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Feuerwehren in Bördeland "Konkurrenz schadet nicht"

09.07.2015, 13:21
Hans-Jürgen Schulze, Wehrleiter in Bördeland, im Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr in Biere.
Hans-Jürgen Schulze, Wehrleiter in Bördeland, im Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr in Biere. massimo rogacki

Mitgliederschwund bei den freiwilligen Wehren. Über die Situation in Bördeland sprach Massimo Rogacki mit Wehrleiter Hans-Jürgen Schulze.

Volksstimme: Herr Schulze, reden wir über die Gründe für einen besorgniserregenden Trend. Pro Jahr verlieren die freiwilligen Feuerwehren in Deutschland etwa tausend Mitglieder, 20 bis 30 Wehren verschwinden jährlich von der Landkarte. Bis vor kurzem stand die Feuerwehr in Zens noch auf der Kippe. Wie ist der aktuelle Stand? Gibt es eine Wehrleitung?

Hans-Jürgen Schulze: Zens hat im Augenblick keine komplette Wehrleitung. Der bisherige stellvertretende Wehrleiter hat die Leitung allein übernommen. Es hat sich inzwischen allerdings ein Kamerad für die Leitung gefunden. Der ist ausgebildeter Feuerwehrmann, nur fehlen ihm noch die Lehrgänge zum Gruppenführer und zum Leiter einer Feuerwehr. Ein Lehrgang fehlt zur Berufung, der zweite Lehrgang lässt sich dann später nachholen. Wir müssen jetzt noch einige Zeit überbrücken, bis die komplette Wehrleitung wieder steht.

Wie ist es um die aktiven Kameraden in Zens bestellt?

Durch die Initiative von Gewerbetreibenden - hauptsächlich Landwirtschaftsbetriebe - haben sich jetzt acht Bürger gefunden, die in der freiwilligen Feuerwehr mitarbeiten werden. Zwei davon waren bereits Mitglieder, die anderen haben schon einen Aufnahmeantrag unterschrieben. Natürlich müssen nun zunächst Lehrgänge absolviert werden, dazu müssen im Rahmen der Kreisausbildung Plätze frei sein. Das ist kurzfristig ein Problem. Die Lehrgangsplätze für die Grundausbildung sind in diesem Jahr bereits voll.

Können Sie aus der Perspektive Bördeland nachvollziehen, dass beim Landesverband die Alarmglocken schrillen?

Natürlich. Zens war bei uns glücklicherweise der erste Fall. Es handelt sich hier um die kleinste Feuerwehr - von der Anzahl des Personals und von den Einwohnern. Ich hoffe - und das zeichnet sich aktuell ab - dass die Wehr bestehen bleibt. Ansonsten bleibt nur die Zusammenarbeit mit Kleinmühlingen. Schon jetzt wird die Ausbildung gemeinsam mit den dortigen Kameraden gemacht. Anders wäre das nicht mehr zu bewerkstelligen.

Was geschieht, wenn - wir wollen es nicht hoffen - Zens eines Tages wegfiele?

Es gibt ja aktuell die Einteilung in Löschzüge. Bei fast allen Einsätzen kommen Klein- und Großmühlingen, Eickendorf und Zens zum Einsatz. Im Alarmierungsfall ist die Feuerwehr Zens heute schon nie allein. Tagsüber sind bei den meisten Feuerwehren ohnehin nur zwei bis drei Kameraden vor Ort. Dabei sind die Kameraden aus Kleinmühlingen die einzigen, die rund um die Uhr einsatzbereit sind.

Wie sehen Sie den demografischen Wandel? Die Gesellschaft wird älter, viele Junge ziehen aus den Dörfern weg. Die Nachwuchssorgen werden zunehmen.

Ganz klar. Es wird noch schlimmer werden. Die Jungen ziehen weg, auch weil in den Orten immer weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Die kleinen Handwerksbetriebe gibt es nicht mehr. Die, die noch da sind, sind auf Montage. Ideal wäre es, wenn die Kameraden im Ort arbeiten.

Also ist die Entwicklung unumkehrbar?

Der Trend ist definitiv nicht zu stoppen. Es heißt ja, das Ehrenamt soll anerkannt werden. Das ist nicht mehr der Fall. Es ist doch schon bezeichnend, dass heute niemand mehr in eine Bewerbung schreiben würde, dass er bei der Freiwilligen Feuerwehr arbeitet. Das wird dem Bewerber sofort negativ ausgelegt, weil bekannt ist, dass er im Falle der Alarmierung ausfällt. Früher haben sich Handwerksmeister mit Mitarbeitern, die gleichzeitig Feuerwehrmann waren, schmücken können. Das gibt´s heute nicht mehr.

Warum ist die Wertschätzung für freiwillige Feuerwehrmänner so gering geworden und wie können Arbeitgeber sensibilisiert werden?

Der Unmut ist teilweise schwer zu verstehen. Stichwort Einsatzstatistik: In Welsleben und Biere beispielsweise haben wir durchschnittlich etwa 30 Einsätze pro Jahr. Bei den anderen Dörfern ist die Zahl geringer. Zehn Einsätze am Wochenende, 15 in der Nacht, da bleiben noch fünf Einsätze in der Arbeitszeit. Das lässt sich doch bewerkstelligen, meine ich. In der Stadt kann ich den Unmut eher nachempfinden. Wenn da tagsüber jede zweite oder dritte Woche ein Einsatz ansteht und der Mitarbeiter über Stunden am Arbeitsplatz fehlt, lassen sich die Aufträge nicht mehr abarbeiten.

Wie kann die Politik Einfluss nehmen?

Die Politik kann den Firmen die Aufträge ja auch nicht besorgen und die Ausfallzeiten kompensieren. Die Firmen haben zwar keinen finanziellen Verlust bei den Lohnkosten, die trägt im Einsatzfall die Gemeinde. Aber Geld kann man nun mal nur einmal ausgeben - es fehlt dann an anderer Stelle. Bei Einsätzen auf Bundesautobahnen und Bundesbahnstrecken bin ich aber der Meinung, dass die Städte und Gemeinden finanzielle Mittel zur Einsatzfinanzierung bekommen müssten, und zwar vom Bund.

Wie kann man den Nachwuchs heute noch für die Feuerwehr begeistern?

Da sehe ich nur einen Ansatz: Man muss die Kinder- und Jugendfeuerwehr stärken und darüber Mitglieder gewinnen. Aber gerade in der Jugendfeuerwehr kann man nicht davon ausgehen, dass nach Aufnahme einer Lehre oder einer Arbeit der Übergang in den aktiven Dienst geschafft wird. Bei der Kinderfeuerwehr sehe ich den Nachteil, dass Schulen nicht mehr in den Ortschaften sind. Deshalb erreicht man die Kinder kaum noch. Im Kindergarten hat man noch Ansprechpartner. Kurzum, wir müssen die Kinder in einem Alter abholen, in dem die Begeisterung da ist. Im schlechtesten Falle ziehen die Jugendlichen später trotz aller Anstrengungen trotzdem woanders hin, um eine Arbeit aufzunehmen.

Könnten Bürger Ihrer Meinung nach in Zukunft verpflichtet werden?

Das geschieht ja andernorts schon. Davon halte ich aber nichts. Wenn der Wille nicht da ist, hat es keinen Sinn.

Was ist mit einer Erhöhung der Altersgrenze? Sie selbst sind 63 und erreichen nun bald die Altersgrenze im Einsatzdienst.

Im Einsatzdienst ist mit 65 Jahren die Belastungsgrenze definitiv erreicht, die ärztlichen Untersuchungen, wie zum Beispiel für die Atemschutzgeräteträger, stellen sehr hohe Anforderungen an Gesundheit und Ausdauer, und das muss auch so bleiben. In anderen Berufsgruppen, beim Dachdecker im Baugewerbe zum Beispiel, muss nach neuesten Rentenrichtlinien voraussichtlich bis 67 gearbeitet werden. Das ist schwer nachzuvollziehen. Für die aktuelle Problematik wäre eine Erhöhung der Altersgrenze bei der Feuerwehr allerdings nur ein Hinauszögern des Personalproblems. Da würde man kurzfristig einige Altersgruppen erreichen, das würde die Defizite nicht beseitigen. Auch nicht optimal meiner Meinung nach: Wenn die gesamten Leitungsfunktionen viel älter sind als die aktiven Kameraden. Die Spanne zwischen den Aktiven und der Wehrleitung sollte einfach nicht zu groß sein.

Wurde in den letzten Jahren vieles versäumt, um den Negativ-Trend zu stoppen?

Das denke ich nicht. Zumindest von Seiten der Fachbereiche wurde alles getan. Gut ist, dass auch die unter Zehnjährigen mittlerweile mit der Kinderfeuerwehr angesprochen werden können. Denn im Alter von zehn Jahren sind die meisten ja bereits orientiert. Im Sportverein beispielsweise. Nun können wir früh die Begeisterung entfachen.

Was halten Sie davon, Feuerwehren zusammenzulegen?

Sehen Sie, in den Feuerwehren ist der individuelle Zusammenhalt auch entscheidend. Es gibt definitiv eine produktive Konkurrenzsituation untereinander. Von Zusammenlegungen halte ich nichts. Bei der Zusammenlegung von Glöthe, Üllnitz und Förderstedt habe ich so meine Bedenken, dass das auf die Dauer gut geht. Die freiwillige Feuerwehr muss eine verschworene Truppe sein, ein bisschen Konkurrenzdenken gegenüber den anderen Wehren schadet nicht. Das spornt an. Man wird selbst besser, weil man sieht, was andere besser machen als man selbst.

Herr Schulze, danke für das Gespräch!

Gern.