüht es. Doch seit dem Herbst 2012 schlägt dem Rentner der Anblick von Bäumen - oder was davon noch übrig ist - aufs Gemüt. "Das hat doch nichts mehr mit einem Baum zu tun", sagt der Calbenser und zeigt auf einen Holzstamm, der aus einer Rabatte zwischen Büschen und Bodendeckern ragt. Nur wenige Schritte weiter ein ähnliches Exemplar eines zweiten Ahorns, dahinter folgen weitere. An manchen sprießen grünen Blätter vorsichtig wieder aus. "Also wenn das fachmännischer Baumschnitt ist, dann will ich lieber keinen Fachmann in meinen Garten lassen", sagt Rolf Richter.

Bäume wurden wegen eines Pilzbefalls gekappt

Ähnlich sieht es Rainer Bazan, der ebenfalls am Weinberg wohnt. "Vor einem Jahr ging der Bauhof hier mit der Hebebühe ran. Bis jetzt ist kaum wieder etwas ausgetrieben. Das ist kein Verjüngungsschnitt, wie der Bauhof das nennt, das ist Verstümmelung", meint Bazan. Tatsächlich handelt es sich um eine sogenannte Kappung. Die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau bezeichnet als Kappung ein "umfangreiches, baumzerstörerisches Absetzen der Krone ohne Rücksicht auf physiologische Erfordernisse" und ausdrücklich als keine fachgerechte Maßnahme. Ein Positionspapier des Gehölzsachverständigenverbands Berlin-Brandenburg verurteilt die Maßnahme, da das Abwehrvermögen geschwächt oder sogar zerstört wird. "Der gekappte Baum gerät in lebensbedrohliche Versorgungsnot", so das Papier. Wenn ein Baum wieder austreibt, verursacht er nach einer Kappung durch viel Blattmasse aufwändige Pflegemaßnahmen, die ein Vielfaches der normalen Pflegekosten übersteigen.

Bauhofmitarbeiter Detlef Franz hat jahrelange Erfahrung im Baumschnitt, darunter anderem auch schon im Magdeburger Rothehornpark. Das bestätigen ihm zahlreiche Kollegen, die sich mit der Thematik befassen. "Die Bäume waren von einer Welke betroffen, verursacht durch eine Verticillium-Pilz", rechtfertigt Detlef Franz die Kappung. Der Pilz lässt die Wasserbahnen in den Ästen verstopfen, so dass der betroffene Teil oder auch die ganze Pflanze absterben. Eine direkte Bekämpfung dieser Krankheit ist nicht möglich.

Bei betroffenen Bäumen hilft nur, die welkenden Teile herauszuschneiden. Zu stark befallene Bäume müssen gerodet werden. "Wir hoffen, dass einige dennoch einmal kommen", begründet es Detlef Franz. Es sei bei weitem nicht das erste Mal, dass er für seine Arbeit angefeindet werde. "Schneidet man Bäume zurück oder lässt sie fällen, ist es nicht richtig. Lässt man gesunde Bäume stehen, ist es auch manchmal nicht richtig", sagt Franz. Manche Schäden seien für den Laien insbesondere bei guter Belaubung im Sommer oft nicht auszumachen.

Müssen kranke Robinien auf dem Markt gefällt werden?

Beispiel Schwarz: Eine große Linde muss wahrscheinlich fallen. Vom Boden aus betrachtet sieht sie gesund aus. Fährt man mit der Hebebühne den Stamm herauf, sind tiefe Löcher zu entdecken, dicke Äste sind metertief ausgehöhlt. Bei starkem Wind könnten sie plötzlich herabstürzen "Wenn spielenden Kinder hier etwas passiert, dann ist das Geschrei groß", so Franz.

Ein weiteres Beispiel: Dieses Jahr ist auf dem Marktplatz eine Robinie zunächst ohne ersichtlichen Grund umgestürzt. Verletzt wurde zum Glück niemand. Erst bei genauerer Betrachtung sei klar geworden, dass der Baum von einem Weißfäulepilz befallen war, der das Holz langsam zersetzt. "Auch andere Robinien auf dem Markt leiden daran", sagt Franz, der auf die Sicherheit der Marktbesucher und die Haftung der Stadt hinweist.

Eva Beyer von der Unteren Naturschutzbehörde des Salzlandkreises meint: "Andere einheimische Baumsorten sind für diesen Standort weitaus geeigneter."

Doch einfach Neupflanzen kann die Stadt nicht. Der Marktplatz ist denkmalgeschützt und daher spricht die Denkmalschutzbehörde ein gehöriges Wörtchen bei einer möglichen Baumauswahl mit. Nur zwei von weitaus mehr Entscheidungen, die Detlef Franz und seine Kollegen vom Bauhof treffen müssen.

"Einfach machen wir es uns nicht bei Radikalkuren oder Fällungen", sagt Detlef Franz. Dem "Patient Baum" solle ein möglichst langes Leben ermöglicht werden. Muss er trotzdem fallen, seien stets Ersatzpflanzungen durchzuführen.