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Zum Problem des Naherholungsgebietes Plötzky/Pretzien Kein dauerhaftes Wohnen im Wald

Von Olaf Koch 09.09.2011, 06:26

Im Naherholungsgebiet Plötzky/Pretzien ist die Idylle getrübt. In dem rund 565 Hektar großen Areal zwischen Schönebeck und Gommern scheint in der Auffassung bei einigen Bewohnern eine Lücke zwischen dem bundesdeutschen Recht und dem Wunsch auf freies Leben. Es wird gebaut, und es werden Bäume gefällt, so jedenfalls berichtet ein Informant. Die Volksstimme ging auf Recherche.

Pretzien/Plötzky. Das Prominentenviertel Beverly Hills im sonnigen Los Angeles und das Naherholungsgebiet haben teilweise etwas gemeinsam: Die Menschen schotten sich ab, bauen Steinmauern und hohe Zäune, um sich vor den Blicken der Neugierigen zu schützen, Wege werden abgesperrt und zu Privatbesitz erklärt, damit keiner vor der eigenen Haustür herumtrampelt. Das Klischee, über das die Deutschen in der Welt oft belächelt werden, wird in Naherholungsgebiet zwischen Plötzky und Pretzien erfüllt: Was macht ein Deutscher als erstes, wenn er ein Stück Land besitzt? Er baut einen Zaun ...

Was der Volksstimme von einem Informanten berichtet wird, klingt nicht nach Sachsen-Anhalt, sondern wohl eher nach Sizilien, wo es mit der Staatsmacht nicht ganz so genau genommen wird: Schwarzbauten ohne Genehmigungen, florierendes Kleingewerbe, Schranken mit Schlössern und Hausbesitzer, die sich zur Eigenversorgung Bäume fällen. Stimmt das?

Wie wichtig dem Landkreis und der Stadtverwaltung dieses Thema ist, beweist die Runde, die auf Anfrage der Volksstimme zu einem Pressegespräch zusammengekommen ist: Dezernent Ulrich Reder und Hermann Alpers, Leiter des Bauordnungsamtes, sowie aus dem Schönebecker Rathaus Guido Schmidt, Joachim Schulke und Waldemar Liedicke.

"Rein rechtlich ist das Naherholungsgebiet Plötzky/Pretzien ein Sondernutzungsgebiet für die Naherholung, Camping und den Aufenthalt in Ferienhäusern", erklärt Ulrich Reder, "bevorzugt an den Wochenende und in den Ferien." Das Waldstück nordöstlich der Stadt Schönebeck gilt nach dem Regionalen Entwicklungsplan als "Vorbehaltsgebiet für Tourismus und Erholung" und ist "von regionaler Bedeutung".

Wenngleich das Areal mitten in der Natur liegt, gilt Baurecht. Mit der Folge: Alle baulichen Anlagen, Erweiterungen, Anbauten und Neubauten sind zwingend anzuzeigen, teilweise auch von der Behörde zu genehmigen. Seit der Zeit nach der Wende gab es für diesen Bereich 358 Baugenehmigungen, davon 73 Neubauten.

"99 Prozent der Leute, die dort ihren Wochenend-Bungalow zu stehen haben, halten sich auch daran. Für uns heißt das, dass eine dauerhafte und flächendeckende Kontrolle nicht nötig ist", so der Dezernent zu Volksstimme. Dennoch schloss keiner der Gesprächspartner das eine oder andere schwarze Schaf aus. "Um aber tätig zu werden, gilt die Beweispflicht. Wir brauchen Namen und Adresse, um tätig werden zu können."

"Alle öffentlichen Wege sind zugänglich"

Nicht neu ist die Kritik, dass Wege mit Schranken gesperrt und Schlössern gesichert werden (Volksstimme berichtete). Vor allem der Rettungsdienst und die Feuerwehr stehen dann vor unüberwindbaren Barrieren, die im Notfall Zeit kosten. "Alle öffentlichen Wege sind zugänglich", erklärt Waldemar Liedicke, Ordnungsamtsleiter der Stadt Schönebeck. Teilweise sind die Erschließungswege zu den einzelnen Bungalowsektionen gesperrt. Doch dafür ist die Eigentümergesellschaft verantwortlich."

Das Grün des Naherholungsgebietes mit den 16 Seen wirkt bei den Wochenend-Gästen wie ein Magnet. Insgesamt gibt es in der Plötzkyer Gemarkung 1093 Bungalow- und Campingstellplätze, im Bereich Pretzien 576. Bei einigen Bewohnern steigt der Wunsch, sich nicht nur am Wochenende oder in den Ferien in der Idylle aufzuhalten, sondern von Januar bis Dezember. "Das ist nicht statthaft. Es gibt keine Genehmigung für dauerhaftes Wohnen in diesem Bereich", erklärt Dezernent für Ordnung und Sicherheit Joachim Schulke.

Nach Ansicht der Stadt gibt es für das "Gerücht", dass dort die Leute dauerhaft wohnen würden, auch keine "erhärtete Beweislage", so Waldemar Liedicke. "Zudem ist es ein Stück der Unmöglichkeit, dies auch zu beweisen", so der Ordnungsamtsleiter.

Anträge auf dauerhaftes Wohnen sind von der Stadt in der Vergangenheit bereits mehrmals abgelehnt worden. "Viele Menschen verstehen das nicht, weil das Melderecht mit dem Baurecht hier weit auseinander liegt", verdeutlicht Joachim Schulke. Jeder Bungalowbesitzer kann beispiels- weise bei der Stadt eine Postadresse für das Naherholungsgebiet beantragen. "Das begründet aber noch keinen Dauerwohnsitz. Das müssen die Leute dort wissen", so Schulke. Das Wohnen im Außenbereich entspricht auch nicht dem Wunsch der Ortschaften. Sie wollen ihre Dörfer nicht zersplittern, sondern das Leben im Kern organisieren.

Nach Informationen der Volksstimme hat sich in manchen Bereichen des Naherholungsgebietes ein blühendes Kleingewerbe niedergelassen. Berechtigt? "Warum nicht? Eine Gewerbetätigkeit ist nicht ausgeschlossen, wenn sie dem Charakter des Sondernutzungsgebietes entspricht", sagt Waldemar Liedicke. Dazu zählen typische Naherholungsgewerbe wie Gaststätten, Kioske, alles was mit Touristik zu tun hat oder eben auch "artfremdes Gewerbe" wie ein Versicherungsbüro. "Es darf nur nicht störend sein", so Liedicke.

Stadt will kein reines Wohnbaugebiet

Im Bereich des Naherholungsgebietes sollen in der Vergangenheit gesunde Bäume für den Eigenbedarf einiger Bungalowbesitzer gefällt worden sein. Davon hat die Verwaltung aber keine Kenntnis. "Baumfällungen werden von der Stadt begleitet. Wir sind zwei- bis dreimal monatlich in dem Gebiet unterwegs", sagt Guido Schmidt. Pro Jahr werden von den Bungalowbesitzern rund 75 bis 80 Baumfällanträge gestellt. Diese werden danach bewertet und gegebenenfalls Auflagen erteilt, so die Stadt.

Dass das Naherholungsgebiet künftig über den Flächennutzungsplan zu einem Wohnbaugebiet überschrieben wird, das sehen die Verantwortlichen der Stadt nicht. Die regionalplanerischen Ziele beinhalten nach wie vor die Sicherung der Erholungsfunktion des Gebietes. "Auch die finanziellen Aufwendungen für die Bewohner dort wären wegen der Erschließungserfordernisse sehr hoch", betont Schmidt. Somit ist der Charakter des Naherholungsgebietes unverändert: Es bleibt eine grüne Oase und wird nicht ein Schickimicki-Viertel mit hohen Mauern und Stacheldraht.