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Germanist Dr. Jörn Weinert entdeckte Bürgerlisten aus dem 14. Jahrhundert im Landeshauptarchiv Ein Zuchauer wurde sogar "Schwarthekopp" gerufen

Von Thomas Linßner 07.12.2012, 02:18

Zuchau l In diesem Jahr eröffnete das erste Türchen vor mehr als 40 Besuchern den Blick auf die lange Dorfgeschichte. Bei Recherchen für die Universität Halle-Wittenberg war der Germanist Dr. Jörn Weinert im Landeshauptarchiv auf ein Zinsregister des Jahres 1392 gestoßen.

Mit einem Beamer projizierte Weinert erste Untersuchungsergebnisse an den Hausgiebel seines alten Vierseitenhofes. "Es war für mich eine Überraschung, dass der lateinische Text sämtliche bäuerliche Wirtschaften Zuchaus enthält, die damals an den Magdeburger Dompropst Gelder zu entrichten hatten", unterstrich Jörn Weinert. Das Besondere sei dabei die namentliche Nennung aller Hofeigentümer.

Das lateinische Register gibt Einblicke in die Art und Weise des Lebens und Wirtschaftens. So wird 1392 mit Hans Krewitz der erste bekannte Imker Zuchaus erwähnt. "Er hatte jährlich am 22. September einen ¿Eimer\' Honig abzuliefern. Das Süßungsmittel war in einer Zeit vor Zuckerrohrimporten und Zuckerrübenzüchtung auch beim Dompropst in Magdeburg sehr begehrt", erklärte der Germanist. Gerade zu Festtagen wie dem St. Mauritius-Tag (22. September), der in Magdeburg auch als "Herrenmesse" bezeichnet wurde, musste der genannte Zuchauer liefern. Hans Krewitz war überdies "Ältester", das heißt, eine Art Ortsvorsteher, und sozusagen Amtsvorgänger des heutigen Ortsbürgermeisters Martin Giesecke, der dem Vortrag beiwohnte.

Einfluss Niederdeutsch

Mit Interesse verfolgten die Anwesenden, dass manche Dorfbewohner 1392 offenbar noch keinen Nachnamen besaßen. Sie hießen daher nur Wiprecht, Hinrik oder Diderik. Ein Zuchauer wurde gar nur Schwarthekopp gerufen. Man darf vermuten, dass es etwas mit dessen Äußerem zu tun hatte ...

"Manche der damals noch jungen Familiennamen verraten den Einfluss der niederdeutschen Sprache, die heute mitunter auch als Plattdeutsch bezeichnet wird", erklärte Jörn Weinert. So hieß ein Zuchauer Hans Kok ("Koch"), ein anderer Claus Smede ("Schmidt").

Aus dem genannten Zinsregister geht außerdem hervor, dass man 1392 im Dorf "deutsches" und "wendisches" Gut kannte. "Die Integration fremder Mitbürger hat also in Zuchau eine besonders lange Tradition", stellte Weinert fest. Offenbar hatten sich dort schon seit dem 10. Jahrhundert deutschsprachige Siedler neben den alteingesessenen Sorben angesiedelt. Letztere bewahrten ihre Sprache noch mehr als drei Jahrhunderte. Die Zuchauer Sorben verfügten über etwa 12 Hufen, die Deutschen im Ort über rund 8 Hufen. Eine Hufe ist dabei vielleicht mit 30 Morgen Ackerland gleichzusetzen. Allerdings hatten 1392 durch die Bevölkerungsvermischung die meisten Bauern längst sowohl "deutsches" als auch "wendisches" Gut unter dem Pflug. Durchschnittlich gehörten zu jedem der damals etwa 17 Höfe im Ort 1 1/2 Hufen Land. Für die Versorgung einer Familie reichte dies offenbar aus.

Kein Familienname des alten Zinsregisters hat die Zeiten überdauert. "Aber die Kirchenglocke ist noch erhalten, die die Menschen damals hörten. Sie läutete schon, als man der Dorfgemeinschaft 1380 das gesamte Vieh raubte und die Einwohner nicht zum letzten Mal ganz von vorn beginnen mussten", erklärte Jörn Weinert. Davon betroffen waren gerade diejenigen, deren Namen nun bekannt sind.

Die Bevölkerung des Ortes ist seit 1392 mehrfach gewachsen und geschrumpft. Auch als Mitglied des Demografie-Beirats Sachsen-Anhalt, der die Landesregierung berät, war es Jörn Weinert wichtig, dies zu beleuchten. Wenngleich die Zahl der Einwohner rückläufig ist, haben sich Eigeninitiative und Bürgersinn in den letzten Jahren in Zuchau sichtbar entwickelt. Das nächste Advents-türchen öffnet am kommenden Sonntag um 15 Uhr in der Kirche St. Laurentius. Dann wird Viola Otto zu einem gemeinsamen Weihnachtskonzert einladen.