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Im Sommer 1945 war das Rittergut Durchgangslager für Soldaten der "Russischen Befreiungsarmee" Wo wurden Wlassows Soldaten in Barby verscharrt?

Von Thomas Linßner 06.03.2014, 02:22

Relativ wenig ist über die sowjetische Besatzungszeit bis zum Ende der 1950er Jahre in Barby bekannt. Besonders über das Schicksal der sogenannten Wlassow-Soldaten, die auf deutscher Seite gegen die Rote Armee kämpften, gibt es kaum gesicherte Hinweise.

Barby l Die neue Barbyer Chronik von Engelmann/Ulrich stützt sich auf die Erinnerungen der 2012 verstorbenen Anneliese Reimelt. Sie gehörte zur Familie von Dietze, die bis 1945 das Herrenhaus bewohnte und gegen ihren Willen in den Westen flüchten musste. Anneliese Reimelt und der damals zehnjährige Burkart von Dietze dürften die einzigen bekannten Zeitzeugen sein, die sich an dieses Streiflicht Barbyer Geschichte erinnern. Nachfolgend Auszüge aus jenem Kapitel, wo Reimelt und von Dietze die Barbyer Wlassow-Episode beschreiben.

Hof des Rittergutes war eine "Umschlagstelle"

"Der Hof des Rittergutes war Sammel- und `Umschlagstelle` dieser Gefangenen. Es hieß, es seien bis zu zweitausend Mann in Barby inhaftiert gewesen. Wir bekamen die Gefangenen täglich zu sehen, wenn sie in Marschkolonnen vom Hof ... in die Stadt und wieder zurück geführt wurden. Die meisten von ihnen waren sehr hochgewachsene Männer, mit blankgeschorenen Köpfen. Sie sahen unglücklich und verzweifelt aus. Beim Marschieren sangen sie - Tag für Tag dasselbe Lied. Ein kräftiger, weithin hörbarer Männerchor aus guten Stimmen. (...) Die Frage, warum denn immer dasselbe Lied gesungen werden musste, beantwortete mir die nette russische Dolmetscherin. Der Text des Liedes war eine öffentliche Selbstanklage, in übelster Manier totalitärer Regime. Ich erinnere mich nur noch an die erste Zeile. Sie lautete: "Wir sind die Verräter von Moskau ....". In gleicher Tonart ging es durch alle Strophen. Weiter wurde dieses Thema aber nicht vertieft, denn ich spürte die Befangenheit der jungen Russin, die offensichtlich wusste, was diesen armen Menschen bevorstand. Auch uns andere schmerzte der Anblick dieser jungen Menschen, die Todeskandidaten waren, führte er uns doch die absolute Sinnlosigkeit von Krieg beispielhaft vor Augen.

Wohltönende Soldatenstimmen

Zorn und Angst, Mitleid, Traurigkeit, Wehmut und Verzweiflung, dieses Gemisch aus Gefühlen und Stimmungen, mit dem wir alle täglich fertig werden mussten, kam besonders stark in Bewegung, wenn an den warmen Sommerabenden wunderschöne russische Volkslieder angestimmt wurden, mit Vorsänger und zweistimmigem Chor aus wohltönenden Tenor- und Bass-Baritonstimmen. Manche meinten, dies sei der Chorgesang der gefangenen Weißrussen und ihre Lieder gleichsam ein Abschied von diesem Leben. Ob die Bewacher dieser Gefangenen den verachteten und geschundenen Wlassow-Soldaten das Singen russischer Lieder gestattet haben würden? Ich habe da meine Zweifel.

Durch die Nacht peitschten regelmäßig Schüsse

Wie auch immer - für eine große Zahl der gefangenen Wlassow-Männer werden die abendlichen Konzerte, ob als Sänger oder Zuhörer aus der Ferne, tatsächlich Abschied bedeutet haben, denn von ihnen hat wohl keiner die Gefangenschaft überlebt. Nicht wenige werden in Barby, wahrscheinlich auf dem Hof, gestorben sein, denn Nacht für Nacht peitschten Schüsse durch die Stille, und aus unserer Kontorwohnung hatte man den Eindruck, sie kämen aus ziemlicher Nähe, etwa vom Ochsenstall am Wilhelmsweg. Am nächsten Morgen hieß es dann, Gefangene seien von ihren russischen Bewachern auf der Flucht erschossen worden. Ob tatsächlich die Flucht versucht worden war oder ob sie vorsorglich erschossen wurden - beides ist denkbar. (...) Irgendwann im August 1945 wurden die letzten Wlassow-Soldaten abtransportiert."

Keinerlei militärischen Ehren

Wo die erschossenen Soldaten verscharrt wurden konnte niemals geklärt werden. Man geht aber davon aus, dass es auf oder unweit des Rittergutes geschah, da man den "Verrätern" keinerlei militärische Ehre erwies.

Das bestätigt auch der Barbyer Historiker Prof. Dieter Engelmann, der vor Jahren mit mehreren Zeitzeugen zu diesem Thema ins Gespräch kam.