1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Staßfurt
  6. >
  7. Wenn die Sehnsucht nach Brumby groß wird

EIL

95-Jährige fährt alle zwei Wochen von Berlin zum Rentnertreff Wenn die Sehnsucht nach Brumby groß wird

Von René de Ridder 27.11.2009, 04:52

Mit 95 Jahren ist Erna Schröder die älteste, in Brumby geborene Einwohnerin. Derzeit wohnt sie bei ihrem Sohn in Berlin. Doch weil das Heimweh der Brumbyerin so groß ist, fährt Wolfgang Domine seine Mutter alle zwei Wochen jeweils Mittwochs mit dem Auto von Berlin nach Brumby. Dort trifft die fitte Frau ihre Freundinnen von der Volkssolidaritäts-Ortsgruppe.

Brumby / Glöthe / Berlin. Die Strecke von Berlin nach Brumby ist gute 230 Kilometer lang. Egal : Jeden zweiten Mittwochmorgen nimmt Erna Schröder, 95 Jahre, im blauen Opel Astra Platz, am Steuer sitzt Sohn Wolfgang. Und dann geht es los von Berlin-Rudow in Richtung Magdeburg, von dort weiter nach Brumby. Ziel : Die Volkssolidaritätsgruppe des Dorfes, die sich alle zwei Wochen trifft. Anstrengend findet sie die Fahrt nicht, sagt Erna Schröder. Die Frau, die deutlich jünger wirkt, ist sicher : " Ich will nach Brumby !"

Lungenentzündung im Krankenhaus

Dass die älteste in Brumby geborene Bewohnerin überhaupt ihr geliebtes Dorf verlassen musste, ist einer Krankheitsphase geschuldet. Im Frühjahr 2009 bekam sie eine Lungenentzündung, musste im Krankenhaus Calbe behandelt werden. Grund war der schlechte Zustand ihres betagten Wohnhauses. " Dort konnte man nur noch ein Zimmer heizen, im Bad hingen die Eiszapfen ", erinnert sich Sohn Wolfgang Domine.

Als die Mutter aus dem Krankenhaus entlassen wird, kommt die Frage auf : Wie geht es nun weiter ? Eine Rückkehr in das gemietete Haus in der August-Bebel-Straße ist ausgeschlossen. Also zieht Mutter Erna erst einmal bei Wolfgang Domine in dessen Berliner Haus ein. Die Hauptstadt kennt Erna Schröder von vielen Besuchen beim Sohn. Doch so richtig heimisch wird die Frau an der Spree nicht. " Einen alten Baum versetzt man nicht ", sagt sie.

Weil sie ihren vertrauten Rentnertreff vermisst, setzen sich Mutter und Sohn jeden Mittwoch in den blauen Opel Astra und machen sich auf die Reise nach Brumby. Seit 1975 geht Erna Schröder regelmäßig zu den Treffen der Volkssolidaritäts-Ortsgruppe. Darauf möchte sie nicht verzichten, Wohnort Berlin hin oder her.

" Abends geht es dann wieder zurück ", erzählt Sohn Wolfgang. Das sind immerhin mehr als 400 Kilometer auf der Autobahn – nicht schlecht für 95 Jahre. So geht es seit diesem Frühjahr alle vierzehn Tage.

Schundliteratur : Es hagelte Gefängnis

Die Frauen des Rentnertreffs freuen sich über die Verstärkung. Dass Erna Schröder keine konventionelle Person ist, merkt man schnell. " Wenn die nach Hawaii fährt, würd mich das auch nicht wundern ", sagt eine Teilnehmerin des Rentnertreffs. Dass man auch im Alter stilvoll reisen kann, bewies die Jubilarin, die sich im Sommer im Cabrio vom Sohn nach Sachsen-Anhalt chauffieren ließ. Natürlich mit Sommerhut, wie berichtet wird.

Um Episoden aus ihrem aufregenden Leben ist sie nicht verlegen. So saß sie sogar einmal im Gefängnis, wie sie lachend gesteht.

Während der 50 er Jahre hatten eifrige Polizisten sie erwischt, als sie Liebesromane, so genannte Schundliteratur, aus Berlin mitbrachte. Es hagelte Knast : " Ein Vierteljahr hab ich in Schönebeck im Gefängnis gesessen ", erzählt die Frau in trauter Kaffeerunde.

Auch Sohn Wolfgang erinnert sich an die Zeit, als er gerade seine Lehre im Zementwerk Glöthe beendet hatte und seine Mutter nicht zur Abschlussfeier kommen konnte.

Weil Erna Schröder am Ende keine Lust hat, in Berlin zu leben, soll jetzt eine neue Wohnung gefunden werden. " Nicht in Calbe, nicht in Förderstedt, sondern in Brumby ", sagt Wolfgang Domine.

Gibt es eine Rückkehr nach Brumby ?

" Wir würden uns natürlich sehr freuen, wenn Erna wieder hier wohnen könnte ", sagt Melita Schedlow, Leiterin der Volkssolidaritäts-Ortsgruppe. Sie hat mit vielen Helferinnen für den Geburtstag der 95-Jährigen ein nachträgliches Kaffeetrinken organisiert, außerdem bringen Kinder der Kita Teichspatzen der Jubilarin ein Ständchen dar.

Doch die Suche nach einer kleinen, geeigneten Wohnung in Brumby ist offenbar alles andere als einfach. Man stehe in Verhandlung mit der Wohnungsbaugenossenschaft Förderstedt, doch bisher sei nichts in trockenen Tüchern, sagt der 72-Jährige Sohn.

Daher ist sicher, dass Wolfgang Domine und Erna Schröder am zehnten Dezember erneut die Reise von Berlin nach Brumby im blauen Opel antreten werden. Dann treffen sich die Rentner der Ortsgruppe Brumby zur alljährlichen Weihnachtsfeier.