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Ordnungsamt verteidigt Abbruch des Feuerwehreinsatzes: Technische Gesamtentwässerung wäre nicht möglich gewesen Bürgern steht das Wasser in Häusern – Stadt sieht keine Verhältnismäßigkeit

Von Daniel Wrüske 11.01.2011, 05:25

Die Stadt Schönebeck reagierte gestern auf die Vorwürfe von Bürgern aus Sachsenland und Felgeleben. Sie empörten sich darüber, dass die Feuerwehr am Wochenende ihre Hilfe einstellte, als es um das Abpumpen des Wassers von Grundstücken und aus Häusern ging. Offizielle Begründung jetzt aus dem Rathaus: Die Verhältnismäßigkeit des Feuerwehreinsatzes war nicht gegeben, die Helfer mit ihrer Technik selbst überfordert.

Felgeleben. Die Einfahrt zum Haus der Familie Broßat in der Paul-Illhardt-Straße mutet an wie ein kleiner Bach. Nirgends sind Borde oder Gehwegplatten zu erkennen. Eine braune Wasserbrühe steht zentimeterhoch auf dem Grundstück. Ständig fließt neues Wasser von den angrenzenden Äckern nach und ergießt sich im Keller des Wohnhauses sowie in der benachbarten Garage. Die Broßarts versuchen, die straßenseitige Einfahrt zu ihrem Keller abzusichern. Müllsäcke füllen sie mit Sand auf, den ein Bekannter schnell auf einem Hänger herangeschafft hat. Alle packen mit an, Freunde, Nachbarn, die Verwandten. "Wir versuchen das Haus zu schützen, auch wenn schon Wasser im Keller steht", sagt Robert Broßat, während er den Sand schippt. Schnelles Handeln sei wichtig, sagt er, konzentriert auf die Arbeiten. Und wütend. Denn der Felgeleber fühlt sich wie viele seiner Nachbarn von der Stadt im Stich gelassen.

"Ich finde es eine Frechheit, dass die Feuerwehr wieder weg musste"

Die Feuerwehr sei da gewesen, musste aber wieder abrücken, weil keine akute Gefährdung gegeben war. "Die Kameraden sagten, sie würden pumpen kommen, wenn elektrische- oder Heizungsanlagen im Keller gefährdet seien. Es muss erst was passieren", sagt Robert Broßat, der selbst zehn Jahre bei der Feuerwehr war und der aufgrund seines Helfergefühls für diesen Bürokratismus kein Verständnis aufbringen kann. "Die Menschen hier sind überfordert. Die kleinen Pumpen, die einige haben, richten nichts aus." In Broßats Haus pumpt eine Maschine seit November – rund um die Uhr, Tag und Nacht.

Entlang der Paul-Illhardt-Straße ähneln sich die Bilder am Wochenende und gestern. In Schläuchen wird Wasser auf die Straße geleitet, Stege führen durch Vorgärten und Höfe.

Am Anger, vorbei an Alt Felgeleben, wo das Wasser bereits aus den Abwasserkanälen drängt, stehen die Grundstücke voll. Die Familien Weidemann und Krause haben sich mit ihren Nachbarn zusammengetan. Sie haben die gemeinsamen Pumpen in Weidemanns Garten angebracht, der tiefsten Stelle, und ziehen hier das Wasser ab, damit es nicht in die versetzt stehenden Häuser – Keller gibt es nicht – läuft. "Ich finde es eine Frechheit, dass die Feuerwehr wieder weg musste", sagt Sabine Weidemann. Erst habe man angefangen zu pumpen, dann sei das Ordnungsamt gekommen und verlangte das Einstellen der Arbeiten.

Seit elf Jahren wohnen Weidemanns und Krauses Am Anger. Einen Wasserschwall wie jetzt haben sie noch nie erlebt. Die Anger-Anrainer legten Nachtschichten ein, um die Pumpen zu kontrollieren. "Vielleicht hätte die Feuerwehr mit ihrer Technik etwas ausrichten können, jetzt ist nicht abzusehen, wie hoch die Schäden sind, was mit der Bodenplatte des Hauses passiert."

Stadt und Feuerwehr haben gestern in einem Pressegespräch regagiert. Dabei berichtete Stadtwehrleiter Roland Mühlsiegel von den Einsätzen der Blauröcke am Wochenende. "Wir konnten durch zeitweiliges Abpumpen kurzfristig Hilfe bei einigen Grundstücken schaffen."

"Wir sprechen von einigen 100 000 Kubikmetern Wasser auf den Äckern"

Ein langfristiger Einsatz, so der Feuerwehrchef, hätte nichts gebracht, weil es sich um enorme Wassermassen handelte. Der hohe Grundwasserstand, Dräng- und Schmelzwasser wären zusammengekommen. "Wir sprechen von einigen 100 000 Kubikmetern Wasser auf den Äckern." Dafür, so Mühlsiegel, reiche selbst die Technik der Wehr nicht aus. Ordnungsdezernent Joachim Schulke verteidigt deshalb auch die Entscheidung der Stadt, das Pumpen durch die Feuerwehr einstellen zu lassen. "Wir haben die Verhältnismäßigkeit und die Zweckmäßigkeit des Einsatzes geprüft und sind zu dem Entschluss gekommen, dass die Gesamtentwässerung der Flächen in Felgeleben technisch nicht machbar gewesen ist." Die Feuerwehr habe geholfen und Anliegern konkrete Hilfsangebote unterbreitet, die Stadt ebenso mit dem Angebot auf Zurverfügungstellung eines Ausweichquartiers bei einem Extremfall, was aber nicht gewollt war. "Wohin hätten wir abpumpen sollen", fragt Schulke und verweist darauf, dass man das Problem in andere Stadtteile verlagert hätte.

Feuerwehr und Stadt sehen aber auch die Bürger in der Pflicht. Sie hätten sich selbst schützen und Vorsorgemaßnahmen treffen müssen. "Die Feuerwehr arbeitet gut und richtet ihre Aufgaben am Brandschutz- und Hilfeleistungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt aus. Man kann nicht von der Wehr eine Alleinzuständigkeit verlangen", so Joachim Schulke. Eine Nachfrage beim Innenministerium gibt ihm Recht: "Das Abpumpen vollgelaufener Keller oder Wohnungen (egal ob Leitungswasser, Grundwasser oder Oberflächenwasser) stellt keine originäre Aufgabe der Feuerwehr dar, solange keine unmittelbare Lebensgefahr für Menschen oder Tiere besteht. Diese Leistungen können auch durch Dritte oder die Eigentümer selbst erbracht werden. Daher kann auch der Fall auftreten, dass eine Feuerwehr von einer nicht originären Aufgabe abgezogen wird", heißt es auf Volksstimme-Nachfrage.

"Die Situation ist für den einzelnen Betroffenen bedauernswert", sagt Joachim Schulke. Aber die Anlieger seien ebenso in der Pflicht, sich zu schützen. Ein Katastrophen- oder außergewöhnlicher Notfall für die Allgemeinheit war das Wochenende in Felgeleben nicht, so dass es auch keine Rechtfertigung für einen THW-Einsatz gegeben hätte. Die Stadt verweist deshalb auf die konstituierende Arbeitsgruppe "Wasser", die dieses Thema mit vielen Fachleuten und den Bürgerinitiativen beraten und machbare Vorsorgemaßnahmen nach Finanzierbarkeit in die Wege leiten will. Doch das, so alle Beteiligten, wird Zeit kosten. Die Felgeleber wollen alles andere als warten. Ein enttäuschter Robert Broßat macht das deutlich: "Für Herrn Haase und die Stadt mache ich nichts mehr ehrenamtlich!"