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Stasi-Buch über Staßfurt "Ausrede mit der Erpressung zieht nicht"

Ein neues Buch über die Tätigkeit für die Staatssicherheit (kurz: Stasi) von Staßfurter Ärzten und Krankenschwestern zu DDR-Zeiten zeigt nicht nur, wer Inoffizieller Mitarbeiter (IM) war. Es führt auch auf, wer bespitzelt hat, weil er erpresst wurde, und wer dies aus freien Stücken tat.

Von Franziska Richter 23.10.2014, 03:11

Staßfurt l Die neuen Bücher gingen weg wie warme Semmeln. "In einer Stunde waren fast alle Exemplare weg", erklärt Bettina Wernowsky. Sie hatte mit ihrer Kollegin Kordula Zollenkop am Dienstag im Bürgerservice Staßfurt 100 Stück einer neuen Forschungsarbeit über die Stasi-Aktivitäten im medizinisch-sozialen Bereich in den Altkreisen Staßfurt und Schönebeck angeboten.

Der genaue Titel des Forschungswerks heißt "Inoffizielle Mitarbeiter des MfS [Ministerium für Staatssicherheit, Anmerkung der Redaktion] aus dem Gesundheits- und Sozialwesen des Bezirkes Magdeburg". Es ist der 20. Band der Reihe "Das Gesundheits- und Sozialwesen des Bezirks Magdeburg - Aspekte seiner Überwachung durch das Ministerium für Staatsicherheit der ehemaligen DDR". Herausgeber ist das Dokumentationszentrum am Moritzplatz in Magdeburg, das vom Verein Bürgerkomitee Magdeburg getragen wird. Das Dokumentationszentrum ist eine Einrichtung für politische Bildung.

Der Autor ist der Magdeburger Ulrich Mielke, "nicht verwandt und nicht verschwägert", kommentiert Bettina Wernowsky die Namensgleichheit des Forschers mit Erich Mielke. Ulrich Mielke arbeitet seit 1997 an der Reihe mit den 20 Bänden. Der 75-jährige Krankenhaushygieniker und promovierte Biologe möchte mit dieser Forschungsarbeit "einen Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte und Aufklärung über das viele Unheil, das damals angerichtet wurde, leisten", so Bettina Wernowsky. Die ersten elf Bände behandeln den Raum Magdeburg, gefolgt von den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten des Landes Sachsen-Anhalt. Nur wenige Altkreise fehlen noch in der Forschungsreihe.

Deckname und Klarname werden genannt

Der Band über Staßfurt und Schönebeck führt insgesamt 53 Stasi-Spitzel auf. Es werden neben drei hauptamtlichen Mitarbeitern der Stasi im Raum Staßfurt noch 24 Inoffizielle Mitarbeiter mit Decknamen sowie mit Klarnamen aufgeführt. Damit kann der Staßfurter Leser auch heute genau nachvollziehen, wer gemeint ist. Nacheinander werden Krankenschwestern, Ärzte, Mitarbeiter von Arztpraxen, die IMs waren, aufgeführt, ihre Tätigkeiten kurz zusammengefasst und mit Kopien von Original-Dokumenten untermalt.

Die Erklärung der Mitarbeiterinnen des Dokumentationszentrums, warum die Bücher in Staßfurt so beliebt sind: "Das Interesse an dieser Forschungsarbeit ist in kleineren Städten und Kreisen viel größer als in großen Städten wie Magdeburg. Es liegt wahrscheinlich daran, dass man die enttarnten IMs wohl auch persönlich kannte oder immer noch kennt. Auch dass viele Menschen erst jetzt ihre Stasi-Akte einsehen, führt sicherlich zu dem großen Interessen an dem Thema", sagt Bettina Wernowsky.

Da es sich um eine Forschungsarbeit handelt, können die Klarnamen der Spitzel veröffentlicht werden - so regelt es die Gesetzeslage zu den Stasi-Unterlagen. "Da haben die ehemaligen IMs auch rechtlich keine Chance", so Bettina Wernowsky. Und es gibt eine weitere Besonderheit, die diese Forschungsarbeit auszeichnet. "Die Stasi hat in jeder Akte vermerkt, ob derjenige zur Mitarbeit erpresst, also gezwungen, wurde oder nicht", so Wernowsky. Wenn der Begriff "Wiedergutmachung" in der Akte steht, bedeutet das, dass der IM von der Stasi erpresst worden ist und deshalb gespitzelt hat.

Bei allen anderen verlief die Mitarbeit auf freiwilliger Basis. "Wenn man diese Akten vor sich liegen hat, zieht auch die Ausrede `Er wurde ja erpresst und er musste ja mitmachen`, wie es heute oft zu hören ist, nicht mehr. Hier ist genau aufgeführt, wer erpresst wurde und wer nicht", sagt Bettina Wernowsky.

Diese "freiwillige Mitarbeit" hatte verschiedene Motive, führt sie von Beispielen anderer Kreise aus: Eine Krankenschwester machte mit, weil sie sich einen gewissen Lebensstil finanzieren wollte, Auto, Telefon, Möbel. Andere haben sich wichtig gefühlt durch den Kontakt zu den "hohen Tieren" der Stasi. Wieder andere gaben an, gar keine sozialen Kontakte mehr zu haben, wenn nicht wenigstens der "Mann von der Stasi" einmal im Monat auf einen Besuch vorbeikommen würde. "Hier hätte ein Psychologe eine wahre Fundgrube in diesen Büchern. Hier tun sich menschliche Abgründe auf", so Wernowsky.

Das Buch (25 Euro) ist nur noch per Bestellung erhältlich bei: Dokumentationszentrum am Moritzplatz, Bürgerkomitee Magdeburg e.V., Umfassungsstraße 76, 39124 Magdeburg, (0391)2532316, info@buergerkomitee-magdeburg.de. Internet: www.buergerkomitee.de