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Volksstimme-Serie - Teil 4 (Fortsetzung) In dieser Straße tuckerte einst eine der ersten Dampfmaschinen

Von Dieter Horst Steinmetz 10.04.2014, 01:15

Die für mittelalterliche Verhältnisse sehr breit angelegte Straße in Calbes Mitte trägt ihren Namen zu Recht. Dort wurden früher auch Paraden durchgeführt und das Tuchmachergewerbe florierte. Heute folgt die Fortsetzung der Volksstimme-Serie.

Calbe l Das Haus schräg gegenüber in der Breite Nr. 42/43, von dem nach einem Brand leider nur noch die Portalruinen stehen, bestand clevererweise auch aus mehreren Einzelhäusern. Es war nach dem Dreißigjährigen Krieg von einem angeheirateten Verwandten der Lemmers, dem Syndikus und Bürgermeister Jacob Lüdecke, erbaut worden. Die zwei Portale des Hauses, auf die in der Presse schon mehrfach eingegangen wurde, sind von beachtlicher kulturhistorischer Bedeutung: links das Sitznischenportal mit der Haustafel in Latein und dem Wappen Lüdeckes zusammen mit dem seiner patrizischen Bertram-Vorfahren, rechts das unter dem Tuch-Fabrikanten Johann Christoph Nicolai im frühklassizistischen Stil umgestaltete Portal.

Auch Bürgermeister Mittelstaedt wohnte einst in der Breite Nr. 9

Die Bitte in der lateinischen Haustafel-Inschrift Jacob Lüdeckes lautete ähnlich wie die der Lemmers: "O Gott, gib, dass nun meine Arbeit nicht ohne Gewinn sein möge!" Wir würden heute ergänzen: "...und dass das schöne Haus bald wieder aufgebaut werden möge!" Der große Torbogen rechts neben dem Doppel-Wohnhaus war der Eingang zu den Fabrikgebäuden der Nicolais. Hier läuteten die Unternehmer 1831 mit dem Betrieb einer der ersten Dampfmaschinen in der preußischen Provinz Sachsen die Industrielle Revolution ein. Kaum noch zu erkennen ist das steinerne Tuchmacherzeichen im Scheitelpunkt des Torbogens.

Die repräsentative Straße mit ihren attraktiven Häusern zog in der Garnisonszeit und der Zeit unter französischer Herrschaft hohe Militärs wie den "Alten Dessauer" Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Prinz Dietrich von Anhalt-Dessau, Marschall Ney, Marschall Perrin, General Grenier und viele andere geradezu an, um sich dort zum Leidwesen der Hausbesitzer einzuquartieren. Die Straßenbreite prädestinierte auch zu Truppen-Paraden, die in der Prachtstraße mehrmals stattfanden.

1885 verlegte man die Superintendentur aus der Schloßstraße in die Breite Nr. 44. Ein Patrizierhaus der Bertrams aus dem 16. Jahrhundert, in dem später Bürgermeister und Ratsherren ihren Wohnsitz hatten, wurde in der Breite Nr. 9 nach dem Abriss 1895 völlig neu im repräsentativen Historismus-Stil mit Jugendstil-Elementen erbaut. Nun wohnte hier unter anderen der Bürgermeister Mittelstaedt, dessen Initiative die Vereinigung der Vorstädte mit der Stadt 1899 zu verdanken ist, mit seiner Familie. In den 1920er Jahren zogen in dem Gebäude die "Commerz-Bank" und in DDR-Zeiten die Stadtbibliothek ein. Schön anzuschauen ist die Jugendstil-Aphrodite im Scheitelpunkt des Torbogens. Ende des 19. Jahrhunderts wurde in der Breite Nr. 14 eine für den Landkreis Calbe bedeutende Druckerei (Goppelt) eröffnet. Beachtenswert sind auch das ackerbürgerliche Bördehof-Tor in der oberen "Breite" und der filigrane Holzgitter-Durchblick an der Tür in der Nr. 6a, die interessante Symboliken zeigen.

Im nächsten Teil der Volksstimme-Serie wird sich der Grabenstraße gewidmet.