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Freiwillige Helfer patrouillieren auf den Deichen, um Schäden frühmöglich zu erkennen. Wachen, wo sich der Biber treiben lässt

19.01.2011, 04:26

Seit Montagnachmittag patrouillieren auf den drei Deichabschnitten im Zuständigkeitsbereich von Schönebeck rund um die Uhr Wachen. Die Volksstimme übernahm mit der Wasserwehr einen der ersten Kontrollgänge. Redakteurin Anja Keßler berichtet aus ihrer Schicht.

Schönebeck. Es ist dreiviertel elf am Montagvormittag, da klingelt mein Mobiltelefon. "Ordnungsamt Schönebeck, Deichwachbüro. Frau Keßler, Sie hatten sich doch als Freiwillige für die Deichwache gemeldet. Es ist kurzfristig, aber könnten Sie heute ab 14 Uhr eine Schicht übernehmen?", fragt eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung. Ja, kann ich. Mit meinem Chef ist das besprochen. Immerhin werde ich von 14 Uhr an für acht Stunden nicht in der Redaktion sein, falle somit für die Produktion der aktuellen Ausgabe aus. Vielleicht ein Grund, warum sich bis Montagmittag nur gut ein Dutzend Freiwillige für die Deichwachen gemeldet haben. Zwar bekommen Arbeitgeber für den Dienstausfall ihrer Mitarbeiter Geld, aber die Arbeit bleibt eben liegen.

Acht Stunden dauert eine Schicht, drei Deichabschnitte müssen um Schönebeck von den Wachen rund um die Uhr kontrolliert werden. Gegangen wird immer zu zweit. Sechs Männer und Frauen pro Schicht, 18 Leute in 24 Stunden, plus Fahrdienst und Organisation des Deichwachbüros im Ordnungsamt. Den Großteil der Deichwachen decken die Mitarbeiter der Stadtverwaltung selbst und die Freiwilligen der Schönebecker Wasserwehr ab.

Um 14 Uhr treffen sich die ersten Helfer. Drei Mitglieder der Wasserwehr, zwei Mitarbeiterinnen des Ordnungsamtes und ich warten im eigens eingerichteten Deichwachbüro. Ich werde mit Sabine Stegemann eine Wache bilden. Die einzige Frau bei der Schönebecker Wasserwacht und ich werden schnell warm miteinander, sind gleich beim "Du". Ich bin froh, eine Hochwassererfahrene an meiner Seite zu haben. Für mich ist es die erste Deichwache. Sabine hatte ihre erste beim Jahrhundert-Hochwasser 2002. Wir bekommen den Deich, der zwischen der Alten Fähre Richtung Plötzky und der Stadtgrenze von Magdeburg liegt, zugeteilt. Das ist der einzig unbefestigte Deich, der jetzt kontrolliert werden muss. Zwischen Deichkilometer 15,2 und 10,8 müssen wir bis 22 Uhr zwei Mal entlanggehen.

Die Sonne scheint, es ist das ideale Wetter zum Spazierengehen. Nur sind wir die einzigen, die das auf diesem Deich tun dürfen. Das Betreten der Hochwasseranlage ist strengstens untersagt. Vor allem jetzt, wenn das Wasser, das durch das geöffnete Pretziener Wehr eine zweite Elbe zwischen Deich und Plötzky bildet, wo sonst nur ein kleines Rinnsal plätschert. Eineinhalb Meter fehlen noch bis zur Deichkrone auf der rechten Seite. Links steht das Oberflächenwasser.

Maulwurfshügel reihen sich aneinander. Die müssen in den kommenden Tagen besonders beobachtet werden. Die darunterliegenden Gänge können der Stabilität des Deiches schaden. Noch ist der Erdwall fest. Das Wasser steht ja erst seit Sonnabendabend, seit das Wehr geöffnet wurde. Zwischen Kilometer 13,6 und 13,4 entdecken wir merkwürdige Absenkungen und Kuhlen in der Deichkrone. "Risse sind das nicht", sagt Sabine Stegemann. Es sieht aus, als wäre ein Motorrad beim Kickstart weggerutscht. "Das müssen wir melden", sagt die 46-Jährige, die bei der Polizei in der Versicherungsabteilung arbeitet. Das Innenministerium hat einen Runderlass herausgegeben, wonach den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes großzügig für Einsätze im Kampf gegen das Hochwasser freigegeben werden soll.

"Von mir aus könnte das Wetter so bis zum März bleiben und dann kann es langsam Sommer werden", sagt meine Partnerin genießerisch. Ich gebe ihr Recht. Wir haben mit unserer Schicht wirklich Glück. Kalte Temperaturen und Schneeregen sind für die kommenden Tage angesagt. Die nächsten Deichwachen sind nicht zu beneiden. Mit uns genießen einige Spaziergänger das Wetter, die wir an der Haberlandbrücke treffen. Uns erwartet dort schon die Wasserschutzpolizei. Die Beamten haben uns auf dem Deich laufen sehen. Sabine trägt zwar die Uniform der Wasserwehr, aber ich bin in Zivil. Polizeihauptmeister Frank Seiler geht in diesen Tagen lieber auf Nummer sicher. "Gestern war hier richtig viel los." Die Schaulustigen genießen den Anblick vom Wasser, das die Brücke komplett überflutet hat. Nur einzelne Leitpfosten lassen den Straßenverlauf noch erahnen.

Unsere Tour geht weiter zur Stadtgrenze nach Magdeburg. Ab Kilometer 12,4 bekommen Sabine und ich einen Begleiter. Zum ersten Mal sehe ich einen Biber in freier Natur. Das Tier lässt sich im Wasser treiben. "Du bist niedlich", sagt Sabine. "Aber leider machst du meinen Deich kaputt." Von einer Biberburg ist weit und breit nichts zu sehen. Vielleicht hat sich der Nager in das Umflutgelände verirrt.

Von weitem leuchten uns zwei orangefarbene Punkte entgegen. Rudolf Sendt und Michael Zimmermann vom Magdeburger Stadtplanungsamt sind zwei von 54 Kollegen der Stadtverwaltung, die seit Sonnabend 6 Uhr Deichwache schieben. In der Landeshauptstadt werden die Patrouillen ausschließlich durch die Mitarbeiter der Verwaltung abgedeckt. Neun Abschnitte sind zu betreuen. "Wir haben schon ein paar weiche Stellen entdeckt", erklärt uns Sendt. Die Magdburger riegeln den Deich mit Sperrband für Unbefugte ab.

Und noch während wir mit ihnen reden, betritt ein Mann mit seinem Hund unseren Teil des Deiches. Sabine und ich nehmen die Füße in die Hand. Doch der Mann hat uns bemerkt und zieht das Tempo an. Bevor wir in seine Nähe kommen, flüchtet er in sein in Deichnähe geparktes Auto und fährt los. Das Kennzeichen haben wir uns aber gemerkt.

Auf unserem Weg zurück zum Treffpunkt mit dem Fahrdienst, der uns wieder in die Stadt bringen soll, begleitet uns der Biber erneut. Sabines Mann Karl Otto, ebenfalls bei der Wasserwacht, hat für seine Frau und mich Kaffee und Tee und Prasselkuchen gebracht. Den Fahrdienst brauchen wir nun nicht. Das nenne ich Service.

Während unserer Pause im Deichwachbüro tauschen wir uns mit den anderen Helfern aus. Das Männerteam, das die Wacht in Richtung Zackmünde übernommen hatte, wurde nach Hause geschickt – kein Wasser in Sicht. Und die Damen vom Ordnungsamt hatten auf dem Deichweg Richtung Ranies nur Touristen getroffen. Mit Bockwurst und Tee stärken wir uns. Auf Nachfrage bekommen wir für die Nachttour Warnwesten von Amtsleiter Waldemar Liedicke.

Gegen 19 Uhr machen Sabine und ich uns mit Taschenlampen gewappnet auf die dunkle zweite Tour. Wir finden unsere Löcher vom Nachmittag wieder und den Biber. Wir merken, dass der Deich dort, wo Bäume links und rechts stehen, feuchter ist als unter freiem Himmel. Mal rauscht das Wasser, dann ist es wieder mucksmäuschenstill. Weil der Mond so hell scheint, lassen wir die Lampen aus. Bald sehen wir ein Auto kommen. Wieder holt uns Karl Otto Stegemann von der Haberlandsbrücke ab. Ein riesiges Glück für uns. Denn kurz darauf kommt ein zweites Auto. Peter Viehrich und Ronny Winn wollen auf Wildschweinjagd gehen. Da Sabine und ich die Taschenlampen ausgeschaltet hatten, hätte das böse ins Auge gehen können. Wildschweine – das könnte die Erklärung für unsere Löcher im Damm sein. Unsere letzte Aufgabe in dieser Nacht besteht darin, im Büro als Hinweis für die nächsten Abend- und Nachtschichten zu geben: Immer mit eingeschalteter Lampe gehen, damit sich das Schrot der Jäger nicht verirrt.

Gegen halb neun geht meine Schicht zu Ende. Ich hab viel Schönes erlebt, aber ich weiß auch: Wenn das Wasser die nächsten Tage steht, sind die Deichwachen kein Spaziergang mehr.