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Hörzirkel hat Service für Sehbehinderte eingestellt / Hoffnung auf Fortführung / Karl-Heinz Barth: "Ich kann das Tagesgeschehen vor Ort nicht mehr verfolgen"

Von Andreas Pinkert 09.06.2011, 06:33

Der Hörzirkel der Stiftung Solidarität in Damaschkeplan hat die Produktion von täglichen Audiobeiträgen aus der Schönebecker und Staßfurter Volksstimme zum Leidwesen vieler Blinder und Sehbehinderter der Region eingestellt. Nun gibt es gute Nachrichten. Das Jobcenter Schönebeck startet ab Juli die Fortsetzung des Projektes.

Calbe/Damaschkeplan. Diesen Volksstimme-Beitrag kann Karl-Heinz Barth nicht verfolgen, es sei denn, jemand liest ihm vor. Das Augenlicht des 89-Jährigen reicht zum Lesen nicht mehr aus. Durch einen Service der Stiftung Solidarität konnte der Bewohner des Wohnparks "Lindenhof" bislang trotz seiner Einschränkung tägliche Nachrichten aus der Schönebecker und Staßfurter Ausgabe der Volksstimme verfolgen. Seit einigen Wochen ist das nicht mehr möglich. "Ich vermisse die täglichen Nachrichten vor Ort", sagt Barth, für den es ein Stück Teilhabe am täglichen Leben war.

Bisher wurde diese Teilhabe ermöglicht durch die Erstellung einer "Tageszeitung für die Ohren" von einem Team Arbeitsloser mit Sitz in Damaschkeplan. Täglich wurden vom Hörzirkel Calbe ausgewählte Artikel am Computer eingesprochen und auf wiederbeschreibbare CDs gebrannt. Fahrrad-Kuriere lieferten das Hörprodukt am nächsten Tag aus. Neben dem Tagesgeschehen wurden auch Kurzgeschichten, Romanfolgen, Gedichte und mehr eingelesen. Am heimischen CD-Player konnten Blinde und Sehbehinderte an den lokalen Nachrichten teilhaben.

"Blinde und Sehbehinderte sind enttäuscht über die Einstellung"

Der Calbenser Hörzirkel besteht seit dem 1. August 2008 und ist ein Projekt der Stiftung Solidarität bei Arbeitslosigkeit und Armut, die sich in sozialen Bereichen engagiert. Die zuvor arbeitslosen Mitarbeiter, die als "Vorleser" agierten, wurden von der damaligen Kommunalten Beschäftigungsagentur (Koba) und dem heutigen Jobcenter in Schönebeck gefördert, mit dem Ziel der Qualifizierung.

"Uns wurde leider keine Maßnahme mehr bewilligt", begründet es Franz Schaible, Vorsitzender der Stiftung Solidarität, auf Nachfrage. Er bedauert es ebenfalls, dass der Service aus Finanzierungsgründen eingestellt werden musste. Die Räume An der Saale 10 stehen nun leer.

Nicht nur für Karl-Heinz Barth, auch für weitere sehbehinderte Bewohner sei ein gern genutzter Service verschwunden, sagt Annemarie Doll, Mitarbeiterin im "Lindenhof". Und Annett Koschmieder, Leiterin des Altenpflegeheims "Tannenhof" bestätigt: "Die Hörzeitung wurde bei uns für kurze Zeit gern genutzt. Wir bedauern, dass es sie nicht mehr gibt." Doris Frensel vom Behindertenverband Calbe (BVC) habe dies ebenfalls von zahlreichen Bürgern gehört: "Viele sind sehr enttäuscht darüber."

Doch Franz Schaible macht nun Hoffnung. "Ab 1. Juli soll es mit der Hörzeitung weitergehen, die jedoch nicht mehr am Standort Calbe produziert wird." Wie aus Kreisen des Jobcenters Schönebeck zu erfahren war, soll die Finanzierung der Maßnahmen zur Produktion von hörbaren Zeitungsausgaben nach einer Umstrukturierung tatsächlich zu diesem Zeitpunkt fortgesetzt werden, allerdings unter dem Dach der Akademie für Weiterbildung (AfW) in Schönebeck in der Welsleber Straße. Ein entsprechender Bewilligungsbescheid sei gerade auf dem Postweg.

Der Hörzirkel der Stiftung Solidarität möchte nun parallel dazu weitermachen, jedoch im Staßfurter Raum. "Wenn Calbe nicht anderweitig beliefert wird, würden wir uns ab Mitte Juli auch darum bemühen", kündigt Schaible an.

Die Idee eines Hörzirkels wurde 2004 in Bielefeld von ihm beziehungsweise der Stiftung Solidarität geboren. Neben dem dortigen und dem einstigen Calbenser Standort werden außerdem in Berlin, Essen und Haldensleben für blinde und sehbehinderte Menschen Hörbeiträge auf Grundlage regionaler Tageszeitungen produziert.