1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. Geschichten zwischen Elbe und Fläming: Der etwas verrückte Weg zur Wohnkirche

Wie ein handwerklich begabter Ingenieur mit großem Elan und vielen Helfern das Gotteshaus in Warmsdorf rettete. Von Falk Rockmann Geschichten zwischen Elbe und Fläming: Der etwas verrückte Weg zur Wohnkirche

02.03.2012, 04:26

Was muss jemanden antreiben, eine zum Abriss freigegebene Kirchen-ruine in Eigenleistung zu einem Wohnhaus umzubauen? Mit unermüdlichem Elan, mit großem handwerklichen Geschick und einer gehörigen Portion Fanatismus hat Klaus Gerner 1990 diese Herausforderung im kleinen Wipperort Warmsdorf bei Güsten angenommen.

Warmsdorf l "Wenn mein Mann einmal angefangen hat, kann er nicht mehr aufhören. Und vielleicht sind wir auch nicht ganz normal", meint Christina Gerner lachend auf die Frage, wie man so ein gewaltiges Vorhaben umsetzen kann.

Wie kamen die Gerners überhaupt auf diese verrückte Idee?

Die Kirche am idyllisch gelegenen Warmsdorfer Park teilte in den 1970-er Jahren das Schicksal vieler Gotteshäuser hierzulande. Nach knapp einem Jahrhundert zeigten sich gravierende Auswirkungen fehlender Sanierungsarbeiten. Weder Kirche noch Staat hatten genügend Geld, um auf dem flachen Land, abseits aller Touristenpfade, die dringend nötigen Investitionen aufzubringen.

Die evangelische Kirchengemeinde entschloss sich nach einer letzten Trauerfeier, das Warmsdorfer Gotteshaus 1974 zu entwidmen. Danach wurde dennoch immer wieder versucht, es weiter zu nutzen. Doch aus einer Trauerhalle, die in der Apsis eingerichtet werden sollte, wurde ebenso wenig wie aus einer Rettung des 26 Meter hohen Turmes. 1985 entschied sich der Gemeindekirchenrat, das Kirchenschiff zum Abriss freizugeben, weil herunterfallende Ziegel und Steine zur Bedrohung wurden.

Selbst für den Abriss fehlte aber das Geld, so dass bis zur Wende doch nichts anderes passierte, als dass der Zahn der Zeit zum Vielfraß geworden war. Der Zugzwang für die Kirchengemeinde wurde immer größer. Die Bundesgesetze waren einen Zacken schärfer als die bisherigen baupolizeilichen Auflagen.

Sebastian, dem Sohn der Familie Gerner, wurde damals von der Jungen Gemeinde nahegelegt, das Objekt doch zu kaufen und zu einem Wohnhaus umzubauen. "Wir schauten uns daraufhin die Kirche an, kamen aber schnell zu dem Entschluss, dass so ein Unterfangen eine Nummer zu groß wäre für einen jungen Mann, nicht nur der Finanzierung wegen", erinnern sich die Eltern.

Die Idee sollte sie allerdings nicht mehr loslassen. Klaus Gerner war zu dieser Zeit 51 Jahre alt und Inhaber einer Ingenieur-Heizungsbaufirma. Nun standen plötzlich Bewerber aus den alten Bundesländern auf der Matte. "Die Gemeinde hatte aber ihre Zweifel, ob denen dieses Haus nicht nur als Abschreibungsobjekt dienen sollte", weiß Klaus Gerner. Er machte sich an ein Konzept, das der Gemeindekirchenrat verlangt hatte. Und der war davon überzeugt. Die Gerners erhielten den Zuschlag einstimmig mit der Bedingung: Die Kirchturmuhr, vor mehr als 100 Jahren gebaut von einem Bernburger Uhrmacher namens Fuchs, soll den Warmsdorfern weiterhin die Zeit anzeigen. Denn das hatte sie auch die ganzen Jahre über dank eines Nachbarn, der das Uhrwerk täglich aufzog, getan.

"Als wir uns den Schlüssel geholt hatten und das Objekt anschauten, waren wir der Meinung, dass das Dach des Kirchenschiffes noch zu retten wäre, wenn wir an die Balken etwas anschuhen würden. Doch bei näherer Betrachtung wurde deutlich: Da steckten verfaulte Balkenköpfe in den Grundmauern."

Es kamen Zweifel auf, und die neuen Besitzer hätten den roten Backsteinbau am liebsten wieder abgegeben.

Vorsichtig stellten sie ihr Vorhaben dennoch einem Architekten vor. "Der war ganz begeistert, dass eine Kirche zu einem Wohnhaus umgebaut werden sollte", kann sich Klaus Gerner noch genau erinnern. Doch als er die Summe allein für die Planungsleistung hörte, verschlug es ihm fast die Sprache. 100 000 DM! Die Planungskosten entsprechen üblicherweise zehn Prozent der Gesamtinvestition. "Undenkbar für uns. Die Ostdeutschen konnten doch damals gerade 6000 Mark 1:1 in DM umtauschen." Und wieder bereute die Familie fast, das Objekt übernommen zu haben.

Das Projekt lag erst einmal auf Eis.

Aber wie war das doch mit dem "Einmal angefangen, hört er nicht wieder auf..."?

Klaus und Christina Gerner genehmigten sich erst einmal eine "kreative Pause", reisten nach Schottland und England, wo sie sich Anregungen von Schlössern und Kirchen holten. Sie fotografierten, nahmen Maße.

Denn die Schlussfolgerung aus der horrenden Planungssumme war: Selbst ist der Mann. Und so machte sich Klaus Gerner mit den gewonnenen Eindrücken von der Insel an die Bauskizzen des eigenen "Castels". Eine gewisse Vorbelastung hatte er insofern auch, dass er als Maschinenbauer Bauvorschriften studieren konnte. Doch bei aller Akribie, die er an den Tag legte. Die Unterlagen nutzten nicht viel ohne Bauvorlageberechtigung für die Behörden. Die hat eben nur ein Architekt.

Der Zufall wollte es, dass die Bauherren bei einem Ausflug nach Neustadt/Weinstraße einen Statiker kennenlernten. Dazu noch einen gebürtigen Staßfurter. Der zeigte sich sehr interessiert, den damaligen Güstenern zu helfen. Gerhard Schmidt prüfte die Zeichnungen, befand sie für anwendbar, berechnete die Statik und reichte die Unterlagen über seinen Namen ein. Der Positiv-Bescheid darüber wurde am Ostersonnabend des Jahres 1993 ordentlich gefeiert.

Aber wieder traf es die Gerners hart, als sie die ersten Kostenvoranschläge einholten. Allein der Rohbau sollte 486 000 DM kosten, die Holzkonstruktion 100 000. "Schnell war uns klar, nicht nur die Zeichnungen, auch die Umsetzung ist ohne viel Arbeit in Eigenleistung nicht zu bewerkstelligen", so Klaus Gerner. Und das ging nur mit der Familie und zahlreichen Freunden. "Uns war auch klar: Das dauert Jahre." Christina Gerner heute: "Ohne diese Ballung von Idealismus wäre das nicht gegangen."

Und immer wieder galt es, Hürden zu nehmen, mit denen man nie im Leben gerechnet hatte. Beispiel: Nachdem die Untere Denkmalschutzbehörde des damaligen Landkreises Staßfurt mitbekommen hatte, dass sich mit der Kirche in Warmsdorf etwas tut, erhielten die Bauherren einen Brief. Inhalt: Ab sofort ist das Bauwerk unter Schutz gestellt, alle baulichen Veränderungen sind mit den Denkmalpflegern abzustimmen. Wohlgemerkt, die Kirche stand zuvor nie unter Denkmalschutz, war bekanntlich zum Abriss freigegeben.

Die Gerners sollten Glück haben. Klaus Gerner würdigt nach dem anfänglichem Schreck, dass sich die Zusammenarbeit mit dem Amt gut gestaltete. Viele Wünsche seitens der Bauherren wurden mitgetragen. Zum Beispiel, dass über der einstigen Apsis eine Terrasse entstehen konnte. Zugeständnisse wurden auch bei den Fenstern gemacht, die bespiegelte Glasscheiben erhielten. Andererseits wurden die Auflagen erfüllt, Schiefer für das Dach zu verwenden und hölzerne Fensterrahmen.

Jetzt konnte die vierköpfige Familie, auch Tochter Franziska packte mit an, richtig ranklotzen. Man kann sich vorstellen, dass acht Hände bei weitem nicht reichten, um so ein Jahrhundertvorhaben umzusetzen. Unsagbar viele Helfer, Verwandte, Bekannte, Firmen, die auch in einer Baudokumentation in Wort und Bild verewigt wurden, machten mit und teilweise die Nacht zum Tag.

Am 23. Dezember 1996 war es schließlich so weit. Die Gerners konnten die ersten Räume zwischen Apsis und Kirchturm beziehen. "Da war uns klar, dass es gut ausgehen würde", erinnert sich Klaus Gerner. Und jetzt ging es auch schnell weiter, da sich der Weg zwischen Bett und Baustelle minimiert hatte.

Drei Jahre dauerte es dennoch, bis die Turmwohnung bezugsfertig war. Die Terrassenwohnung folgte. Nach anfänglicher Vermietung reifte 2008 die Idee, die Zimmer unterm Kirchendach und im Turm als Pension anzubieten, was Christina Gerner ein Jahr später umsetzte, "um etwas zu den Nebenkosten beisteuern zu können", wie sie sagt. Die Gäste kommen aus ganz Deutschland. Im Preis inbegriffen sind Führungen durch die Wohnkirche. Klaus Gerner hat weit mehr zu berichten, als an dieser Stelle Platz dafür ist, wie man sich denken kann.

Heute blickt der 73-Jährige na- türlich voller Stolz auf das Erreichte. Als Anerkennung wertet der Warmsdorfer auch ein Angebot, das ihm Vertreter der Landeskirche Anhalt 1998 machten: Er könne doch eine weitere Kirchenruine bei Köthen ausbauen. Die Gerners lehnten dankend ab und rieten den nächsten potentiellen Bauherren, dass man das nur machen könne, wenn man etwas verrückt sei. "Alles andere würde sich nicht rechnen", so Klaus Gerner, "Ohne einen gewissen Fanatismus geht das nicht. Aber man hat auch viel Freude - bei jeder Fliese, die gelegt, bei jedem Fenster, das eingesetzt ist."

Gerner arbeitet übrigens an einem nächsten großartigen Projekt, das Fürst Georg III. gewidmet ist, der viele Jahre in Warmsdorf lebte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Weitere Informationen unter: www.pension-in-der-kirche.de