1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. Umbau der Elbbrücke: Eine atemberaubende Leistung

Vor hundert Jahren wurde die Barbyer Eisenbahnbrücke "stärker" gemacht Umbau der Elbbrücke: Eine atemberaubende Leistung

Von Thomas Linßner 18.07.2011, 06:38

Eine besonders bemerkenswerte ingenieurtechnische Leistung war der Barbyer Elbbrückenumbau vor hundert Jahren. Ein Zeitzeuge, der als "Nietkocher" dabei war, schrieb in den 1970er Jahren dazu seine Lebenserinnerungen auf. Die einst strategisch wichtige Bahnstrecke Berlin-Wetzlar hat heute keine verkehrstechnische Bedeutung mehr, wird nur noch touristisch genutzt.

Barby. Die Stahlkonstruktion des 756,2 Meter langen Verkehrsbauwerkes musste rund 30 Jahre nach dessen Neubau komplett ertüchtigt werden. Das geschah deswegen, weil sich die Zahl der Züge deutlich erhöht hatte und auch die rollende Eisenbahntechnik schwerer geworden war. Drei Jahrzehnte nach Einweihung der Brücke nahm ihre Erneuerung dieselbe Firma vor, die sie aufgebaut hatte. Es war die Gutehoffnungshütte aus Oberhausen. Wie damals üblich, schickte die Firmenleitung leitendes Fachpersonal nach Barby; für unkompliziertere Arbeiten wurden hiesige Arbeiter befristet eingestellt. Darunter war auch der Barbyer Paul Bringezu, der nach seiner schweren Verwundung im Ersten Weltkrieg (Armamputation) viele Jahre Stadtbote und "Bimmelmann" war.

Niete wurden fast artistisch geworfen

Bringezu arbeitete während des Brücken-Umbaus als sogenannter Nietenkocher. Die Stahlniete wurden im Feldschmiede-Koksfeuer zum Glühen gebracht, dann eilig zu den "Nietern" geschleppt oder geworfen, die dann die Konstruktionsteile mittels schwerer Presslufthämmer miteinander verbanden. Ein fast artistisch anmutendes Arbeiten.

Paul Bringezu berichtet dazu folgende Episode: "Am Morgen hatte es stark geregnet. Als ich meinem Nieter einen glühenden Niet bringen wollte, kam ich auf dem Belag ins Rutschen, durchbrach das Sicherheitsgeländer und stürzte aus einer Höhe von acht bis zehn Metern in die Elbe." Der Unfall geschah im November, als der Fluss nicht gerade eine angenehme Temperatur hatte. Paul Bringezu wurde von dem Schiffer Friedrich Graßhof aus der Elbe gefischt und blieb zwei Tage zu Hause, um sich auszukurieren.

Einschieben geschah hydraulisch/elektrisch!

Der ehemalige "Nietkocher" berichtet voller Stolz, dass er beim Verschieben der Bögen dabei sein durfte. Es war eine sensationelle Aktion, die tausende Menschen am Ufer der Elbe verfolgten.

Zur Erklärung: Genau wie heute wurde das neue Brückenjoch auf einer Hilfskon-struktion vormontiert und nach Fertigstellung mittels hydraulischer Pressen eingeschoben. Das geschah parallel zum "Herausschieben" des alten Jochs.

Nieter Bringezu war Augenzeuge einer ingenieurtechnischen Leistung, die uns noch heute Bewunderung abverlangt. Um 11.15 Uhr passierte ein Personenzug in Richtung Berlin die alte Brücke, als kurz darauf die Laschen der Schienen gelöst und das Joch auf Wagen gehoben wurde.

Das Verschieben dauerte danach zehn Minuten! Mit zwei elektrischen (!) Winden wurde nun das neu vormontierte Brückenjoch "herein gezogen". Als das Teil an Ort und Stelle und die Schienen verlascht waren, befuhren sechs aneinander gekoppelte Borsig-Lokomotiven diesen Bereich. Ihr Gewicht stellte eine Überlast von rund 20 Prozent dar - verschiedene Messungen wurden vorgenommen.

Nach der Lastprobe fuhren die Dampflokomotiven kurz hintereinander mit 70 km/h über die Brücke, wobei es auch zu Bremsproben kam. Die damit verbundenen Schubkräfte waren der absolute Härtetest für die auf Stahlwalzen gelagerten Brückenjoche. Nach Angaben von Paul Bringezu wurde der fahrplanmäßige Bahnverkehr noch am selben Tag wieder aufgenommen.

Eine großartige ingenieurtechnische Leistung und ein optimales Zusammenspiel von allen beteiligten Bauleuten.

Wie groß das Interesse der Bevölkerung am Umbau war, zeigt auch eine zeitgenössische Fotobroschüre, die vom Verlag Heinrich Viek mit Original-Handabzügen herausgegeben wurde. Sie wurde in großer Auflage verkauft.

Der Umbau war vor hundert Jahren in dem Ackerbürgerstädtchen ein konjunktureller Schub. Die vielen Bauleute ließen ihr Geld in Barbyer Geschäften oder Kneipen; der Lohn der hiesigen Hilfskräfte wirkte sich ebenfalls positiv auf den Konsum aus.